Kirchliches Leben im Wandel der Zeiten. Группа авторов
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Kirchliches Leben im Wandel der Zeiten - Группа авторов страница 23
Nachdem dieser Forschungsstand im Jahre 1987 in einem Artikel der Neuen Deutschen Biographie zusammengefasst werden konnte,7 hatte der akademische Lehrer des Autors, Prof. Dr. Dr. Alois Schröer (†2002)8, im Jahre 1993 im Handbuch des Bistums Münster den ersten Bischof der preußischen Zeit ausführlich beschrieben, sich dabei aber ganz auf die Münsterer Perspektive beschränkt.9 Im Unterschied zur älteren Forschung, die ihn als „schwachen“ Bischof im Verhältnis zum Staat dargestellt hatte, konnte in dem seit 2003 auch digital vorliegenden Artikel des Bibliographischen Kirchenlexikons10 differenziert werden: Während Bischof Lüning in den Finanzfragen eine kirchlich entschiedene Haltung dem preußischen Staat gegenüber einnahm, zeigte er sich in administrativen Fragen kooperativ und nahm zum 15. Dezember 1818 die Ernennung zum Apostolischen Administrator für Erfurt und das Eichsfeld an.11 Schließlich ist Ferdinand von Lüning in der Paderborner Bistumsgeschichte von Hans Jürgen Brandt und Karl Hengst zumindest beiläufig erwähnt worden.12
Sein Apostolisches Vikariat im Eichsfeld und in Erfurt war in der regionalen älteren Literatur nicht unbekannt,13 wurde aber in der allgemeinen bzw. neueren Literatur über diese kirchliche Umbruchphase nicht wahrgenommen, z. B. von Dominik Burkhard in seiner großen Habilitationsschrift über die Neuordnung der katholischen Kirche in Deutschland nach der Säkularisation, in der er die verschiedenen Bistumsprojekte von Rastatt skizziert hat von Kassel bis Oldenburg, das Eichsfeld-Erfurter Gebiet aber nicht erwähnt.14 Ebenso nennt Burkhard in seinem Überblick von 2005 über die Auswirkungen des Systemumbruchs der Säkularisation als Transformierungsprozess das Gebiet Eichsfeld-Erfurt nicht.15
Zuletzt hat sich um das Jahr 2005 – zum 180. Todesjahr von Fürstbischof Lüning – Günther Tiggesbäumker aus Corveyer Perspektive mit dem Lebenswerk von Bischof Lüning ausführlich beschäftigt.16 Und im Jahre 2011 hatte Arno Wand in seiner Geschichte der katholischen Kirche in Thüringen auf breiter Grundlage der Quellen des Preußischen Geheimen Staatsarchivs Berlin einige Aspekte des bischöflichen Wirkens von Fürstbischof Ferdinand vorgestellt, ohne näher auf den vorherigen Forschungsstand über seine Person einzugehen.17 Dazu konnten nun sowohl die einschlägigen kirchengeschichtlichen Quellen des Paderborner Erzbistumsarchivs18 als auch die Erfurter Überlieferung19 dank der freundlichen Unterstützung des Archivleiters Dr. Michael Matscha herangezogen werden, um zu Ehren des geehrten Erfurter Kollegen Josef Pilvousek erstmals eine Lebensskizze des letzten Erfurter Fürstbischofs Ferdinand von Lüning vorzulegen.
1. Adelige Karriere vom kurkölnischen Juristen zum Münsterer Domherren
Der allgemeine Lebenslauf des späteren Fürstbischofs Ferdinand von Lüning für Corvey und Münster ist in den letzten Jahrzehnten relativ gut erforscht worden. Er begann für Ferdinand Hermann Maria von Lüning zu Niederpleis20 noch ganz in der Welt der Deutschen Reichskirche am 15. Februar 1755 auf der Burg Horbell, etwa 20 km von Köln entfernt in der Gemeinde Gleuel, heute ein Stadtteil der Gemeinde Hürth im Rhein-Erft-Kreis. Sein Vater war Johann Wilhelm von Lüning zu Niederpleis († Ostwig 1784) und seine Mutter Maria Odila, Geborene von Graugreben-Oberelem († Corvey 1807). Er war das dritte von wahrscheinlich sechs bis sieben Kindern und erhielt unter den damaligen Umständen eine standesgemäße und nach heutigen Maßstäben bestmögliche Erziehung, in der er zunächst das Kölner Drei-Königen-Gymnasium (Tricoronatum) absolvierte. Danach begann er keineswegs direkt mit einer geistlichen Karriere, sondern wurde Page am kurkölnischen Hof in Bonn, wohin seine Mutter gute Kontakte hatte. Nach diesem „standesgemäßem Praktikum“ studierte er Rechtswissenschaften an der 1737 gegründeten evangelischen Universität Göttingen. Anschließend erwarb er die erst juristische Praxis am Reichskammergericht in Wetzlar. Ab dem Jahre 1779 setzte der 24-jährige Jurist auf eine juristische Karriere am Hof des Kölner Kurfürsten Maximilian Franz von Österreich (1784-1801). Hier avancierte er vom Regierungsrat zum Mitglied des Oberappellationsgerichtes des Kölner Kurstaates.
Welche Umstände und Motive den erfolgreichen jungen Juristen dann bewogen haben, als Kleriker in den geistlichen Stand zu treten, ist direkt nicht bekannt, doch ist ein „juristischer Karriere-Stau“ nicht auszuschließen, da es Hinweis gibt, dass sich seine Hoffnungen auf das Präsidentenamt des Oberappellationsgerichtes nicht erfüllt haben sollen. So entschloss sich der 29-jährige, im Jahre 1795 in den geistlichen Stand zu treten, aber zunächst nur in der reichskirchlichen Epoche durchaus üblichen „vorsichtigen Form“. Genauer erhielt er am 23. Juni 1785 in der Hauskapelle des Kölner Weihbischofs Karl Aloys Graf von Königsegg-Aulendorf (1770-1796) dazu nur die Tonsur und nicht einmal die vier niederen Weihen. Und dann dauerte es noch fast sechs Jahre, bis ihm der Kölner Kurfürst Maximilian Franz, der zugleich seit 1784 auch Fürstbischof von Münster war, am 23. März 1791 eine Präbende im hochadeligen Münsterer Domkapitel übertrug, was ihm ein Einkommen auf geistlicher Basis sicherte.21
Für den weiteren geistlichen Aufstieg wurde im 18. Jahrhundert von adeligen Domherren ein „Auslandsstudium“ erwartet. Ferdinand von Lüning leistete dieses akademische „Biennium“ (genauer mindestens ein Jahr und sechs Wochen) in den Jahren 1791/92 in Rom nicht nur zum Vergnügen ab, sondern er hatte als ausgebildeter Jurist von seinem Vetter, dem Corveyer Abt Theodor Freiherr von Brabeck (†1794), einen besonderen Auftrag dazu bekommen. Denn die um das Jahr 815 gegründete Benediktiner-Abtei Corvey hatte bis zur Epoche des Barocks Blüte- und Verfallszeiten erlebt. Nachdem die Reichsabtei in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts an Bedeutungs- und Anziehungskraft verloren hatte, drohte eine vorzeitige Säkularisation. Um als Abtei im Erzbistum Mainz nicht aufgelöst zu werden, gab es nur die Alternative, sich vom Papst in ein Fürstbistum umwandeln zu lassen. Diesen Rettungsweg hat bereits im Jahre 1752 die Abtei Fulda zu einem Fürstbistum erfolgreich eingeschlagen.22
2. Vom „Gründungsmanager“ des Fürstbistums Corvey zum designierten Bischof von Münster
Wie Georg Föllinger im Jahre 1978 in seiner Dissertation „Von der Reichsabtei zum Fürstbistum“ genauer untersucht hat, war es das entscheidende Verdienst von Ferdinand von Lüning bei diesen Verhandlungen in Rom (Juni 1791 bis April 1792), dass er sie in Umwandlungsverhandlungen erfolgreich gestalten konnte. Mit den päpstlichen Urkunden vom 23. April 1792 wurden der Abt zum Bischof, der Prior zum Domdechanten und die übrigen elf Mönche zu Domkapitularen ernannt, denen das Bischofswahlrecht zustand. Daneben sollte es zunächst auch drei Domicellare mit einer Anwartschaft auf eine frei werdende Domherrenstelle geben, die ritterbürtiger Herkunft sein und mindestens die Tonsur empfangen haben mussten. Da für ein Reichsbistum auch eine kaiserliche Konfirmation notwendig war, musste Ferdinand von Lüning nach seinem Biennium auch noch die schwierigen Verhandlungen in Wien weiterführen, die unter dem Einfluss der sich weiter ausbreitenden französischen Revolutionsheere standen. Erst im Januar 1794 war die kaiserliche Bestätigung der vom Papst ausgesprochenen Säkularisation