Kirchliches Leben im Wandel der Zeiten. Группа авторов
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In nun konkret auf die kirchlichen Einrichtungen und Klöster in Erfurt und dem Eichsfeld angewandten Einzelanalysen benannte Fürstbischof Lüning als tieferen Grund für die Missstände „die Spuren der Fremdherrschaft“ und bemängelte als Hauptübel die „Verwahrlosung aller Bildungsanstalten während der französischen Okkupation“. Die „intellektuelle Bildung musste gänzlich verstummen vor dem unaufhörlichen Kriegsgeräusch und vor der steten Rüstung zum Kampf.“ Betroffen gewesen waren davon Klerus und Volk. Ergänzend zu diesem Visitationsbericht von Fürstbischof Lüning reichte auch noch das Geistliche Gericht in Erfurt am 30. November 1820 einen Zustandsbericht über die „8 katholischen Pfarreien der Stadt Erfurt“ beim Berliner Kultusministerium ein.61
Nach Münster zurückgekehrt, erließ der Apostolische Vikar zunächst eine Dienstinstruktion für den bischöflichen Kommissarius und die Kommissariats-Assessoren in Heiligenstadt. Weiterhin bemühte sich Fürstbischof Lüning von dort aus um die Qualifizierung und Weiterbildung der Priester im Eichsfeld und in Erfurt. Zunächst erließ er dazu eine Dienstinstruktion für die Pfarrer, dann bot er den Kaplänen die lang überfällige Möglichkeit, eine Pfarrbefähigungsprüfung abzulegen, um sich damit auf eine freigewordene Pfarrstelle bewerben zu können. Weiterhin ernannte er beispielsweise den Pfarrer in Gerbershausen, Christoph Kirchner (†1835), im Jahre 1819 zum Seminarexaminator und 1820 zum Pfarrer in Kirchworbis; ebenso den Pfarrer Johann Heinrich Digmann (†1843) aus Kreuzebra und Dechanten von Küllstedt zum Synodalexaminator.62
Von 1819 an stand Fürstbischof Lüning in relativ intensivem brieflichen Kontakt mit dem Direktor des Geistlichen Gerichts in Erfurt und Kommissar, Dr. Gottfried Franz Würschmitt (†1863). Während Dr. Würschmitt anschließend mit der neuen Paderborner Diözesanverwaltung in heftige Auseinandersetzungen geriet, scheint die kurze Zusammenarbeit mit dem Apostolischen Vikar Lüning respektvoll und in hoher Übereinstimmung verlaufen zu sein.63 So schaltete sich noch im Jahre 1819 Lüning als Apostolischer Vikar in die zwischen der königlichen Regierung Erfurt und dem Geistlichen Gericht hinziehenden Verhandlungen über die Vereinigung der Armenfonds der beiden großen christlichen Konfessionen ein, des evangelischen und des katholischen, was in heutiger Terminologie eine Zusammenarbeit von Diakonie und Caritas bedeuten würde.64 Aus den Akten des Paderborner Bistumsarchivs ergibt sich ein weiterer Grenzfall aus der Amtsführung und der territorialen Kompetenz des Geistlichen Gerichts Erfurt. Am 6. Dezember 1819 fragte die Großherzoglich Sachsen-Weimarsche Immediat-Kommission über das katholische Kirchenwesen wegen der Wiederbesetzung der Station Blankenhain nach, die von 1631 bis 1920 politisch zu Sachsen-Weimar gehörte. Dazu antworteten Fürstbischof Lüning mit seinem Sekretär Vinzenz Bracht am 5. Januar 1820, dass er als Apostolischer Vikar nur für die preußischen Anteile die volle Jurisdiktion habe.65
Als letztes Beispiel für Lünings Amtstätigkeit sei ein eigenes Rubrikenbuch genannt. Im Jahre 1821 erschien in Aschaffenburg ein unter Lünings Namen für den Distrikt Erfurt herausgegebenes eigenes Direktorium für die Feiern der Heiligen Messen.66 Wie weit es unter den Pfarrern verbreitet werden konnte, ist noch aus ortskirchengeschichtlicher Perspektive weiter zu erforschen.
3.4 Zum Ende und zur Überführung des Apostolischen Vikariates
Im Sommer 1821 stand Ferdinand von Lüning mit 66 Jahren auf dem Höhe- und Wendepunkt seiner Amtsvollmachten als (pensionierter) Fürstbischof von Corvey, als päpstlich ernannter Bischof von Münster (Einführung: 7. Juli 1821) sowie als Apostolischer Vikar für das Eichsfeld und Erfurt. Doch durch die Zirkumskriptionsbulle für das katholische Kirchenwesen im Königreich Preußen „De salute animarum“ (16. Juli 1821) waren die neuen Grenzen auf die Eingliederung von Erfurt und vom Eichsfeld ins Bistum Paderborn gesetzt worden, während Lüning sein „Mini-Bistum“ Corvey, das ebenfalls an Paderborn fallen sollte, bis zu seinem Lebensende verwalten wollte und durfte.67
Im neu umschriebenen neuen Bistum Münster glaubte Bischof Lüning nach seiner Einführung am 5.-7. Juli 1821 als „von außerhalb“ ernannter neuer Bischof wegen der Parteiungen im Domkapitel zunächst keinen Generalvikar bestellen zu können „und stürzte sich selbst mit Feuereifer in die Arbeit“.68 Der gesamtpreußische bzw. überregionale Exekutor der Zirkumskriptionsbulle war der Ermländische Fürstbischof Josef von Hohenzollern.69 Dieser fragte am 17. September 1821 Lüning speziell an, „ob er auch die sächsischen Territorien bis zur Übernahme“ des Paderborner Fürstbischofs Franz Egon von Fürstenberg „weiter verwalten wollte“. In einem gewundenen und weitschweifigen Antwortschreiben vom 19. Oktober 1821 erklärte Fürstbischof Lüning dem Exekutor, dass er „Weimar, Erfurt und das Eichsfeld gerne abgebe“.70 Vielleicht war das bei Ferdinand von Lüning schon so etwas wie eine Vorahnung, dass er selbst nicht mehr eine offizielle Übergabe des Apostolischen Vikariates würde durchführen können.
So berichtete am 1. Dezember 1821 aus Münster der „Internuntius“ Luigi Ciamberlani schon nach Rom von der „Altersschwäche und Geistabwesenheit“ des Münsterer Bischofs Lüning. Denn dieser hatte bereits am 29. Oktober, also zehn Tage nach dem Verzichtsangebot auf das Apostolische Vikariat, dem Ermländischen Fürstbischof Josef von Hohenzollern, dem westfälischen Oberpräsidenten Ludwig Freiherr von Vincke, dem Münsterer Domkapitel und der Geistlichkeit im Bistum Münster angezeigt, dass er zur Herstellung seiner sehr geschwächten Gesundheit und zur Erleichterung der Diözesangeschäfte den Offizial Dr. Jodocus Hermann Zurmühlen (†1830) einstweilen und bis auf Widerruf zu seinem Provikar ernannt habe.71 Damit konnten zwar die laufenden Geschäfte der Münsterer Diözesanverwaltung abgewickelt werden, aber anstehende große Aufgaben der Reorganisation gemäß der Zirkumskriptionsbulle stagnierten durch die Erkrankung des Fürstbischofs Lüning. Die dann fortdauernde Erkrankung veranlasste den preußischen Justizminister Friedrich Leopold von Kircheisen (1810-1825) sogar, die Einleitung eines „Blödsinnigkeitsprozesses“ gegen Bischof Lüning zu beantragen, wozu sich die westfälischen Justiz- und Verwaltungsbehörden jedoch nicht durchringen konnten oder wollten.72
Mit der ersten Ausführung der Bestimmungen der Zirkumskriptionsbulle wurde der Münsterer Provikar und Generaladministrator Lünings, Dr. Zurmühlen, beauftragt, der u.a. auch das neue Domkapitel im Bistum Paderborn im Jahre 1823 einführen sollte. Knapp drei Monate nach der verzögerten Einführung Bischof Lünings in Münster war seine Amtsunfähigkeit eingetreten, was faktisch bereits ein Ruhen seines Apostolische Vikariates im Eichsfeld und in Erfurt bedeutete. So wurde nach