Kirchliches Leben im Wandel der Zeiten. Группа авторов
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Während im Frühjahr 1815 infolge der plötzlichen Rückkehr Napoleons auf die politische Bühne der Kongress zwischenzeitlich stagnierte und sich aufzulösen drohte, arbeitete Wessenberg eine weitere umfängliche Denkschrift aus, die er im April 1815 unter dem Titel „Die Deutsche Kirche. Ein Vorschlag zu ihrer neuen Begründung und Einrichtung“ anonym im Druck erscheinen und verteilen ließ39. Sie enthielt 1. eine ausführliche Erläuterung seiner Konzeption einer künftigen deutschen Kirche40, 2. Gedanken „Ueber den Geist und das Wesen eines Konkordats für den deutschen Staatenbund“41, 3. den „Entwurf eines Konkordats für den deutschen Staatenbund“42, um auf dieser Vertragsbasis „ein harmonisches Verhältniß und Zusammenwürken der politischen und geistlichen Gewalten zur Beförderung des sittlich religiösen Wohls der Völker“ zu begründen43, und 4. den Entwurf eines „organischen Gesetzes“ zum Konkordatsvollzug44, verbunden mit einem Appell zu religiöser Toleranz, um nach der konfessionellen „Durchmischung“ der Bevölkerung in den einzelnen Staaten infolge der Säkularisation die staatliche Integration konfessioneller Minderheiten zu befördern45.
Kernpunkt des Konkordatsentwurfs – der unter anderem viele Reformanliegen Wessenbergs wie die Klerusbildung und -fortbildung enthielt – betraf den Vorschlag, die deutsche Kirche in drei Kirchenprovinzen mit je einem Erzbischof in Mainz, Salzburg und Münster zu gliedern und den Erzbischof von Mainz als ehemaligen Kurfürsten und Reichserzkanzler mit der „Würde eines Primas der deutschen Kirche“ zu bekleiden. Er sollte unbeschadet der Rechte der beiden anderen Erzbischöfe den ersten Rang unter ihnen einnehmen und den Vorsitz in allen Versammlungen der deutschen Bischöfe – die seit Jahrhunderten nicht mehr gemeinsam getagt hatten – innehaben.46 Kraft päpstlicher Übertragung sollte ihm, zusammen mit dem ältesten Bischof der jeweiligen Provinz, – nicht einem Nuntius – die Führung der Informativprozesse über die kanonische Eignung der neugewählten Bischöfe47 sowie „die Korrespondenz und Leitung der Verhandlungen in allen gemeinsamen Angelegenheiten der deutschen Kirche mit dem Päpstlichen Stuhle sowohl, als der obersten Bundesbehörde“ vorbehalten sein.48 Mit anderen Worten: Wessenberg intendierte, ganz im Sinne Dalbergs, eine primatiale Verfassung der deutschen Kirche zur Wahrung möglichster Eigenständigkeit in ihren ureigensten Belangen, entsprechend ihrer tausendjährigen Tradition, gleichwohl in durchaus enger Bindung an den Heiligen Stuhl. Die deutschen Bundesstaaten sollten zur Dotation der Erzbischöfe, Bischöfe, Domkapitel und diözesanen Einrichtungen wie der Priesterseminare entsprechend der Zusicherung des Reichsrezesses von 1803 verpflichtet werden, und zwar in Form von liegenden Gütern in kirchlicher Selbstverwaltung49: „Die Verbindlichkeit dazu haftet als heilige Schuld auf den säkularisirten geistlichen Staaten“50, d.h. der Reichsdeputations-Hauptschluss, als Reichsgesetz mit dem Untergang des alten Reiches erloschen, sollte gleichwohl weiterhin Rechtsgeltung behalten (was de facto auch geschah). Aber den Staaten sollten auch weitreichende Rechte eingeräumt werden, vor allem bei der – aus damaliger staatlicher Sicht brisanten – Neubesetzung der Bischofsstühle und Domkapitel. Hier war vorgesehen, dass der zuständige Landesherr aus einem innerhalb dreier Monate nach Eintritt der Vakanz durch Wahl zu bestimmenden Dreiervorschlag des jeweiligen Domkapitels ein ihm genehmes „Subject“ auswählen könne, welches sodann vom Domkapitel dem Papst zur Bestätigung präsentiert werden sollte.51 Für die Besetzung der Domkapitelspräbenden war im Entwurf ein Dreiervorschlag des jeweiligen Bischofs vorgesehen, aus dem der Landesherr einen ihm genehmen Kandidaten auswählen sollte52 – Vorschläge, die nachmals, gewiss in kanonistischen Modifikationen, in die Vertragsabschlüsse der einzelnen deutschen Staaten mit dem Heiligen Stuhl eingingen, wenn auch päpstlicherseits nur als erzwungen zugestandene Konzessionen.
In den beigegebenen Überlegungen wird der Vorschlag einer primatialen Verfassung mit der Notwendigkeit begründet, der deutschen Kirche „Einheit und Zusammenhang“ zu geben als Grundvoraussetzung, damit sie „die ihr zur nützlichen Würksamkeit nöthige Selbständigkeit und Würde erlangen“, „den Anmassungen der Römischen Kurie hinreichenden Widerstand leisten“ (Wessenberg unterschied mit Grund zwischen Papst und Kurie) und so „im Stande seyn“ könne, „eine reine Disziplin zu handhaben, und gemeinsames Fortschreiten in der wahren Bildung der Völker zu befördern“53. Dagegen würde eine „Kirchen-Einrichtung durch Privat Konkordate“ zwischen den einzelnen deutschen Höfen und Rom die erwünschte „Gleichförmigkeit“ solcher Einrichtung behindern und „dem Römischen Hofe die größte Leichtigkeit verschaffen, das Divide et impera zu spielen“54. „Ohne Primas, der das Band der Einheit in dem deutschen Episkopat befestige, die Relationen der Bischöfe mit Rom unterstütze, … und nach Erforderniß ihre Gerechtsame vertheidige, wäre die deutsche Kirche in jeder Hinsicht in einer ungünstigern Lage, als die Kirche[n] jeder andern Nation …. Sie würde keinem Angriff auf ihre Verfassung und Rechte, er möchte von Staatsbehörden oder von Römischen Kurialisten geschehen, lange würksame Gegenwehr zu leisten vermögen. Die Nachgiebigkeit und Schwäche des Einzelnen würde den Nachtheil des Ganzen nach sich ziehen“55. Zudem würde, wenn der Primas die Informativprozesse über neu gewählte Bischöfe führte, eine ungebührliche Verzögerung der Besetzung vakanter Bischofsstühle durch Rom „aus Gründen, die der Religion und der wesentlichen Kirchenverfassung fremde sind“, verhindert, da in solchen Fällen der Primas einem für fähig und würdig erkannten Kandidaten „nach Verfluß des kanonischen Termins [d.h. nach sechs Monaten], die kanonische Bestätigung zu erteilen habe“, entsprechend den Verordnungen der frühesten Konzilien und „der Praxis der zwölf ersten Jahrhunderte des Christenthums“56, wie Wessenberg hier allerdings gut gallikanisch oder febronianisch57 argumentierte. Doch Wessenbergs (und gleicherweise Dalbergs) febronianisch (oder episkopalistisch) geprägte Auffassung vom Verhältnis des Episkopats zum Papsttum war damals nördlich der Alpen vorherrschende Lehre der Theologen und Kanonisten.58