Kirchliches Leben im Wandel der Zeiten. Группа авторов
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Doch der junge Konstanzer Generalvikar wollte nicht nur kirchlicher Verwaltungsmann, sondern vor allem auch geistlicher Lehrer und Erzieher des Volkes und des Klerus sein, um das von den Revolutionskriegen erschütterte Bistum Konstanz angesichts äußerer Gefährdung einer religiös-kirchlichen Erneuerung im Sinne der Reformanliegen einer katholischen Aufklärung zuzuführen, wie sie bereits einige bischöfliche Hirtenbriefe in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts programmatisch gefordert hatten12; denn er war überzeugt, dass nur eine innerlich geläuterte, ihrer Verantwortung für die Menschen bewusste Kirche gegenüber den Anforderungen des mit Gewalt heraufziehenden neuen Zeitalters werde bestehen können. Und es ist faszinierend, anhand seiner stets eigenhändigen amtlichen Korrespondenzen13 zu verfolgen, mit welch überlegener und zugleich gewinnender Souveränität er von Anfang an seines Amtes waltete und was er als kirchlicher Reformer trotz schwierigster äußerer Verhältnisse, vor allem in finanzieller und personeller Hinsicht, zuwege brachte. Natürlich nahm er dabei Reformanliegen auf, die in den genannten Hirtenbriefen, in den pastoral- und moraltheologischen Schriften Johann Michael Sailers und anderer „aufgeklärter“ Theologen artikuliert worden waren. Aber während ringsum infolge der widrigen Zeitumstände Stagnation eintrat, setzte er diese Anliegen in „seinem“ Bistum konsequent und beispielhaft in die Tat um.
Um nur ein paar seiner – damals als sehr progressiv empfundenen – Reformmaßnahmen zu nennen: Um die Gläubigen zu aktivem Mitfeiern der Liturgie und zu deren vertieftem Verständnis heranzuführen – eines seiner seelsorgerlichen Hauptanliegen – , sorgte er für die Übersetzung liturgischer Texte in die Volkssprache (für Taufe, Krankenölung, Beerdigung, Erstkommunionfeier), allerdings sehr bewusst – um keine Anfeindungen zu provozieren – mit Ausnahme des lateinischen Messordinariums und vor allem des Kanons des Messe; statt dessen ließ er Messandachten für die Gläubigen erarbeiten. 1812 erschien das unter seiner Leitung bearbeitete, an Heiliger Schrift und liturgischer Tradition orientierte „Christkatholische Gesang- und Andachtsbuch“, das – gewiss aufgeklärt getönt – bis 1870 immerhin 32 Auflagen erlebte.14 Und noch 1831, als man ihn längst in Pension geschickt hatte, legte er, seine liturgischen Reformbemühungen zusammenfassend, ein volkssprachliches Ritual im Druck vor, das 1833 in zweiter Auflage erschien (und 1835 im Zuge des Verbots privater Ritualien für das Erzbistum Freiburg suspendiert wurde).15 Er verpflichtete die Pfarrer zu regelmäßigen, an den Evangelien orientierten Sonntagspredigten, und zwar nach dem Evangelium, innerhalb der Messe, die die Gläubigen mitfeiern sollten (statt in ihr, wie zumeist üblich, Rosenkranz zu beten und nur beim Glockenzeichen zur Wandlung damit kurz innezuhalten). Ein wichtiges Anliegen war ihm des weiteren eine sorgfältige Verwaltung des Bußsakraments, insbesondere auch im Sinne einer vertieften Gewissensbildung, weshalb er die Anforderungen für die Beichtapprobation verschärfte und die Verleihung von Pfarreien, auch gegen den Widerstand weltlicher Patronatsherren, vom Bestehen eines Pfarrkonkurses abhängig machte.16 Es ging ihm bei allen diesen Maßnahmen konkret um „die Grundlegung einer bessern kirchlichen Ordnung im Bisthum“, um eine „durchgreifende Reform“ von Gottesdienst und christlicher Unterweisung, um die Ersetzung eines oft „sinn- und gehaltlosen Kultus“ durch „bessere Form und Gestaltung“, um eine Verlebendigung von Predigt und Katechese, aus denen er „jede Spur von theologischer Schulweisheit“ [gemeint waren barockscholastische Spitzfindigkeiten] sowie „tändelnden und empfindelnden Mysticismus“ verbannt wissen wollte, um die Schaffung kurzer und einfacher Gesänge und Gebete, die „mit lichter Wärme den Geist des Evangeliums aussprechen“, letztendlich um eine tiefere Begründung des Christensinnens „in allen Klassen des Volkes“, wofür „die alten Kirchenväter kein kräftigeres Mittel“ gekannt hätten „als das Dringen auf Befreundung mit der Bibel“17. Das hieß aber doch: in Rückbesinnung auf den Ursprung als das „Grundmaß“ jeder kirchlichen Reformbemühung.
Die Wirksamkeit dieser und anderer Reformen setzte natürlich die Bereitschaft des Klerus, sie mitzutragen, und dessen entsprechende Schulung voraus. Wessenberg legte deshalb bei den Priesterkandidaten größten Wert auf den Nachweis einer soliden, und zwar biblisch und historisch fundierten, akademisch-theologischen Ausbildung (an einer Universität oder Hochschule freier Wahl, wie damals üblich). Im Anschluss an ihr Studium verpflichtete er sie zu einem zehnmonatigen praktisch-pastoralen Kurs im Priesterseminar zu Meersburg18 (die Schweizer Diözesanen im Luzerner Priesterseminar), an dessen Ende er sie persönlich prüfte, ehe er sie zum Weiheempfang zuließ.19 Am Abend vor dem Weiheempfang pflegte er den Priesterkandidaten im Meersburger Seminar auch – übrigens recht einfühlsam und mit religiöser Innerlichkeit – zu predigen, darum bemüht, ihnen das (von Johann Michael Sailer so nachdrücklich herausgestellte) Idealbild des „Geistlich-Geistlichen“ nahezubringen.20
Darüber hinaus verlangte er von seinem Bistumsklerus, sich um theologische Fortbildung zu bemühen. Zu diesem Zweck führte er in den einzelnen Landdekanaten – zur berufsbegleitenden Weiterbildung – die jährlich viermalige Abhaltung von Pastoralkonferenzen ein (eine Einrichtung, die bereits vom Konzil von Trient gefordert, aber kaum irgendwo realisiert worden war).21 Zu deren Vorbereitung aber mussten die einzelnen Priester anhand eines von ihm konzipierten umfänglichen Themenkatalogs Referate schriftlich ausarbeiten und bei ihm einreichen. Er forderte von ihnen somit aktive Mitarbeit und Teilnahme (was vermutlich nicht gar allen „schmeckte“); denn so seine Überzeugung: „Lieber gar keine Geistlichen als geistesträge Ignoranten, von denen Einer mehr verdirbt, als ein Halbduzend brave Männer gut machen können“22. Die besten Beiträge publizierte er, auch als Anreiz zur Mitarbeit, in der von ihm bereits 1802, bei Amtsantritt, ins Leben gerufenen „Geistlichen Monatsschrift“, die 1804 in „Archiv für die Pastoralkonferenzen in den Landkapiteln des Bisthums Constanz“ umbenannt wurde. Von ihm redigiert, erschien das „Archiv“ in regelmäßiger Folge bis zum Ende seiner offiziellen Amtstätigkeit 1827, im Ganzen 48 Bände.23
Mit allen diesen Reformen suchte er – um es nochmals zu sagen: unter äußerst schwierigen Zeitumständen – zu gutem Teil in die Wege zu leiten bzw. nahm er im Bistum Konstanz vorweg, was hundert Jahre später die (maßgeblich von Romano Guardini [1885-1968] inspirierte) liturgische Bewegung als dringendes Anliegen sich zu eigen machte und eher geduldet in kleinen Zirkeln praktizierte (ohne sich freilich des damals kirchlich diffamierten „Vorläufers“ Wessenberg zu erinnern) und was erst eineinhalb Jahrhunderte später das Zweite Vatikanische Konzil (1962-1965) in seinen einschlägigen Konstitutionen und Dekreten lehrte bzw. als überfällige Forderungen und Desiderate anmahnte, beispielsweise