Kirchliches Leben im Wandel der Zeiten. Группа авторов

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Kirchliches Leben im Wandel der Zeiten - Группа авторов Erfurter Theologische Studien

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Görres war als Exponent einer universalistischen Wissenschaftskonzeption nach München gerufen worden, und er hat die Chance ergriffen, die sich ihm an der neustrukturierten Universität bot. Seine Lehrtätigkeit war fachübergreifend. Er wollte das Wissen seiner Zeit anbieten in einer weltanschaulich orientierenden Gesamtschau.

      Mit den Professoren seiner Fakultät pflegte Görres nur wenig Umgang. Von seinen Pflichten als Fakultätsmitglied dispensierte er sich weitgehend. Vor allem mit seinen Historikerkollegen lebte er in Anspannung, weil sein intuitives Wissenschaftsverständnis und seine titanische Geschichtsauffassung mit der damals sich etablierenden historischen Methode kollidierten. Das ist auch der Grund dafür, dass er nicht zum Haupt einer Schule wurde. Die meisten, die sich als seine Schüler bezeichneten, waren Theologen, darunter die beiden großen Wegbereiter der katholischen Sozialbewegung in Deutschland, Adolf Kolping und Freiherr von Ketteler. Der spätere „Gesellenvater“ Kolping hatte zu Beginn der 1840er Jahre drei Semester lang die Görresschen Vorlesungen besucht und sich vom Geist des Kreises um Görres inspirieren lassen. Auch Freiherr Wilhelm Emanuel von Ketteler, der spätere Bischof von Mainz und bedeutendster Wegbereiter der modernen Katholischen Soziallehre in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, verkehrte im Kreis von Görres und Döllinger.

      1839 erhielt er von König Ludwig I. den Verdienstorden der Bayerischen Krone und wurde damit in den persönlichen Adelsstand erhoben. Im katholischen Deutschland und bei den Katholiken in aller Welt galt er nun als der wirkungsmächtigste Streiter für die Freiheit der Kirche.

      Seine unermüdlich erscheinende Schaffenskraft ließ ihn die im „Rheinischen Merkur“ immer wieder ventilierte Idee aufgreifen und ausführlich darstellen, das seit hunderten Jahren zum Stillstand gekommene Bauwerk des Kölner Doms als nationales Denkmal endlich zu vollenden. Sein Freund Sulpiz Boisserée hatte Ansichten, Risse und Detailzeichnungen des Domes angefertigt und „Ergänzungen nach dem Entwurf des Meisters“ vorgeschlagen. Boisserée gelang es in der zweiten Dekade des 19. Jahrhunderts, die politischen und intellektuellen Eliten Deutschlands für die Ausbaupläne zu begeistern. Als dann im Herbst 1814 in Amorbach das verschollene Pergament mit den Fassaden „Riss F“ gefunden wurde, rückte die Idee der Vollendung des Torsos aus dem Bereich des Wünschenswerten in den des Möglichen. Inzwischen hatten sich der preußische wie der bayerische Kronprinz sowie Johann Wolfgang von Goethe und Ernst Moritz Arndt für die Boisseréesche Idee stark gemacht, zu deren wortmächtigstem Kommunikator Görres wurde. 1842 legte er die Schrift „Der Dom von Cöln und das Münster zu Straßburg“ vor, dessen Ertrag dem Dombau zugute kam.

      Anlass für die letzte Veröffentlichung von Görres vor seinem Tod war die Wallfahrt zum Heiligen Rock nach Trier (1844), an der mehr als eine Million Menschen teilnahmen. Diese machtvolle Demonstration des rheinischen Katholizismus löste eine heftige Pressefehde aus, in die sich Görres mit seiner Schrift „Die Wallfahrt nach Trier“ (1845) einschaltete. Der Streit zeigt, welche Bedeutung die öffentliche Meinung mittlerweile in Deutschland errungen hatte. Er legte aber auch offen, wie gereizt die beiden Konfessionen um Öffentlichkeit rangen und wie viel Gewicht religiösen Fragen dabei zukam. Die protestantische Seite verstand die Wallfahrt als Manifestation eines undeutschen, von Rom gelenkten Katholizismus. Wie dramatisch sich die konfessionellen Verhältnisse in den letzten 170 Jahren zum Positiven verändert haben, zeigt die Resonanz auf den Aufruf des heutigen Trierer Bischofs, Stephan Ackermann, zur Wallfahrt zum Heiligen Rock 2012. Ihm hat sich der Präses der Rheinischen Kirche und Vorsitzender der EKD, Nikolaus Schneider, angeschlossen und forderte die protestantischen Mitchristen auf, sich im Geiste der Ökumene an dieser Manifestation des Glaubens zu beteiligen.

      Am 29. Januar 1848 starb Joseph Görres in München. Der große Publizist und Kämpfer für die Freiheit der Kirche wurde auf dem südlichen Friedhof beigesetzt. Es hat eine hohe Symbolkraft, dass heute gegenüber dem Friedhof das „Medienkloster“ liegt, Sitz des Instituts zur Förderung des publizistischen Nachwuchses der katholischen Kirche, das in den letzten Jahrzehnten mehr als 1.000 Journalisten ausbildete.

      Auch dort wird der Geist jenes Mannes wachgehalten, dessen Warnung vor Gewaltherrschaft und staatlicher Willkür und dessen Kampf für die christliche Grundierung des öffentlichen Lebens heute ebenso aktuell ist wie zu seinen Lebzeiten. Diese Probleme trieben und treiben auch unseren Jubilar um, den mit Joseph Görres nicht nur der gemeinsame Vorname verbindet, sondern auch seine Leidenschaft für die Freiheit der Kirche

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