Kirchliches Leben im Wandel der Zeiten. Группа авторов
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Das Bemühen Bischof Kepplers um eine „Normalisierung“ der Diözese Rottenburg im römischen Sinne schlägt sich nicht zuletzt darin nieder, dass er 1902, wie er selbst meinte, erstmals eine ausführliche relatio status an die Kurie sandte. Tatsächlich lag in Rom aber wenigstens eine vorhergehende Relation vor, nämlich der kurze, nur vierseitige Bericht von Bischof Joseph von Lipp (1794-1869) aus dem Jahr 1852.13 Bei seiner Visitatio Liminum 1906 musste Keppler allerdings feststellen, dass sein umfassender Bericht über den Zustand der Diözese im römischen Geschäftsgang verloren gegangen war, weshalb er am 7. Juni 1907 ein „Update“ der Fassung von 1902 einreichte, das 27 maschinenschriftliche Seiten umfasste.14 Zusammen mit dem kurzen Bericht von 1909 und der weiteren ausführlichen Relation von 191315 verrät Kepplers Rechenschaft natürlich primär etwas über seine eigene Wahrnehmung der Diözese und die anliegenden pastoralen Aufgaben; sie kann aber auch in kritischer Betrachtung als Ausgangspunkt für unsere Frage nach der Mobilisierung der Diözese unter Keppler dienen.
Expansion des Bistums und Bautätigkeit
Im weltkirchlichen Vergleich hatte das Bistum bis 1913 beachtliche Ausmaße angenommen. Es umfasste 739.995 Katholiken (bei 1.671.183 Protestanten, 11.982 Juden und 14.414 Sonstigen in Württemberg), davon 1.227 Priester, 30 Alumnen im Rottenburger Priesterseminar und 150 im Wilhelmsstift. Im Reich lag es damit unter den 30 Sprengeln an 13. Stelle.16 Die 695 Pfarreien und 40 Quasipfarreien, die in der Größe zwischen 11.000 und 130 Seelen variierten, waren in 29 Dekanaten zusammengefasst und verfügten neben dem Dom über 783 Kirchen, 642 Filialkirchen und 415 Oratorien. Da viele Pfarreien, zumal in den Städten, groß waren, wies Rottenburg mit 166 Kaplänen und 145 Vikaren eine relativ hohe Zahl von Hilfsgeistlichen auf.
Keppler versäumte nicht, die Expansion des Bistums hervorzuheben: Seit 1850 seien nicht weniger als 80 Kirchen und Oratorien in den Diasporagebieten neu erbaut worden und seit 1870 50 neue Kirchen in Städten, die schon vorher eine Pfarrei besessen hatten. Vor allem sein Vorgänger Reiser habe Großes in der Sorge für die Diasporakatholiken geleistet, der Bonifatiusverein und die Freigebigkeit der Gläubigen des Bistums hatten das Ihre beigetragen. Im Geiste des Historismus favorisierten die Bischöfe von Hefele bis Keppler dabei die Neuromanik und Neugotik. Unter Keppler kamen aber auch Bauten und Gestaltungen im Geiste des Neubarock bzw. Neoklassizismus oder im „Beuroner Stil“ zur Ausführung. So ließ Keppler, der sich 1901 die Burg Straßberg zur Sommerresidenz erwählt hatte, dort 1906 eine Kapelle einbauen und sie 1908 – natürlich – im Beuroner Stil ausmalen.
Gottesdienst und Pastoral
Interessant sind Kepplers Aussagen im Hinblick auf das gottesdienstliche Leben der Diözese. Sie sind vor dem Hintergrund der „Reformen“ Papst Pius’ X. (1903-1914) zu sehen, der nicht nur erstmals den Gedanken der actuosa participatio der Gläubigen formulierte und den gregorianischen Choral zu liturgischen Norm erhob (1903), sondern auch den häufigeren Sakramentenempfang propagierte (1905) und die Frühkommunion ermöglichte (1910). Keppler schrieb deshalb ganz ad mentem des Papstes, wenn er in der Relation von 1913 vermerken konnte: „Die Häufigkeit des Sakramentenempfangs steigt von Jahr zu Jahr, zumal seit das neue Dekret über die Kommunion ergangen ist. Es werden nun alle Kinder, wenn sie 11 oder 12 Jahre alt sind [zuvor mit 13 Jahren], auf die Kommunion vorbereitet und treten, solange sie die Schule besuchen, sechs Mal jährlich alle gemeinsam an den Tisch des Herrn heran, einzelne von ihnen auch öfter, viele jeden Sonntag. Das weibliche Geschlecht frequentiert die Sakramente mit größerem Eifer; der Eifer der Männer wird nach und nach zu erwecken und zu vermehren sein.“17 Tatsächlich hatte Keppler das Thema des häufigeren Sakramentenempfanges für 1908 als Konferenzarbeitsthema ausgeschrieben und im „Generalbescheid auf die Conferenzarbeiten“ vom 7. September 1909 dem Klerus sehr ausführlich die Methoden zur Intensivierung des sakramentalen Lebens nahegebracht: Zykluspredigten, eucharistische Triduen, Volksmissionen, Exerzitien, die Ansprachen bei den Kasualien, die Katechese im Religionsunterricht, die Seelenführung im Beichtstuhl, Generalkommunionen der einzelnen Stände – all das sollte im Sinne Pius’ X. zusammenwirken.18 Zugleich drängte Keppler auch auf eine vorsichtige Vermeidung der Andachtsbeichte hin: Wer täglich kommuniziere, können alle Ablässe auch bei bloß vierzehntägiger Beichte gewinnen.19 Der Bischof betonte auch seine Bemühungen um den gregorianischen Choral in der Messfeier und die entsprechende Abdrängung der volkssprachlichen Lieder in die Andachten.20 Eine Ausnahme stellten nur die Rorate-Messen im Advent dar, „bei denen die Gläubigen religiöse Gesänge in der Volkssprache mit höchster Hingabe und Leidenschaft singen. Diese Gewohnheit könnte nur mit sehr großem Schaden eliminiert werden; es stünde nämlich zu befürchten, dass die Gläubigen in schwerer Empörung jenen bislang sehr gut besuchten Messen fortan fernbleiben würden“21. Noch in einem zweiten Punkt wich die Diözese von der römischen Norm ab: Bei der Firmung, die nur vom Bischof allein bei seinen Reisen im Fünfjahresturnus durch die Diözese gespendet wurde, war von Kepplers Vorgängern das Amt des Firmpaten abgeschafft worden. Die materialistischen Erwartungen der Kinder an die Paten hätten das Amt lästig gemacht, es sei früher zu großen Festmählern mit Skandalen gekommen. Außerdem sei bei der großen Zahl der Firmlinge für die Paten oft kein Platz mehr in der Kirche. Ohne die Paten laufe der Gottesdienst ohnehin würdiger ab und es gebe keinen Alkoholmissbrauch. (Nach dem Ersten Weltkrieg führte Keppler das Patenamt dann auf römisches Drängen hin wieder ein und konnte in der Relation von 1923 Vollzug melden.22)
Das Thema des Alkoholismus lag Keppler besonders am Herzen. Ihm widmete er 1907 einen speziellen Hirtenbrief, in dem er in scharfer Form vor allem den Schutz der Kinder vor Alkohol anmahnte und betonte, dass alle kirchlichen Vereine zugleich Mäßigkeitsvereine sein sollten.23 Kepplers kulturpessimistische Grundhaltung zeigte sich auch in seiner Einschätzung, dass auf dem Land die guten Sitten, das einfache, arbeitsame Leben, der feste Glaube und ein ehrlicher Eifer für die Religion herrschten, während in den Städten, vor allem den größeren, aufgrund der Ansteckung und dem Streben nach einem schickeren Leben, der Alkoholismus, die Genusssucht und von daher die Auflösung und