Kirchliches Leben im Wandel der Zeiten. Группа авторов
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Das Verhältnis zu Regierung und Verwaltung, die politische Mobilisierung der Katholiken
Im 1907 erstellten „Update“ der Relation von 1902 zeichnet Keppler ein relativ idyllisches Bild von der staatskirchenrechtlichen Situation. Das Staatskirchenregiment sei gemildert; es gebe zum Beispiel kein Placetum regium mehr. Der Einfluss der Regierung sei aber groß bei der Verwaltung der kirchlichen Güter, die frommen Stiftungen und die Kongregationen würden ängstlich überwacht, keine Orden erlaubt; zudem bestehe für die Mehrzahl der Benefizien das königliche Patronat. Dies sei aber alles kein großes Problem, da der Katholische Kirchenrat als staatliche Mittelbehörde (bestehend aus zwei Priestern und vier Laien) dem Bischof ergeben sei und seinem Vorschlag folge. Hierbei hatte Keppler wohl vor allem seinen Freund Richard Wahl (*1854) vor Augen, der allerdings schon 1906 gestorben war, sowie den geistlichen Kirchenrat Eduard Vogt (1865-1923).54 Die optimistische Einschätzung Kepplers wurde allerdings bald Lügen gestraft, als der Kirchenrat 1908 nach der Publikation der Enzyklika „Pascendi“ durch Keppler auf das vorher eigentlich nötige Plazet zurückkam. Ähnliche Kontroversen gab es dann noch bei anderen Gelegenheiten bis 1918.55 Sehr enttäuscht war Keppler auch über die 1909 verabschiedete Schulnovelle, welche zwar am konfessionellen Charakter der Volksschule festhielt, aber die geistliche Orts- und Bezirksschulaufsicht abschaffte und in den Mittelschulen die Simultanschule zuließ.56 Für Keppler führte der Weg von der Simultanschule zuerst zur religionslosen und dann zur religionsfeindlichen Schule. Diese politische Niederlage stellte auch den wesentlichen Gehalt seiner kurzen Zwischenrelation von Ende 1909 nach Rom dar.57 1913 resümierte er dann sehr trocken: „Der württembergische König protestantischer Konfession [Wilhelm II.] ist gerecht und wohlwollend dem Bischof gegenüber. Es ist oft schwierig, gegen die Regierung und die Verwaltungsbeamten, die fast alle Akatholiken sind, die Rechte der Kirche und des Bischofs geltend zu machen. Wir sind den menschlichen Gewalten gegenüber frei von der Schuld knechtlicher Gesinnung.“58
Es ist wenig verwunderlich, wenn Bischof Keppler vor diesem Hintergrund die politische Mobilisierung der Katholiken in seinem Bistum als Mittel zur Durchsetzung kirchlicher Interessen und die Zentrumspartei als Transmissionsriemen dafür verstand. Auch die neuere Forschung tendiert dazu, die späte Gründung der Zentrumspartei in Württemberg weniger auf die wirtschaftliche Unzufriedenheit in den agrarisch geprägten katholischen Oberämtern zurückzuführen,59 sondern sie als Konfessionalisierung der württembergischen Landespolitik zu verstehen.60 „Meine Herren! Kutten und Kinder haben uns zusammengeführt, dass wir das württembergische Zentrum gebildet haben“61, so rief der Priester und Schriftleiter des „Deutschen Volksblattes“ Joseph Eckard (1865-1906) 1895 bei der ersten Landesversammlung des württembergischen Zentrums in Ravensburg aus. Kutten und Kinder, die Ordensfrage62 und das konfessionelle Schulwesen standen auch für Keppler im Mittelpunkt des Interesses. Scharfsinnig erkannte Keppler dabei die Vorfeldfunktion des katholischen Vereinswesens, das sich schon beim ersten Württembergischen Katholikentag in Ulm 1890 in der Ordensfrage deutlich zu Wort gemeldet hatte,63 und insbesondere des ebenfalls 1890 gegründeten Volksvereins für das Katholische Deutschland: „Es ist am meisten den männlichen Sodalitäten und insbesondere der großen, ,Volksverein‘ genannten Vereinigung zuzuschreiben, dass die katholischen Männer so in den politischen Dingen versiert und diszipliniert sind, dass wir ihnen bei den politischen und bürgerlichen Wahlen gänzlich vertrauen können; sie geben ihre Stimmen nämlich für die Kandidaten des ‚Zentrums‘ ab. Daher kommt es, dass obwohl die Katholiken im Königreich an Zahl unterlegen sind, dennoch das ,Katholische Zentrum‘ unter den politischen Parteien seiner Aufgabe mit großem Gewicht nachkommen kann.“64 Im Gegensatz zum Zentrum hatte der Volksverein im Bistum bereits unter Hefele mit starker Unterstützung des Bischofs eingeführt werden können, weil Hefele in ihm ein Mittel zur Bekämpfung der socialistischen Irrtümer der Gegenwart erblickte.65 Die so ermöglichte späte Mobilisierung war umso eindrucksvoller. „Der Eifer der schwäbischen Katholiken für den neuen Verein unter der Führung Adolf Gröbers [1854-1919]66 katapultierte ihn – mit Ende 1891 schon rund 13.000 Mitgliedern – an den Platz der drittgrößten Landessektion überhaupt; größer war der Erfolg nur im Rheinland und in Westfalen. Und wenige Jahre später (1897) war die württembergische Sektion mit über 21000 Mitgliedern fast exakt doppelt so groß wie die badische.“67 Mit dem Juristen Gröber hatte das württembergische Zentrum zugleich eine angesehene Führungspersönlichkeit, die 1917 sogar die Führung der Zentrumsfraktion im Reichstag übernehmen konnte. Neben Gröber brachte es vor allem auch der Zentrumspolitiker Matthias Erzberger zu reichsweiter Bekanntheit.
Nachdem die Verfassungsreform von 1906 die strukturelle adlig-katholische Mehrheit in der Ersten Kammer und die ständische kirchliche Vertretung in der Zweiten Kammer beseitigt hatte,68 war das Wirken des Zentrums in der Zweiten Kammer umso wichtiger geworden. In seinem Lob wurde Keppler hier 1907 geradezu lyrisch: „Und freilich tun sich die Führer dieser Fraktion nicht nur durch Weisheit, sondern auch durch ihre Tugenden vor den anderen hervor; mit solchem Mut und solchem Eifer verteidigen sie die katholische Sache, dass schon die Regierung selbst, die anfangs wenigstens ein genügend großes Misstrauen dem Zentrum gegenüber vor sich hertrug, nicht anders kann, als es zu achten. Es besteht kein Zweifel, dass durch die unermüdlichen Mühen dieser Männer die Rechte der Kirche viel mehr als zuvor gewahrt werden und in hohem Maße gehindert wird, dass gegen die Kirche ungerechte Gesetze verabschiedet werden. Sicherlich haben freilich aus diesem Grund die gehässigen Ausfälle der Protestanten gegen uns so zugenommen, dass sie in der Verleumdung, der ungerechten Behandlung und der feindlichen Verfolgung uns gegenüber schon mit den Sozialisten wetteifern.“69 Wenn Kepplers Vertrauen auf die Wirksamkeit des Zentrums sich auch vor 1918 nur sehr bedingt erfüllen sollte, so bleibt doch seine Identifikation mit dieser in Württemberg immerhin laikal geführten Partei bemerkenswert. Hier lag auch ein gewisser Unterschied zu dem von ihm sonst verehrten Papst Pius X., der die politisch-gesellschaftliche Aktivität von Laien immer unter geistlicher Aufsicht sehen wollte. Obwohl Keppler im Gewerkschaftsstreit um die interkonfessionellen christlichen Gewerkschaften zunächst äußerste Zurückhaltung geübt70 bzw. als Gegner derselben gegolten hatte – Fürstbischof Adolf Bertram von Breslau (1859-1945) schrieb vor seiner Verteidigung der christlichen Gewerkschaften