Unter Ultras. James Montague

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Unter Ultras - James  Montague

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verewigt, zu denen er im Lauf der Jahre freundschaftliche Bande geknüpft hatte und die ihn bei seinen Besuchen am meisten beeindruckt hatten: Roma, Rapid Wien und natürlich die Boca Juniors. Ein Tattoo am Bein zeigte Andy Capp, einen politisch inkorrekten britischen Cartoonhelden, der weltweit zu einem Symbol der Ultra-Bewegung avanciert ist. Über Mikaels Bauchpartie zog sich in großen Lettern der Schriftzug ULTRAS.

      »Hey, Kumpel«, begrüßte er mich herzlich und mit leichtem Cockney-Akzent. Ein Freund hatte sich dafür verbürgt, dass er kein Psychopath war. Genau genommen war er ein pazifistischer, Death Metal hörender Ultra, der kein Interesse an der gewaltsamen Seite der Szene hatte. Er hatte schlechte Neuigkeiten für mich. Der uruguayische clásico war von einem Tag auf den anderen abgeblasen worden. Und La Banda del Parque hatte dringendere Probleme. »Einer der Anführer der barra sitzt im Knast, weil er jemanden umgebracht haben soll«, teilte Mikael mir nüchtern mit. Er zweifelte an dem Vorwurf. »Ich vermute mal, es geht um Macht und Geld, wie immer in Südamerika.«

      Der Fall war entsetzlich. Sechs Wochen zuvor waren die Leichen von zwei Männern – Mitglieder von La Banda del Parque – in einem ausgebrannten VW-Lieferwagen im Stadtbezirk Tres Ombues gefunden worden. Einen Monat darauf waren drei andere Mitglieder der barra verhaftet worden, einer von ihnen auf dem Flughafen von Montevideo, als er von Nacionals Copa-Libertadores-Auswärtsspiel bei Atlético Mineiro aus Brasilien zurückgekehrt war. Zu Beginn der gerichtlichen Anhörungen hatte einer der Anwälte der Angeklagten erklärt, dass sein Mandant von Nacional pro Spiel 40.000 uruguayische Pesos (gut 830 Euro) erhalte – dafür, dass er Banner und Trommeln organisiere und die hinchas in Zaum halte.19 Der Verein stritt das ab, dennoch war das ein Skandal, weil sich viele Uruguayer in ihrer Vermutung bestätigt sahen, dass die Klubs sich nach wie vor mit Jobs und Tickets das Wohlwollen der barras erkauften. Uruguay ist das wohlhabendste und sicherste Land Südamerikas, dennoch sind auch dort in und vor den Stadien Dutzende Menschen gestorben. Eine Zäsur hatten die Schüsse auf zwei Peñarol-Fans vor dem clásico 2016 dargestellt. Einer von ihnen hatte eine Niere verloren, der andere war einen Monat darauf seinen Verletzungen erlegen. Die Liga war unterbrochen und ein Dutzend Mitglieder von La Banda del Parque verhaftet worden. Der darauffolgende clásico im Centenario war kurzfristig abgesagt worden, da Mitglieder von Peñarols Barra Amsterdam Gasflaschen auf Polizisten geworfen hatten; es hatte 150 Verhaftungen gegeben. Die Regierung hatte ein entschiedenes Vorgehen gegen die Vereine angekündigt, sollten diese weiterhin enge Beziehungen zu den barras pflegen. Die Polizei wiederum hatte erklärt, keine Beamten mehr in die Stadien zu entsenden; die Vereine sollten selbst für die Sicherheit aufkommen. Wie die Ermittlungen in dem Fall der beiden Leichen in dem ausgebrannten Transporter zeigten, pflegten die Vereine dennoch weiterhin enge Beziehungen zu den barras. Vor dem uruguayischen Parlament warnte der Sicherheitsbeauftragte des nationalen Fußballverbands, Rafael Peña, die barras seien zu »wahrhaften Kartellen geworden, die sich sogar Kämpfe wegen ihrer Reviere und der kriminellen Machenschaften, in die sie verwickelt sind, liefern«. Jeder Versuch, gegen ihre Geschäfte vorzugehen, würde »immer und ausnahmslos Erpressungen nach sich ziehen«.20

      Die Nacional-Fans hingegen suchten, wie immer, Zuflucht zu einer Verschwörungstheorie. Die offizielle (und einigermaßen haarsträubende) Begründung des Verbands für die Verschiebung des anstehenden clásico lautete, dass vier Nacional-Fans, darunter ein zehnjähriges Mädchen, am Verbandssitz gegen die Schiedsrichterleistung bei der vorangegangenen Begegnung protestiert hatten. Nach Überzeugung der Fans zeigte das nur die verzweifelte Suche des Verbands nach einem Vorwand, um die Austragung des clásico an jenem Wochenende zu verhindern, in erster Linie, da Peñarol in der Copa Libertadores das letzte und entscheidende Gruppenspiel gegen Flamengo aus Brasilien bevorstand. Peñarol sollte nun in einem halbleeren Estadio Centenario gegen River Plate Montevideo spielen und Nacional später am Abend im Parque Central gegen Progreso. Es war dunkel und schüttete wie aus Kübeln, als Mikael und ich am Stadion ankamen. Hier hatte das allererste WM-Spiel der Geschichte stattgefunden: USA gegen Belgien (parallel zu der Partie Frankreich gegen Mexiko im mittlerweile abgerissenen Estadio Pocitos, Peñarols einstiger Heimat). Mikael verfügte über einen schier unerschöpflichen Vorrat an Hammarby-Stickern, mit denen er Laternenmasten und Straßenschilder pflasterte: »Barra Brava Hammarby«, »Love Football, Hate Cops« und Andy Capp im grün-weißen Dress von Hammarby. Ein einsamer Posaunist spielte sich vor der Westtribüne, dem Revier von La Banda del Parque, warm. Die Mitglieder der barra zogen mit Trommeln und anderen Schlaginstrumenten in ihren Block ein. Lediglich der untere, nicht überdachte Rang war gefüllt. Dutzende blau-weiß-rote Banner und Fahnen trugen etwa die Aufschrift »Nacional, wir geben unser Leben für dich« oder wurden von einem überdimensionalen Hanfblatt und dem kreisförmigen Schriftzug Piedras Blancas (»Weiße Steine«, ein Stadtteil Montevideos) geschmückt, außerdem zog sich ein Banner mit der Aufschrift »La Primer Hinchada del Mundo« (»Die erste Fangruppe der Welt«) auf halber Höhe über die gesamte Breite des Ranges. Die Fans begannen zu singen und zu hüpfen und hörten nicht mehr auf, noch nicht einmal in der Halbzeitpause, als ihr Team bereits 3:0 führte. Im Mittelkreis wartete der Schiedsrichter auf zwei Bereitschaftspolizisten in voller Montur mit Helmen und Schilden, die die Spieler und Unparteiischen vom Feld geleiteten, obwohl nichts auf mögliche Krawalle hindeutete. Pablo von Nacionals vereinseigenem TV-Sender erklärte, dass schon seit Monaten Spannungen in der Luft lägen, daher wolle man kein Risiko eingehen.

      Die Partie endete 4:0, und die kleine Kohorte der La Banda del Parque sang auch nach dem Schlusspfiff unentwegt weiter.

      Wohlan, Trikolore,

      Heute müssen wir gewinnen.

      El Primer Hincha,

      Er kam, um euch zu unterstützen.

      Mir ist vollkommen gleich,

      Wo ihr spielt,

      Denn wo auch immer ihr seid,

      Werde ich euch unterstützen.

      Nacional, ich gehe überall mit euch hin.

      Nacional, ich will euch als Champions sehen.

      Im Estadio Gran Parque Central wurde nicht nur der Begriff des hincha geboren, der Ort war auch der Schauplatz einer Reihe bedeutender und gelegentlich makabrer Momente der uruguayischen Geschichte. Nacionals verantwortlicher Historiker Ignacio Pou erklärte mir auf dem Rasen des nunmehr leeren Parque Central: »Miguel Reyes’ Geist spukt hier noch herum. So wie viele andere Geister.« Das Stadion sei an eben der Stelle errichtet worden, an der 1811 der Revolutionsheld und Unabhängigkeitskämpfer José Gervasio Artigas, der sein Leben dem Kampf gegen das koloniale Streben Spaniens, Portugals und Großbritanniens gewidmet hatte, zum Führer der Uruguayer ausgerufen worden war. Nacional hatte bei der Gründung 1899 die von Artigas populär gemachten Farben Blau, Weiß und Rot übernommen und damit den Grundstein für die ewige Rivalität mit Peñarol gelegt.

      In dem Buch Golazo erklärt der uruguayische Autor Andreas Campomar: »Mein Vater war Fan von Nacional, die in dem Blau, Rot, Weiß unseres nationalen Befreiungshelden José Artigas aufliefen. Dagegen schloss ich mich Peñarol an, einem Arbeiterverein, der im letzten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts als Central Uruguay Railway Cricket Club gegründet wurde.« Laut Campomar hüllten sich die Nacional-Anhänger in ihr vermeintlich einzigartiges Uruguayertum und verhöhnten Peñarol als Klub der Ausgeschlossenen und Einwanderer. »So kam es zu Peñarols Spitznamen mangare merda (›Scheißefresser‹).« Peñarols Fans erledigten die Jobs, die sonst niemand machen wollte, und entschärften die gegen sie gerichteten dünkelhaften Spitzen, indem sie sich diese kurzerhand aneigneten.

      Im April 1920 duellierten sich in dem Stadion der vormalige uruguayische Präsident José Batlle y Ordóñez und der Journalist und Politiker Washington Beltrán. Batlle hatte in seinen beiden Amtszeiten entscheidend an der Einführung eines

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