Die katholische Kirche und die Medien. Wolfgang Beck

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Die katholische Kirche und die Medien - Wolfgang Beck

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Ernstnehmen einer „Option für die Armen“, für die Metz vorwiegend im Modus theoretischer Reflexion wichtige Grundlagen geschaffen hat.

      Wurde es zum Ende des 20. Jahrhunderts um den Ansatz von der Neuen Politischen Theologie ruhig, sodass von einer „Krise“ gesprochen werden musste, gibt es in jüngerer Zeit Ansätze zu ihrer Aktualisierung.215 Sie sind auch eine Antwort an das neu erwachte gesellschaftliche Interesse an Religionen: Zunächst sind Religionen, insbesondere in ihren extremistischen Ausformungen, seit Beginn des 21. Jahrhunderts stark in den Medien und öffentlichen Debatten präsent. Darüber hinaus kommt es zu öffentlichen Debatten über den gesellschaftlichen Beitrag der Religionen zu den ethischen Grundlagen einer demokratischen Gesellschaft. So ist ein wiedererwachtes zivilgesellschaftliches Interesse am öffentlichen Beitrag der Religionen zu konstatieren.

      Im Bereich evangelischer Theologie hat die Neue Politische Theologie zunächst in der Arbeit von Jürgen Moltmann216 ihre Entsprechung gefunden. Bemerkenswert ist die Wirkung, die auch daraus für den Entwurf einer Öffentlichen Theologie217 im Feld der Sozialethik mit Vorläufer_innen in der US-amerikanischen „Public Theology“ erwachsen ist. Sie wird insbesondere von Wolfgang Huber218 und Heinrich Bedford-Strohm219 entwickelt und konnte durch deren Funktionen als Landesbischöfe und EKD-Ratsvorsitzende über den wissenschaftlichen Kontext hinaus prägend werden. Gegen die Verlusterfahrungen einer gesellschaftlichen Marginalisierung der Volkskirchen in den Säkularisierungsprozessen moderner Gesellschaften setzt die Öffentliche Theologie die profilierte Beteiligung an zivilgesellschaftlichen Diskursen. Damit bringt sich Öffentliche Theologie in zivilgesellschaftliche Diskurse mit Orientierungsangeboten ein: „Kennzeichen öffentlicher Theologie ist der Versuch, die Befragung der eigenen Traditionsquellen der Theologie mit größtmöglicher Kommunikabilität im allgemeinen politischen und gesellschaftlichen Diskurs zu verbinden.“220 Öffentliche Theologie und Politische Theologie221 sind damit in doppelter Hinsicht befreiende222 Theologien: Sie sind leidsensibel gegenüber den Marginalisierten und Bedrängten einer Gesellschaft (Option für die Armen)223 und leisten damit einen Beitrag zum Eigenstand der Gesellschaft.224 Sie haben aber zugleich befreiende Wirkung für eine zum Rückzug neigende und sich selbst marginalisierende Kirche. In dieser doppelten Ausrichtung wäre die Rede von einer „gefährlichen Freiheitserinnerung“225, wie sie Metz in seinem Ansatz entwickelt hat, um damit das kritische Potenzial des Christentums in der Gesellschaft zu markieren und auch in umgekehrter Richtung wahrzunehmen: Christliche Theologie enthält eine für sie selbst „gefährliche Erinnerung“ an ihre eigene Kraft und Größe, wie sie dazu neigt, sich mit den eigenen Strukturen abzufinden, und eine minoritäre Mentalität226 ausbildet. Die auf die Kirche selbst bezogene Freiheitserinnerung steht in den Ansätzen der Neuen Politischen Theologie hinter ihrer Wirkung für und in der Gesellschaft zurück.

      Der Blick auf die Strukturen und Mechanismen in einer Mediengesellschaft eröffnet die Chance, diese wechselseitige Ausrichtung der christlichen Verkündigung zu erkennen. Die irritierenden und verunsichernden Wirkungen und Effekte moderner Medien könnten so einen wichtigen Beitrag leisten, der Kirche auch selbst immer wieder zu einem „Befreiungsprozess“227 zu verhelfen. Die hier erkennbare, doppelseitige Wirkung wird in Wissenschaften, wie der Soziologie, im Kontext eines „public turn“ reflektiert. Er symbolisiert das wissenschaftliche Interesse, theoretische Erkenntnisse nicht nur auf die Wirklichkeit zu übertragen, sondern sie aus der Praxis heraus zu entwickeln. Auch hier ergibt sich also jene Wechselseitigkeit, die im Verhältnis von Kirche und Medien konstatiert werden kann.

      Für die Beschäftigung mit Medien ergeben sich daraus wichtige Schlussfolgerungen:

      1. Sie können nicht nur als Instrument zur Verbreitung eigener Einsichten und kirchlicher Positionen verstanden werden, sondern bieten vor allem die Chancen, öffentliche Debatten und gesellschaftliche Entwicklungen wahrzunehmen und diese auch als Impulse für die Theologie wirksam werden zu lassen. Wer Medienarbeit lediglich auf die Indienstnahme für kirchliches Sendungsbewusstsein reduziert, schadet deshalb der Theologie! Innerhalb der Missionstheologie hat sich diese Veränderung als Abschied von (auch theologischem) Kolonialismus etabliert. Für die konkrete kirchliche Medienarbeit bedeutet dies auch, dass sie sich nicht auf das Verständnis eines identitätsprofilierenden228 Marketings reduzieren lassen darf, indem sie die Botschaft des Evangeliums bruchlos mit der Institution Kirche identifiziert und sich damit selbst ihres theologiegenerativen Irritationspotenzials beraubt.

      2. Westliche Gesellschaften werden seit der Mitte des 20. Jahrhunderts zunehmend als Mediengesellschaften charakterisiert. Darin wird erkennbar, dass die gesellschaftliche Funktion der Medien und ihre Prägekraft für öffentliche Debatten wie auch für das alltägliche Leben von Bürger_innen zu einem grundlegenden Strukturprinzip des Zusammenlebens geworden sind. Es wäre also zu fragen, wie sich dieses Strukturprinzip auch auf alle kirchlichen Lebensvollzüge und Grunddienste auswirkt.

      Eine Analyse der Mediengesellschaft als „Zeichen der Zeit“ gehört zu den ausstehenden Aufgaben der wissenschaftlichen Theologie und wäre deshalb wichtig, weil mit ihr eine tendenziell pessimistische Grundausrichtung229 und ein Habitus des einseitigen Protestes230 überwunden werden könnten.

      Zu den elementaren Bestandteilen der Reich-Gottes-Botschaft Jesu gehört die Befreiung von sehr realen Erfahrungen des Leids, der Einschränkung von Entwicklungsmöglichkeiten und nicht zuletzt der Armut. Damit kommt der Reich-Gottes-Botschaft eine umfassend befreiende Wirkung zu. Es war zu sehen, dass diese Effekte insbesondere von der Politischen Theologie und der Befreiungstheologie reflektiert und auf ihre theologischen und kirchlichen Konsequenzen hin befragt werden. Die Beschäftigung mit modernen Medien nicht nur im Zusammenhang mit Fragen der kirchlichen Verkündigung zu realisieren, wirft die Frage auf, wie deren Verhältnis zur Reich-Gottes-Botschaft zu bestimmen ist.

      Zunächst lassen politische Umwälzprozesse des 21. Jahrhunderts erkennen, dass diese eng mit der Nutzung von digitalen Medien verbunden sind: die Vernetzung von Protestbewegungen gegenüber diktatorischen Regimen, die Koordination oppositioneller Gruppierungen und Menschenrechtsaktivist_innen.

      Die langjährige Inhaftierung des Bloggers Raif Badawi in Saudi-Arabien und vieler anderer Dissident_innen in China, Russland und der Türkei zeigen, dass Einschränkungen der Meinungs- und Pressfreiheit im 21. Jahrhundert meist mit Eingriffen in die Nutzung digitaler Medien durch undemokratische Regime verbunden sind. Denn sie ermöglichen schwer zu kontrollierende Informationsflüsse und konstituieren als bedrohlich empfundene Netzwerke.

      Kurzum: Digitale Medien sind für diktatorische Regime bedrohlich, weil sie freiheitsfördernde Effekte generieren. Darin liegt eine ihrer größten politischen Chancen und ein wichtiger Anknüpfungspunkt für die kirchliche Rede von der Reich-Gottes-Botschaft in der Moderne.

      Zugleich sind jedoch die freiheitsmindernden Effekte digitaler Medien mit zu berücksichtigen.

      Sie werden im deutschen Sprachraum vor allem von dem Philosophen Harald Welzer vertreten, der den Mechanismen digitaler Medien selbst diktatorische Züge unterstellt: Sie erlauben Formen der digitalen Überwachung durch „Selbstzwangtechnologien“ ohne rechtsstaatliche Achtung vor der Privatsphäre.231 Sie speichern Konsum- und Mobilitätsgewohnheiten, wie es bis dahin keinem Unrechtsregime in vergleichbarer Effektivität gelungen war. Sie befördern über das öffentliche „Shaming“ bis hin zu „Shitstorms“ auch soziale Ausgrenzung. Am deutlichsten werden diese Mechanismen in der Analyse von Sortierungsalgorithmen, wie sie in den Social Media zum Einsatz kommen: die Auswahl bestimmter Postings, die einem zuvor analysierten Nutzungsverhalten entsprechen;232 die Angebote von YouTube-Videos, die anhand der schrittweise zunehmenden „Personalisierung“233 ergänzt werden. Wenn Internetsuchmaschinen die Priorisierung von Informationsangeboten an Konsum- und Bewegungsschemata der Nutzer_innen orientieren, ohne diese Vorsortierung zu einsehbar zu gestalten, sind sie zugleich Bestandteil

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