Die katholische Kirche und die Medien. Wolfgang Beck
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Da sich zu Beginn des 21. Jahrhunderts die Grenzen dieser Mediensegmente kaum noch eindeutig ziehen lassen, zeigt sich zunehmend Klärungsbedarf. Überlegungen zu einer alle Medien umfassenden „Stiftung Medientest“156 haben dies zum Ausdruck gebracht.
Unter dem Begriff der Medienethik157 haben sich unterschiedliche Arbeitsfelder und verschiedene Fragestellungen entwickelt, die hier vor allem exemplarisch aufgezeigt werden sollen: ethische Fragen in der Werbung,158 ethische Fragen im Umgang mit Bildrechten und bildethische Reflexionen,159 Manifestierungen von gesellschaftlicher Ungerechtigkeit in der Verstärkung von Geschlechterstereotypen160. Nicht erst in Fragen des Jugendschutzes wird im Hinblick auf Gesetzgebung wie auch in der medialen Selbstkontrolle das Bewusstsein für Wirkungen von Medien und öffentlicher Kommunikation reflektiert.161
Ein besonderes Feld stellen medienethische Fragestellungen im Bereich des Internets und insbesondere der Social Media dar. Aufgrund der jungen Entwicklungsgeschichte ergeben sich viele Fragen, die nicht zuvor schon in ähnlicher Weise gesellschaftlich geklärt werden konnten und Bestandteil einer „Ethik im digitalen Zeitalter“162 sind:
a) der Umgang mit einer Fülle von personenbezogenen Daten, die bei einzelnen Unternehmen gesammelt, für wirtschaftliche Zwecke genutzt oder als Ware Dritten angeboten werden,
b) die Frage von rechtlicher und ethischer Verantwortlichkeit163 weitgehend eigenständig agierender Technik,
c) die Internationalität im Umgang mit Datenschutzbestimmungen,
d) die Suchtgefahren bei internetgestützten Spielen,164 Glücksspiel und Pornografie,165
e) der Umgang mit Anonymität insbesondere im Hinblick auf Straftaten im Bereich des „Darknet“,166
f) die Ausgestaltung des Jugendschutzes in Werbung167 und Film,
g) die mangelnde Transparenz von ökonomischen Interessen innerhalb der verschiedenen Digitalformate und die Auswertung von konsumentenbezogenen Daten,
h) die Wahrung von Urheber_innenrechten,168 für die im Jahr 2017 bei der Interessenvertretung von Autor_innen und Verlagen, der VG-Wort, neue Regelungen gefunden werden konnten.
Um die gesellschaftliche Diskussion dieser Fragestellungen zu forcieren und innerhalb der EU-Staaten zu einer abgestimmten Gesetzgebung zu finden, wurde im Jahr 2016 eine „Digitalcharta“ entwickelt, in der Grundsätze für ethische Bestimmungen zur Digitalität formuliert und in das EU-Parlament eingebracht wurden (www.digitalcharta.eu). Der Diskussionsprozess dazu hält weiter an und kann in einer eigenen Internetpräsenz beobachtet und auch mitgestaltet werden.
Neben dieser Reihe von gesellschaftlichen und politischen Fragestellungen, die auf nationaler und auch auf internationaler Ebene bislang noch der Klärungen und der öffentlichen Meinungsbildungsprozesse bedürfen, gibt es auch eine Reihe medienethischer Fragen, die weniger in der Öffentlichkeit präsent sind und kaum auf eine rechtliche Regelung abzielen. Dazu gehört die Frage, wie angesichts von ökonomischen Zwängen, unternehmerischen Fusionen und der personellen Reduzierung von Redaktionen Qualitätsjournalismus als wichtiger Bestandteil einer demokratischen Gesellschaft gewährleistet werden kann. Des Weiteren: Wie wird der pietätvolle Umgang mit Menschen, die ein Selbstbestimmungsrecht nicht wahrnehmen können oder nicht mehr haben, in einer Gesellschaft konsensfähig gestaltet (z. B. bei der bildlichen Darstellung von Unfallopfern oder in der Kriegsberichterstattung)?
Ein profiliert theologischer Beitrag zu Fragen der Medienethik wurde von Johanna Haberer mit der Formulierung von „10 Geboten für die digitale Welt“169 vorgelegt, in denen vor allem eine ausgeprägte Skepsis gegenüber den Social Media erkennbar wird.
Aktuelle Beschäftigungen mit medienethischen Fragestellungen und Problemfeldern aus katholisch-theologischer Perspektive finden zunehmend in der Zeitschrift „Communicatio socialis“ statt. Bereits 1968 von dem Theologen und Publizisten Franz-Josef Eilers gegründet, wurde die Zeitschrift 2013 in einer Profilierung auf die Medienethik spezifischer ausgerichtet.170
Intensive gesellschaftliche Diskussionen um das Vertrauen gegenüber Informationsangeboten im Internet entstanden bereits in den 1990er-Jahren im Umgang mit dem Online-Lexikon Wikipedia, das sich in kurzer Zeit als allgemein zugängliche Informationsquelle etablieren konnte, in Wissenschaft und Lehre jedoch aufgrund seiner Anfälligkeit für Manipulationen auf starke Vorbehalte traf.171
Auch mit dem Erstarken populistischer Parteien in einer ganzen Reihe westlicher Gesellschaften entstanden gegenüber etablierten Medien eine breit aufgestellte Kritik und der Verdacht der interessegeleiteten Auswahl von Informationen. Diese Auswahl von Informationen ist Bestandteil jeder redaktionellen Arbeit und erzeugt immer wieder Spekulationen über offene und verdeckte Motive für entsprechende Prioritätensetzungen:
Die negative Einschätzung klassischer Medienformate und die Bevorzugung direkter Kommunikation in Social-Media-Formaten, wie z. B. Twitter, bewirken in der Regierungszeit des US-Präsidenten Donald Trump ein gesteigertes Problembewusstsein im Umgang mit Medien.
Neben der geschilderten strategischen Auswahl von Informationen gehören auch lancierte Falschmeldungen, sogenannte „Fake News“, zu aktuellen gesellschaftlichen und politischen Ereignissen. Mit der karikaturesk beschönigenden Umschreibung „alternativer Fakten“ markieren „Fake News“172 nichts anderes als die altbekannten Phänomene von Lügen, Fälschungen und Betrug. Werden diese Phänomene und ihre Auswirkungen auf gesellschaftliche Debatten und konkrete Regierungsarbeit in der Fokussierung auf digitale Medien besonders dramatisch dargestellt, zeugt dies auch von Geschichtsvergessenheit. Das anschaulichste Beispiel liefert hier ausgerechnet die Kirchengeschichte mit der „Konstantinischen Schenkung“. Es handelt sich um eine um 800 n. Chr. gefälschte und auf das Jahr 315 n. Chr. datierte Urkunde, mit der Kaiser Konstantin I. der Kirche bzw. Papst Silvester I. von Rom und all seinen Nachfolgern große Territorien Mittelitaliens überlassen haben sollte. Der auf die Fälschung aufbauende Betrug konnte maßgeblich zum Aufbau der weltlichen Macht des Papstamtes und zur Rechtfertigung der dominanten Position des Patriarchates von Rom gegenüber den östlichen Teilen der Kirche (insbesondere gegenüber dem Patriarchat von Konstantinopel) beitragen. Damit ist die „Konstantinische Schenkung“ ein Inbegriff der menschlichen Erfahrung, dass Fälschungen und Lügen wohl zu allen Zeiten gerade auch in alltäglichen Lebensvollzügen173 unabhängig von ihrer moralischen Bewertung menschliches Zusammenleben geprägt haben. Fake News sind also kein spezifisches Phänomen des 21. Jahrhunderts oder der digitalen Medien, ihre Wahrnehmung und Diskussion erfolgt jedoch mit einer zunehmenden Sensibilität, da die neu entstandenen Medienformate die Filterfunktion von Redaktionen weitgehend eliminiert haben und allen Interessierten die Möglichkeit bieten, aktiv öffentliche Diskurse mitzugestalten. Daraus leitet sich eine gesteigerte Erwartung an die Transparenz von Medienarbeit, politischen Entscheidungen und der Arbeit von Institutionen allgemein ab, wie auch der populäre Ruf nach Authentizität als Bemühen um Vertrauenswürdigkeit und Verlässlichkeit in öffentlicher Kommunikation: Die Schwierigkeit der Bewertung von verlässlichen Informationen erzeugt Unsicherheitserfahrungen („Auf wen ist noch Verlass, wenn sich selbst seriöse Informationsquellen widersprechen?“). Diese Unsicherheit legt zunächst eine Grundhaltung des Verdachtes nahe, der sich kaum durch eigene Überprüfungen ausräumen lässt, als Medienkritik formuliert wird und dabei in extreme Ausformungen von Verschwörungstheorien174 übergeht. Demgegenüber stellen der Ruf nach Transparenz175 insbesondere gegenüber Institutionen