Die katholische Kirche und die Medien. Wolfgang Beck
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3.1. Biblische Grundlagen
Insofern Medien in einer sehr allgemeinen Bestimmung als Vergrößerung des menschlichen Wirkradius verstanden werden, gehören sie selbstverständlich zum menschlichen Leben und finden sich damit auch in biblischen Texten. Eine besondere Bedeutung erhalten sie jedoch dort, wo sie religiös konnotiert sind und als zentraler Bestandteil der Kommunikation zwischen Gott und dem Menschen beziehungsweise im Speziellen dem Volk der Israeliten gedeutet werden. Wenn das Blut an den Türen der Israeliten (Ex 12,7) sie von den Ägyptern unterscheidet und damit ihre Flucht aus der Sklaverei in das Gelobte Land ermöglicht, erhält es eine mediale Funktion und ermöglicht erst die Kommunikation zwischen Gott und den Israeliten. Die Liste derartiger Medien in den biblischen Texten ist lang, sodass sie hier nur exemplarisch benannt werden sollen: Motive wie die Feuersäule (Ex 13,21) als Medium göttlicher Kommunikation werden so konstitutiv für das Gelingen dieser Beziehung, dass sie zum Symbol der Gottesnähe generell avancieren und sich durch biblische Bücher, unterschiedliche Gattungen und verschiedene Epochen hindurch bis zur Offenbarung des Johannes als letztem Buch des Neuen Testaments fest etablieren (Offb 10,1 und Offb 14,15).
Parallel zu diesen besonderen Symbolen, die als Medien im Dienst göttlicher Kommunikation stehen, gibt es die Vorstellung, dass Menschen als personales Medium fungieren, durch die hindurch Gott seinen Willen mitteilt. Dies gilt biblisch in besonderer Weise für Moses, der in der biblischen Tradition Inbegriff der menschlichen Indienstnahme wird. Diese Vorstellung setzt sich in der Tradition der Propheten fort. Das Prophetenbuch Jona kann hierbei als Beispiel für die Herausforderungen betrachtet werden, die sich aus dieser Indienstnahme als göttliches Medium ergeben können: Nicht nur die Konflikte zu den Zeitgenossen, die in göttlichem Auftrag zur Umkehr gerufen werden sollen, stellen sich Jona als bedrohlich dar. Auch scheint es immer wieder zu Missverständnissen zwischen ihm und Gott zu kommen, in deren Entwicklung Fauna und Flora in Dienst genommen werden müssen, um Jona einen Lernprozess zu ermöglichen. Damit er versteht, worum es Gott geht, braucht es nicht nur den großen Fisch, um seine Flucht zu verhindern. Es braucht nach Jonas Predigt in Ninive auch noch eine kleine Pflanze und einen Wurm, mit deren Hilfe Jona erst versteht, warum Gott so barmherzig und liebevoll mit den störrischen Menschen umgeht. Hier kommen mehrere Medien zum Einsatz, um den Kontakt zwischen Gott und Mensch halbwegs gelingen zu lassen.
Das Bewusstsein für die besondere Erwählung einzelner Menschen neben dem Wissen um die Erwählung Israels als Gottes eigenes Volk bildet in den biblischen Texten des Alten Testaments einen eigenen Traditionsstrang, auf dem die neutestamentliche Überlieferung selbstverständlich aufbaut. Die Rolle Johannes’ des Täufers, Mariens oder auch die symbolische Erwählung von Aposteln zum Zwölferkreis erfolgen auf dieser Grundlage. Und insbesondere das Verständnis Jesu als erwarteter Messias mit den Titeln Menschensohn, Kyrios und später Christus führen das personale Medienbewusstsein fort,189 bis hinein in das christliche Bekenntnis von der Menschwerdung Gottes. Jesus selbst fungiert hier für den Theologen der frühen Kirche, Origenes, zur personifizierten Botschaft vom Reich Gottes, zur „autobasileia“190. Er ist das Medium schlechthin, in dem nach frühkirchlicher Überzeugung der Mensch Gott begegnen kann.
Nicht nur als strategische Notwendigkeit, sondern als zentrales Element der Reich-Gottes-Botschaft ist der Auftrag zur Verkündigung von Beginn der sich bildenden Gemeinschaft um Jesus an zu finden. Die Aussendung von Jünger_innen bildet ab, was sich mit der Entstehung erster christlicher Gemeinschaften vor allem in Verbindung mit Synagogen beobachten lässt: eine Verkündigungspraxis, die weit mehr ist als bloßes Marketing oder Öffentlichkeitsarbeit.
Es gehört zu den tragischen und nicht biblisch fundierten Missverständnissen insbesondere der christlichen Geschichte, dass derartige religiöse Indienstnahmen von Menschen zunehmend exklusiv verstanden wurden und damit unterschiedliche Facetten von Herrschaftsgebaren ermöglichten.
Die expansive Kraft der Reich-Gottes-Botschaft Jesu bewirkt durch Zeugenschaft eine Faszination, die ihrerseits zur wichtigsten Grundlage der Osterbotschaft wird. Die historisch-kritische Frage nach Verlässlichkeit des leeren Grabes oder der Zeugen für Begegnungen mit dem Auferstandenen relativiert sich angesichts der entstehenden Jesus-Bewegung, der Separierung eigener Gemeinden neben den Synagogen und dem beginnenden kirchlichen Leben. Diese Entwicklung, die bis heute kaum schlüssig erklärt werden kann, wäre ohne eine überzeugende Verkündigungspraxis nicht vorstellbar. Zu ihr gehört auch die Ausweitung des Wirkradius mit Hilfe der Reisetätigkeit des Paulus und vor allem seiner Briefe. Zu ihr gehört die redaktionelle Arbeit der Evangelisten und die Jahrhunderte anhaltende und zunehmend verbindliche Bildung des Kanons biblischer Schriften. Neben den personalen Medien der Menschen, die ihren Glauben bezeugen, stellen die biblischen Schriften die wichtigste Ausformung mediengestützter Verkündigungspraxis dar. Und weil Verkündigung immer aus Auslegung sowohl der biblischen Schriften als auch der je neu gegebenen gesellschaftlichen Umstände und Herausforderungen besteht, ergeben sich an diesen Konkretisierungen immer auch heftige Auseinandersetzungen.
Eine besondere Dominanz der medialen Prägekraft entsteht für den Medien-Historiker Jochen Hörisch mit der Etablierung des Abendmahls als zentraler symbolischer Akt. In Brot und Wein als Grundlage der sakramentalen Feier der Eucharistie sieht er gerade seit der Konstantinischen Wende und bis hinein in die Neuzeit „Formationen semontologischer bzw. ontosemiologischer Synthesis“191.
3.2. Buchdruck, Reformation und Aufklärung
Grundlegende kulturhistorische Entwicklungen des Mediengebrauchs entstehen etwa durch die gesellschaftliche Etablierung von Geldmitteln und die Ablösung des Tauschhandels, in der Erfindung des Buchdruckes oder gegenwärtig durch die digitalen Medien. Gerade am Medium Geld wird die Verbindung des äußeren Zeichens des Mediums mit seinem bezeichneten Inhalt sichtbar: „Sein und Zeichen fallen zusammen. Seine Erosion erleidet das erste Massen- und Leitmedium Abendmahl in dem Maße, wie sich Geld als neuzeitlich-modernes Massenmedium durchzusetzen beginnt.“192 Hier genügt zunächst die Beobachtung, dass (Massen-)Medien sich in Formen darstellen, die umgangssprachlich sicherlich nicht mit dem Begriff der Medien verbunden werden.
Üblich ist eine Reduzierung des Medienbegriffs auf klassische Formate und damit auch ein tendenziell vereinfachtes Verständnis von Medien als bloßen Mitteln zum Transport von Informationen.
Wie wenig ein solch reduziertes Verständnis ausreicht, wird mit der Verbreitung des Buchdrucks seit der Mitte des 15. Jahrhunderts erkennbar. Erst mit ihm wird nicht nur eine flächendeckende Verbreitung der Bibel und religiöser Bildung möglich, sondern auch die religiösen und politischen Umwälzungen in Folge der Reformation.193 Dem Buchdruck kommt nicht nur in seinen demokratisierenden Effekten (Aufkommen von Flugblättern und ersten Zeitungen), sondern auch aufgrund seiner Impulse für Wissenschaft und Bildung (Bildungszugang für breitere Bevölkerungsschichten) größte gesellschaftliche Bedeutung zu.
Gerade die Wirkmächtigkeit von Medien in ihren gesellschaftlichen Bezügen steigert in der Neuzeit das Bewusstsein für ihre politische Instrumentalisierung.
Hatte der Buchdruck für das Verständnis der aus der Reformation hervorgegangenen Kirchen zentrale Bedeutung und bildete die Grundlage für das eigene wissenschaftliche und theologische Selbstverständnis, kann dies für die katholische Kirche nur in deutlich geringerem Umfang beobachtet werden. Hier erlangen der Buchdruck und das Zeitungswesen in den Auseinandersetzungen des Kulturkampfes des 19. Jahrhunderts und der kirchlichen Konzeption des Milieukatholizismus größere Bedeutung. Die konfessionalistische Abgrenzung des katholischen Milieus in den entstehenden Großstädten und industriellen Ballungsräumen ist einer Abschottung gegenüber Andersgläubigen verpflichtet und konstruiert eine kirchliche Welt, in der Einzelne von der Geburt an durch ein kirchliches Bildungssystem, pfarrliche und verbandliche Aktivitäten bis ins hohe Alter abgeschlossen begleitet und vor Irritationen durch Andersgläubige bewahrt