Die katholische Kirche und die Medien. Wolfgang Beck
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Diözesane Kirchenzeitungen wie auch die Mitgliederzeitschriften von kirchlichen Verbänden lassen bis in die Gegenwart den großen Stellenwert der konfessionellen Presse in der katholischen Kirche in Deutschland und die Bedeutung für die Pflege einer katholischen Identität erkennen.
Diese verstärkt sich durch das Aufkommen von bildgebenden Medien (zunächst Film) und dem Rundfunk im 20. Jahrhundert und gipfelt in den dunklen Auswüchsen der Propaganda diktatorischer Regime und Ideologien, insbesondere des Nationalsozialismus. In bis dahin nicht gekannter Form wird das manipulative Potenzial von Medien zur Steuerung von breiten Bevölkerungsteilen eingesetzt. Unabhängig von der propagandistischen Beanspruchung der Medien hat sich die Präsenz der Manipulation vor allem in Werbung194 und Marketing195 erhalten.
3.3. Massenmediale Aufbrüche
Das konfessionelle Zeitungswesen konnte auch aufgrund der Förderung durch die alliierten Siegermächte nach dem Zweiten Weltkrieg neu errichtet werden und erlangte eine beachtliche Vielfalt.196
Erst mit der stärkeren Verbreitung von Fernsehen und Rundfunk197 als Elemente bürgerlichen Lebensstandards bricht das Ende der „Gutenberg-Galaxis“ an. Für die kirchlichen Printmedien ergibt sich am Ende des 20. Jahrhunderts sowohl aufgrund der veränderten Medienlandschaft als auch durch eine fortschreitende gesellschaftliche Säkularisierung eine massive Krise.
Mit der Zulassung privater Fernsehsender198 zeichnet sich ab, was dann im Internet und mit dem Web 2.0 am Beginn des 21. Jahrhunderts vollends beobachtbar wird: die De-Monopolisierung von Meinungsbildungsprozessen und Informationsvermarktung, in der auch die Profile journalistischer Berufsbilder zunehmend nivelliert werden. Politische Debatten sind im Zuge dieses Prozesses nicht mehr vorrangig in Parlamenten verortet, sondern auch in Medienformaten, in denen die Gegenüberstellung von Sender und Hörer_in, von Produzent_in und Rezipient_in aufgelöst ist. Jeder und jede kann nun live Informationen verbreiten, Meinungen äußern und kommentieren. Hier ereignet sich mit den Social Media von Facebook, Instagram, WhatsApp, YouTube199 und Snapchat eine bislang ungeahnte Dezentralisierung, eine beeindruckende Zunahme der Innovationsintervalle200 in der Etablierung neuer Medienformate201 und die (durchaus auch ambivalente) Auflösung von Kontrollmöglichkeiten, was erklärt, warum in stark hierarchisch entwickelten Institutionen die Vorbehalte ausgeprägt sind, die allen Institutionen zur Herausforderung werden, wie der Soziologe Michael N. Ebertz formuliert:
„Der kommunikative Kontrollverlust der Religion über die Religion dürfte in der durchmedialisierten Gegenwartsgesellschaft die zentrale Herausforderung für jede Religion darstellen. (…) Das Kontrollproblem wird zur zentralen Herausforderung aller herkömmlichen Institutionen, nicht nur der Religionen, sondern auch von Wissenschaft, Medizin, Militär und Diplomatie.“202
Häufig bauen diese Ressentiments203 auf der Unterscheidung von realer und virtueller Wirklichkeit auf, die sich jedoch spätestens mit der Beobachtung von politisch-gesellschaftlichen, wirtschaftlichen Konsequenzen als absurd entlarvt: Die virtuelle Welt ist Teil der ganzen geschöpflichen Realität und nicht davon zu separieren.204 Die schrittweise Verbreitung des Internet mit einer hundertprozentigen Zugangsmöglichkeit in westlichen Industrienationen verändert auch kirchliche Debatten. Sie gleichen sich allen anderen gesellschaftlichen Debatten in Form und Stil weitgehend an. In Erinnerung an die expansive Kraft der Reich-Gottes-Botschaft nach Tod und Auferstehung Jesu fällt jedoch die kommunikationshistorische Parallele der scheinbar unaufhaltbaren Expansion auf – diesmal freilich ohne erkennbar jesuanische Prägung. Elemente und Fragestellungen wie die unendliche (ewige?) Präsenz von Account-Inhaber_innen in Internetforen bringen Vorstellungen von Ewigkeit und Auferstehung hervor, die zunächst kaum mit christlichen Vorstellungen vereinbar scheinen, doch mit gleichen oder ähnlichen Begrifflichkeiten verbunden sind. Hier wird zunehmend unübersehbar: Digitale Medien sind – gegen die Annahme einer scharfen Kontrastierung205 – auch ein religionsproduktiver Ort,206 der Steuerungsversuchen und Deutungsmonopolen entzogen ist.207
Schon früh wurden Talkshows zu alternativen Beicht-Settings. Die Prägekraft der Fernsehsendung „Traumhochzeit“ bestimmt bis in die Gegenwart die Details auch von kirchlichen Trauungen. Und das „Dschungelcamp“ avanciert zum alternativen Initiationsritus. Das sind nur wenige Beispiele, in denen sich die Rede von einer „TV-Religion“208 nahelegt.
Dabei verläuft ihre Entwicklung jedoch erkennbar kontrastierend zum christlichen Inkarnationsgedanken und dessen Grundausrichtung vom Wort zum Fleisch (Joh 1). Deshalb bedarf es einer Medienhermeneutik, bei der mit prophetischer Kraft im Sinne Hans-Joachim Höhns nicht Künftiges vorhergesagt, sondern vor allem Gegenwärtiges in seinen hintergründigen Strukturen wahrgenommen und gedeutet wird: „Es hat zuerst etwas mit Ästhetik (als Kunst der Wahrnehmung) und Kritik (als Kunst der Unterscheidung von Chance und Gefahr) und dann erst mit Ethik (als Kunst der Gestaltung und Darstellung gelungenen Daseins) zu tun.“209 In dieser Grundstruktur einer Medienhermeneutik wird eine Parallele zu theologischen Ansätzen erkennbar, von denen bei dem Bemühen um die Deutung von Medienstrukturen Lerneffekte erhofft werden können.
3.4. Gesellschaft gestalten und Themen setzen
Um die öffentliche Ausrichtung des Christentums zu verstehen, wäre es unzureichend, sich lediglich auf Jesu Aussendung von Jünger_innen zur Verkündigung seiner Botschaft und zum Heilungs- und Heiligungsdienst zu fokussieren. Zwar stellt diese missionarische und evangelisierende Form des Weltbezugs ein zentrales Element des Verhältnisses von Gesellschaft und Christentum dar, allerdings längst nicht den einzigen. Wenn sich die Kirche im Zweiten Vatikanischen Konzil selbst zur Wahrnehmung der „Zeichen der Zeit“ verpflichtet, drückt sich darin ein wichtiger Bestandteil des Anliegens aus, jegliche Gegenüberstellung zwischen Gesellschaft und Kirche zu überwinden und sich dadurch mit ihren jeweiligen Zeitgenoss_innen zu solidarisieren.
Sehr profiliert wurde dies Anliegen von dem Theologen Johann Baptist Metz aufgegriffen. Er entwickelt in der Neuen Politischen Theologie (in Absetzung zur „Politischen Theologie“ von Carl Schmitt in den 1920er-Jahren)210 einen doppelten Gegenakzent: 1. Gegen eine Theologie, die sich aus einer Kontrastierung von Theorie und Praxis heraus versteht (also als Wahrheit, die nur noch zu vermitteln wäre) und sich in einer Ausrichtung allein auf die Welt der eigenen Konfession selbst begrenzt. 2. Gegen ein privatisiertes Religionsverständnis, bei dem auch die Religionspraxis und Spiritualität lediglich auf die Bedürfnisse der Einzelnen ausgerichtet sind und um den Preis der Möglichkeiten zur zivilgesellschaftlichen Mitgestaltung privatisiert wird.211 Gegen diese Versuchungen stellt Metz ein grundlegend verändertes Theorie-Praxis-Verhältnis, aus dem sich nicht nur eine Stärkung der christlichen Sozialethik ergibt, sondern auch die Erkenntnis, dass Theologie immer von den gesellschaftlichen Ereignissen und Entwicklungen der jeweiligen Gegenwart mitgeprägt ist und sein muss. Daraus ergeben sich die zwei zentralen Elemente jeder gegenwartssensiblen Theologie: Aktualisierungen und Konkretion.
Insbesondere die Erfahrung der Shoa gewinnt dabei für Metz als markantes historisches Ereignis Bedeutung, um an einer „Theologie nach Auschwitz“ beispielhaft die Unmöglichkeit einer neutralen Theologie und die Notwendigkeit einer sich immer wieder ihrer Kontextualität212 vergewissernden Theologie aufzuzeigen.
Dem Anliegen der Neuen Politischen Theologie trägt in besonderer Weise auch die Befreiungstheologie213 Rechnung. Sie baut auf der Wahrnehmung von konkreten gesellschaftlichen Missständen auf und ist damit ein Beispiel für die Bereitschaft und Wahrnehmungsfähigkeit einer Theologie, die sich ihre Themen und Fragestellungen aus ihren gesellschaftlichen Kontexten vorgeben lässt. Sie setzt damit die Suche nach und das Ringen um die „Zeichen der Zeit“ fort.214