Praktische Theologie in der Spätmoderne. Группа авторов
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Das solchermaßen plural strukturierte Volk Gottes sucht sich mit Tapferkeit, Erfindungsgeist und Lebenswitz längst eigene Orte im spätmodernen Alltag der Gegenwart – und ist seiner Theologie damit voraus:
„Die Theologie ist […] zur Zeit eher mit bilanzierenden Projekten beschäftigt […] denn mit der Bearbeitung innovativer Themen […], wie sie sich aus der Situation des Volkes Gottes […] ergeben. […] Es soll daher die Vermutung zur Diskussion gestellt werden, dass die deutsche katholische Theologie […] nach ihrem Status als Hoffnungsträgerin […] im konziliaren Aufbruch nunmehr […] gegenüber der realen Problemlage des Volkes Gottes […] in einen spezifischen Rückstand geraten ist. […] Solange die Theologie sich mit dieser Gegenwart im Muster entsolidarisierenden Kulturpessimismus‘ […] auseinandersetzt, gerät sie massiv in Rückstand zum Volk Gottes […]. [Dessen Mitglieder führen längst ein eigenes, Ch. B.] Leben in den Pluralitätsstrudeln der Postmoderne […].“136
Man kann mit dieser Situation auf sehr verschiedene Weise umgehen. Einen Ansatzpunkt bietet einmal mehr Karl Rahner:
„P. [Pluralismus] im unvermeidl. Sinn einer kreatürl. Notwendigkeit bedeutet die Tatsache, daß der Mensch u. sein Daseinsraum […] trotz der Einheit in Gott […] aus so verschiedenen […] Wirklichkeiten gebildet werden, daß die Erfahrung des Menschen selber von ursprünglich mehreren Quellen herkommt […] u. er weder theoretisch noch praktisch diese Vielfalt auf einen einzigen Nenner bringen kann […], von dem allein aus diese Vielfalt […] beherrschbar wäre. Die […] Einheit der Wirklichkeit ist […] als […] eschatolog. Hoffnung da, nicht aber als verfügbare Größe. Dieser P. [Pluralismus] ist der Index der Kreatürlichkeit: nur in Gott ist alles eins […].“137
Diese protologisch begründete und eschatologisch offengehaltene Sichtweise von Pluralität teilen nicht alle, die sich auf Rahner berufen – wie zum Beispiel Thomas Pröpper mit seiner ‚Münsteraner Schule‘ theologischer Letztbegründung, der sich mit einem entsprechend positiven Gegenwartsbezug schwertut, weil er den Begriff der Spätmoderne im Sinne postmoderner Beliebigkeit versteht: „Der Spätmoderne weiß nicht mehr, was er denken soll, weil er alles denken kann. Im pluralistischen Einerlei traut er sich keine Wertungen mehr zu. […] Neu ist nicht das Problem des Pluralismus, sondern wie aus der Not eine fröhliche Tugend gemacht [wird]“138. Anders Elmar Klinger mit seiner ‚Würzburger Schule’139 einer befreiungstheologisch gewendeten und spätmodern angeschärften Konzilstheologie in der Spur Rahners. Für ihn ermöglicht Pluralität ein „neues Denken von Gott“140 jenseits einer Moderne, deren Denken in einer „Reihe von Fußnoten zu Platon“141 aufgehe:
„Es steht in einem direkten Widerspruch zum Platonismus. Es denkt Einheit und Vielheit anders. In der platonischen Tradition ist die Vielheit von der Einheit bestimmt und aus ihr abgeleitet. Sie geht aus ihr hervor und geht in sie zurück. Sie verhalten sich wie der Teil und das Ganze. Das Viele ist dem Einen untergeordnet, das Eine steht über dem Vielen […]. Im neuen Denken liegt das Verhältnis umgekehrt. Die Vielheit steht vor der Einheit, der Teil vor dem Ganzen. Die Einheit verkörpert Vieles und das Viele kann zur Einheit werden. Es ist das Fundament der Einheit. […] Auf dem Boden des Pluralismus wird das Denken Gottes selber neu.“142
Klinger zufolge schafft Pluralität die schöpferische „Polarität“143 von potenziell kreativen Differenzen, in denen Neues entstehen kann. Mit den Worten seines Lehrers Rahner gesprochen:
„Die Vielheit des vom einen Gott […] geschaffenen Seienden bedeutet notwendig eine Bezogenheit des Verschiedenen u. Gegensätzlichen aufeinander, weil sonst […] die Welt nicht einen Ursprung und ein Ziel haben könnte. Diese unterscheidende, einende u. gegenseitig tragende Beziehung verschiedener Seiender […] kann unter dem Bild einer ‚Polarität‘ (der zwei Pole des elektrischen Stromes usw.) verdeutlicht werden.“144
7. Christliche Zeitgenossenschaft
Praktische Theologinnen und Theologen müssen sich entscheiden, ob sie den einen oder den anderen Weg beschreiten möchten, denn an der Spätmoderne scheiden sich die Geister. Folgt man dem zweiten Weg, wird man viele kleine Erfahrungen des Volkes Gottes gegen den Zugriff der großen Systementwürfe in Theologie und Kirche verteidigen müssen. Mit dieser Apologie des Empirischen kann sich das Fach vielleicht sogar vom belächelten Mauerblümchen zu einer neuen Avantgarde der Theologie mausern. Ihre spätmoderne Demonstratio existentialis hat dabei bis an den Anfang der theologischen Moderne zurückzugehen. Diese hat spätestens mit Maurice Blondels Dissertation L’action begonnen, die einem anthropologisch gewendeten Theologieformat religionsphilosophisch jenen Boden bereitete, auf dem auch die Pastoraltheologie heute noch steht: „Alle Pastoraltheologie nach Rahner ist […] Pastoraltheologie in der Spur Rahners.“145 Rahner hat die anthropologische Wende Kants im Bereich der Theologie nachvollzogen. Mit seiner transzendentalen Anthropologie, die die menschliche Existenz als Bedingung der Möglichkeit begreift, zutreffend von Gott zu sprechen, ist die Theologie endgültig in der Moderne angekommen.
Hinter diesen Punkt darf auch die Pastoraltheologie nicht mehr zurückfallen. Sie darf dort aber auch nicht stehen bleiben und nach dem „dogmatischen Schlummer“146 nun in einen „anthropologischen Schlaf“147 fallen. Rahner selbst bietet mit dem mystagogischen Konzept seiner Geheimnistheologie eines anonymen Gottes148 Anhaltspunkte für eine entsprechend ‚postanthropologisch‘ gewendete Theologie der Spätmoderne. Eine solche müsste sich in jedem Fall jener „philosophischen Frage nach der Gegenwart“149 stellen, die Foucault im Ausgang von Kants Text Was ist Aufklärung? als das Grundproblem seines eigenen Denkens bestimmte:
„Dieser kleine Text […] ist eine Reflexion Kants über die Aktualität seines Unternehmens. […] Es scheint mir […] das erste Mal zu sein, dass ein Philosoph auf diese Weise die Bedeutung seines Werkes direkt […] mit einer speziellen Analyse jenes […] Moments verbindet, in dem und dessentwegen er schreibt. Diese Reflexion über das eigene Heute […] scheint mir die eigentliche Neuheit des Textes zu sein. Er zielt […] auf die Umrisse dessen, was man eine Haltung der Moderne nennen könnte. Ich weiß, dass man die Moderne oft als eine Epoche bezeichnet […], der eine […] archaische Vormoderne vorausgeht […] und eine enigmatische […] Postmoderne nachfolgt. […] Mit Blick auf Kants Text frage ich mich, ob man die Moderne nicht eher als eine Haltung […] ansehen kann. Damit meine ich eine bestimmte Weise der Beziehung zur eigenen Aktualität […]. Statt von der Moderne vormoderne oder postmoderne Epochen