Praktische Theologie in der Spätmoderne. Группа авторов

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Praktische Theologie in der Spätmoderne - Группа авторов Studien zur Theologie und Praxis der Seelsorge

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und Häresie

      Thomas H. Böhm

      Wer Institutionen charakterisieren will, steht vor dem Problem, eine diffuse Ausgangslage ordnen bzw. sich einschränken zu müssen. Denn:

      „[D]er Institutionsbegriff führt in der Soziologie ein eigenartiges Doppelleben. Auf der einen Seite gehört er zweifellos zu den zentralen Begriffen, sozusagen zum harten Kern soziologischer Begrifflichkeit […]. Aber auf der anderen Seite besteht wenig bis gar kein Konsens darüber, was mit diesem Begriff eigentlich genau gemeint ist. Die Zahl der Definitionen ist beachtlich, ihr Spektrum umfaßt sehr verschiedene inhaltliche und formelle Bestimmungen und Kriterien. Aber auch, wo kein Dissens besteht, bleiben inhaltliche Bestimmungen auffällig diffus und vage.“171

      In der geschichtlichen Entwicklung der menschlichen Gesellschaft sind Institutionen dabei keineswegs zu allen Zeiten selbstverständlich. Zur Erklärung der Ordnung des individuellen Handelns wurde lange Zeit allein der Staat bzw. das Gemeinwesen herangezogen – etwa bei Aristoteles die Polis, bei Cicero die Res publica oder bei Thomas Hobbes der Leviathan. Der Begriff der Institution

      „ist erst mit dem Aufkommen bzw. mit dem Bedeutungszuwachs jener Zwischeninstanzen entstanden, die zwischen dem Handeln der Individuen und den großen gesellschaftlichen Strukturen liegen: die Ordnungen und Vorschriften der Stände und Zünfte, die Städteordnungen oder die Regeln spezieller Glaubensgemeinschaften zum Beispiel“172.

       1. Was ist eine Institution?

      Will man den Begriff der Institution auf eine Kurzformel bringen, so kann man festhalten: Eine Institution ist „eine Erwartung über die Einhaltung bestimmter Regeln, die verbindliche Geltung beanspruchen.“173 Oder ausführlicher: Institutionen sind „bestimmte, in den Erwartungen der Akteure verankerte, sozial definierte Regeln mit gesellschaftlicher Geltung und daraus abgeleiteter ‚unbedingter‘ Verbindlichkeit für das Handeln.“174 Diese Regeln sind in Kraft, auch wenn einzelne Beteiligte sie nicht kennen, missachten oder vergessen – oft werden sie gesellschaftlich eingefordert und/oder sanktioniert.

      Institutionen betreffen ganz verschiedene gesellschaftliche Bereiche wie die generative Reproduktion, die Vermittlung von Kenntnissen und Fähigkeiten, die Versorgung mit Gütern des alltäglichen und außeralltäglichen Bedarfs, die Aufrechterhaltung der inneren und äußeren politischen Ordnung sowie die Tradierung und Weiterentwicklung von symbolischen Codes und Sinnbezügen. Indem Institutionen hier

      „die Beliebigkeit und Willkür des sozialen Handelns beschränken, üben sie normative Wirkung aus; sie geben Werte vor und legen Pflichten fest. Dabei leisten sie eine Doppelfunktion: einmal für den Menschen, dessen Bedürfnisnatur sie formen, zum anderen für die Gesellschaft, deren Strukturen und Bestand sie sichern.“175

      Damit nehmen Institutionen – wie weiter unten noch ausführlicher zu zeigen sein wird – in Bezug auf Individuum und Gesellschaft Entlastungs- und Sicherungsfunktionen wahr.

      Zuvor bedarf es aber noch der Abgrenzung des Institutionsbegriffs von zwei ähnlichen, aber nicht gleichen Sachverhalten:

      „erstens von einfachen, aber nicht als Erwartungen verankerten oder gar durch Sanktionen erzwungenen oder über bestimmte moralische Gefühle getragenen, bloßen Regelmäßigkeiten des Handelns. […] Zweitens sind Institutionen von den konkreten und inhaltlich bestimmten sozialen Gebilden zu unterscheiden, in denen soziale Regeln zwar angewandt werden, die aber nicht allein daraus bestehen.“176

      Im zweiten Fall ist eben nicht – wie oft angenommen – von Institution, sondern von Organisation zu sprechen. Eine Organisation ist gegenüber der Institution

      „ein für bestimmte Zwecke eingerichtetes soziales Gebilde mit einem formell – bzw. ‚institutionell‘ – vorgegebenen Ziel, mit formell geregelter Mitgliedschaft, einer das Handeln der Mitglieder regelnden institutionellen ‚Verfassung‘, sowie – meist – einem eigenen ‚Erzwingungsstab‘ zur Durchsetzung dieser Verfassung.“177

      Organisationen als soziale Gebilde bedienen sich demnach institutioneller Regeln, sie sind jedoch zugleich mehr als diese.

       2. Die Entstehung von Institutionen

      Institutionen entwickeln sich nach Peter L. Berger und Thomas Luckmann aus der – der Gewöhnung entspringenden – Habitualisierung des Handelns, die den psychologisch wichtigen Gewinn der begrenzten Auswahl ermöglicht und von dauernden Entscheidungen entlastet. Demnach verfestigt sich

      „jede Handlung, die man häufig wiederholt, […] zu einem Modell, welches unter Einsparung von Kraft reproduziert werden kann und dabei vom Handelnden als Modell aufgefaßt wird. Habitualisierung in diesem Sinne bedeutet, daß die betreffende Handlung auch in Zukunft ebenso und mit eben der Einsparung von Kraft ausgeführt werden kann. Das gilt für nichtgesellschaftliche wie für gesellschaftliche Aktivitäten.“178

      Damit aus habitualisierten Handlungen Institutionen werden, bedarf es der gegenseitigen Verschränkung von Akten und Akteuren.

      „Institutionalisierung findet statt, sobald habitualisierte Handlungen durch Typen von Handelnden reziprok typisiert werden. Jede Typisierung, die auf diese Weise vorgenommen wird, ist eine Institution. Für ihr Zustandekommen wichtig sind die Reziprozität der Typisierung und die Typik nicht nur der Akte, sondern auch der Akteure.“179

      Auf institutionaler Ebene werden habitualisierte Handlungen dann im Verlauf eines geschichtlichen Prozesses zur allgemeinen Verbindlichkeit erhoben.

      „Wenn habitualisierte Handlungen Institutionen begründen, so sind die entsprechenden Typisierungen Allgemeingut. Sie sind für alle Mitglieder der jeweiligen gesellschaftlichen Gruppe erreichbar. Die Institution ihrerseits macht aus individuellen Akteuren und individuellen Akten Typen.“180

      Dieser Prozess der Habitualisierung hin zur Institution bleibt nicht ohne Konsequenzen für das einzelne Individuum. Die institutionalisierte Handlung steht nun per se unter sozialer Kontrolle.

      „Wenn ein Bereich menschlicher Tätigkeit institutionalisiert ist, so bedeutet das eo ipso, daß er unter sozialer Kontrolle steht. Zusätzliche Kontrollmaßnahmen sind nur erforderlich, sofern die Institutionalisierungsvorgänge selbst zum eigenen Erfolg nicht ganz ausreichen.“181

      Die Erleichterung durch den eingeschränkten Zwang zur Wahl wird dabei durch eine Reduktion der potentiellen Möglichkeiten erkauft.

      „Durch die bloße Tatsache ihres Vorhandenseins halten Institutionen menschliches Verhalten unter Kontrolle. Sie stellen Verhaltensmuster auf, welche es in eine Richtung lenken, ohne ‚Rücksicht‘ auf die Richtungen, die theoretisch möglich wären. Dieser Kontrollcharakter ist der Institutionalisierung als solcher eigen.“182

      Im eben angesprochenen geschichtlichen Werden der Institution verschiebt sich die Priorität vom Subjekt zum Objekt. Während anfangs der Prozess der Institutionalisierung noch überschaubar und plausibel ist, gewinnt die Institution objektive Macht, indem sie immer weniger hinterfragt wird. Für Menschen,

      „die selbst dieser Welt im Verlauf gemeinsamen Lebens Gestalt gegeben haben, eines Lebens, an das sie sich erinnern können, ist diese ihre Welt […] noch durchschaubar. Sie verstehen, was sie selbst geschaffen haben. Das ändert sich

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