Praktische Theologie in der Spätmoderne. Группа авторов

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Praktische Theologie in der Spätmoderne - Группа авторов Studien zur Theologie und Praxis der Seelsorge

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      Menschen konstituieren sich in ihrer Identität über Differenzierungskategorien; Identitäten werden also auf der Grundlage von Differenz konstruiert und nicht jenseits von ihr: „Identitäten können nur wirksam werden, weil sie mit Hilfe von Differenzierungen Andere ausschließen. Einfach gesagt: Wir wissen, wer wir sind, wenn wir wissen, von wem wir uns abgrenzen.“226 Identitätskategorien haben von daher auch immer einen normativen und ausschließenden Charakter. (Spät-)Moderne Identitäten sind aufgrund fortschreitender Individualisierungsprozesse durch eine Vielfalt von Differenzkategorien (mit-)bestimmt, die in verschiedenen Kontexten relevant oder auch irrelevant gesetzt werden und dabei in ihrer jeweiligen Verbundenheit miteinander unterschiedliche Wechselwirkungen entfalten. Fixe Zuordnungen verlieren an Stabilität, Widersprüche und Brüche lassen sich beobachten. Mit Gabriele Winker und Nina Degele lässt sich zusammenfassend festhalten,

      „dass es bei Identitätskonstruktionen entlang verschiedenartiger Differenzkategorien erstens um die Verminderung von Unsicherheiten in der eigenen sozialen Positionierung durch Ab- und Ausgrenzung von Anderen, und zweitens um die Erhöhung von Sicherheit durch Zusammenschlüsse und eine verstärkte Sorge um sich selbst geht – womit Individuen nicht nur selbst nach Absicherung (zu) streben (versuchen), sondern auch ein umfassendes und vielfältiges Differenzierungssystem aufrechterhalten.“227

      Naturalisierungen und Hierarchisierungen und die damit verbundenen Machteffekte spielen somit eine wichtige Rolle, z. B. prominent bei der Kategorie Geschlecht. Geschlecht begegnet auf dieser Ebene – neben Ethnie, Nation, Religion, Beruf usw. – als eine der fundamentalsten Kategorien, an der Menschen ihre Identität festmachen. Dementsprechend beschreibt das Konzept von doing gender Geschlecht als „Ergebnis sozialen Handelns, eine interaktive Leistung der beteiligten AkteurInnen, ein routiniertes Tun, das ProtagonistInnen wie auch RezipientInnen täglich aufs Neue erbringen müssen.“228

      1.2 Die Makro- und Mesoebene von Sozialstrukturen: Geschlecht als Strukturkategorie

      Identitätskonstruktionen werden ebenfalls stark von gesellschaftlichen Sozialstrukturen inklusive Organisationen und Institutionen beeinflusst, also von strukturellen Herrschaftsverhältnissen. Auf der Makro- und Mesoebene wird Geschlecht dabei als Strukturkategorie gefasst. Der Blick richtet sich vornehmlich auf gesellschaftliche, sozialstrukturelle Ungleichheiten zwischen Frauen und Männern (z. B. am Arbeitsmarkt und in der Familie), die in gesellschaftliche Organisationen eingeschrieben sind. Auf dieser Ebene betrachtet, begegnet Geschlecht als eine Struktur, „die mehr oder weniger alle gesellschaftlichen Bereiche (insbesondere Erwerbssystem und Staat, politische Öffentlichkeit und Kultur, Ehe und Familie) und alle sozialen Verhältnisse (beispielsweise den Staatsbürgerstatus, die Erwerbsposition, die privaten Beziehungen der Geschlechter) prägt.“229 Geschlecht als Strukturkategorie zu begreifen, bedeutet dann auch, es als eine Ursache sozialer Ungleichheit, die sich nicht auf andere Ursachen reduzieren lässt, zu verstehen:

      „Es [= Geschlecht] erklärt als soziale Strukturkategorie Machtstrukturen auf der Ebene von Geschlechterbeziehungen und ihnen innewohnende Kräfteverhältnisse, die Unterdrückungs- und Ausgrenzungsphänomene sowie Benachteiligungen von Frauen und von Männern beinhalten.“230

      1.3 Die Ebene symbolischer Repräsentationen: Geschlecht als symbolische Ordnung

      Symbolische Repräsentationen stützen Herrschaftsverhältnisse und werden von ihnen gleichzeitig auch hervorgebracht. „Ferner ermöglichen vorherrschende Normen, Werte und Stereotype Identitätskonstruktionen, und diese individuellen Subjektivierungsprozesse stabilisieren wiederum symbolische Repräsentationen durch performative Wiederholungen.“231 Identitäten sind „innerhalb und nicht außerhalb von Repräsentationen konstruiert“232, Identitätskonstruktionen sind also eng mit gesellschaftlichen Repräsentationen verwoben. Bilder, Ideen, Gedanken, Vorstellungen oder Wissenselemente, die Mitglieder in einer Gruppe, einer Gemeinschaft oder Gesellschaft kollektiv teilen, schaffen den Rahmen dafür, welche Formen von Identität existieren können und dürfen. Auf dieser Ebene wird Zweigeschlechtlichkeit (vor allem in Anschluss an Judith Butler) als Produkt von Normierungen und Wahrnehmungsformen gedacht und stellt eine symbolische Ordnung dar. Geschlecht begegnet hier nicht als vordiskursive anatomische Gegebenheit, sondern als eine diskursiv erzeugte Materialisierung, die es zu dekonstruieren, zu denaturalisieren gilt.233

       2. Von Gender zur Intersektionalität

      Um der (spät-)modernen Vielfalt von Lebenslagen und dem damit verbundenen komplexen Ineinandergreifen von Privilegierungen und Diskriminierungen theoretisch wie praktisch gerecht werden zu können, ist es unerlässlich, zu betonen,

      „dass Gender nicht isoliert betrachtet werden kann von Kategorien wie Klasse, Ethnizität, ‚Rasse‘, Religion, Lokalität, Sexualität, Nation, Alter oder Behinderung/Befähigung. Vielmehr wird herausgestellt, dass sich diese Kategorien für das einzelne Individuum erfahrbar ‚überschneiden‘, miteinander ‚verwoben‘ sind bzw. ‚sich verschränken‘. Diese Erkenntnis wird mit Begriffen wie Vielfalt, Diversität, Heterogenität, Differenzen, Interdependenzen oder Intersektionalität umschrieben.“234

      Speziell das ursprünglich aus feministischen Theorien und Praktiken hervorgegangene Konzept der Intersektionalität ist inzwischen fest im Diskurs der Geschlechterforschung verankert.235 Die Wurzeln dieses Konzeptes liegen in den Erfahrungen Schwarzer Frauen, die sich weder in den Erfahrungen Weißer (Mittelschichts-)Frauen noch in denen von Schwarzen Männern wiederfanden236 und die in ihrer speziellen Unterdrückungssituation weder von anti-sexistischer noch anti-rassistischer Gesetzgebung wahrgenommen und vertreten wurden.237 So wird unter dem Begriff der Intersektionalität speziell auf die Wechselwirkungen von ungleichheitsgenerierenden Kategorien wie gender, class, race, aber auch Sexualität, Alter, (Dis-)Ability, Religion, Nationalität usw. fokussiert:

      „Statt die Wirkungen von zwei, drei oder mehr Unterdrückungen lediglich zu addieren (was schon schwer genug ist), betonen die ProtagonistInnen des Konzepts, dass die Kategorien in verwobener Weise auftreten und sich wechselseitig verstärken, abschwächen oder auch verändern können.“238

      Ein zentrales Element und Problem der Intersektionalitätsdebatte ist die Frage, wer aufgrund welcher Eigenschaften zu unterdrückten sozialen Gruppen gehört.239 Wegen der prinzipiellen Unabgeschlossenheit möglicher Differenzkategorien240 ist jedoch die Debatte, welche Differenzkategorien grundsätzlich in das Intersektionalitätskonzept einbezogen werden sollen, bis dato weder gelöst noch soll sie es werden. Liegt doch gerade in dieser vermeintlichen Unvollkommenheit die kritische Innovationskraft des Konzepts, denn Intersektionalität „hat das Potential, fortwährend für neue mögliche Auslassungen, Entnennungen und Exklusionen sensibel zu bleiben.“241 Gleichzeitig verweist die Unabschließbarkeit der Debatte um einzubeziehende Differenzkategorien und die Anerkennung der prinzipiellen Unmöglichkeit umfassender Repräsentation auf der Grundlage ausgrenzender Identitätsbildung auf das grundsätzliche Repräsentationsdilemma, dem jede Sichtbarmachung, Einbeziehung und Berücksichtigung minorisierter Perspektiven unterliegt, und macht die Schwierigkeiten einer nichtessenzialistischen Selbst-Repräsentation marginalisierter Frauen und Männer offenbar und benennbar.242 Allgemein bleibt diesbezüglich festzuhalten, dass die Entscheidung für diese oder jene Kategorien der Ungleichheit vom untersuchten Gegenstand und von der gewählten Untersuchungsebene abhängt.243

      Die Herausforderung des Intersektionalitätsansatzes besteht nun nicht nur darin, marginalisierte Perspektiven zu integrieren, sondern in der Notwendigkeit, Herrschaftsverhältnisse und Machtdifferenzen als ko-konstruiert und kokonstitutiv zu verstehen.244 In Bezug auf jede untersuchte Ungleichheitsdimension sind sowohl die benachteiligenden

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