Tatort Oberbayern. Jürgen Ahrens
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»Frau Adelhofer, der Mann hat vielleicht recht. Soll ich Sie heimbringen und Sie kommen heute Abend wieder? Dann schaut das hier bestimmt schön aus.« Rosa Adelhofer blickte auf das Grab, schnäuzte sich noch mal, nickte und machte sich auf den Weg zum Ausgang. Katharina ging schweigend neben ihr her und merkte, wie Rosa sich langsam beruhigte.
»Ich schreibe eine Serie über den Robert, ich glaube, die Frau Obermann von der Polizei hat Ihnen von mir erzählt. Mögen Sie vielleicht ein bisschen mit mir über Ihre beiden Söhne sprechen? Ich hätte noch etwas Zeit, bis ich zurück muss nach München, um meine Tochter bei meiner Mutter abzuholen.«
Rosa Adelhofer nickte und sagte: »Die Frau Kommissarin hat gsagt, dass Sie a Gute san. A Tochter hams, schön, ich hätt gern noch a Tochter ghabt zu den beiden Buben. Aber der Max hat net wolln.« Gedankenverloren ging die alte Frau weiter, schaute dann Katharina an und fügte hinzu: »Eigentlich mag ich mit der Zeitung und dem Fernsehen nix zu tun ham, aber ich glaub des, dass Sie anders san. Hoffentlich täusch ich mich ned.«
Katharina drückte kurz Rosa Adelhofers Arm: »Ich verspreche Ihnen, nichts zu schreiben, womit Sie nicht einverstanden sind. Ist das in Ordnung?«
Rosa Adelhofer nickte. »Ich kann Ihnen bloß nix anbieten außer Kaffee und Wasser.«
Am Adelhofer-Hof angekommen nahm die Bäuerin Katharina die Jacke ab und hängte sie zusammen mit ihrem Lodenmantel an zwei Garderobenhaken.
»Ist Ihr Mann nicht zu Hause?«, fragte Katharina mit einem Blick auf die leere Garderobe.
»Ich weiß ned. Mir sehn uns fast nimma, zum Frühstück kommt er manchmal in d Küch’, was er sonst den ganzen Tag macht, weiß ich ned.«
»Er leidet wahrscheinlich wie Sie unter dem Tod Ihres Sohnes. Männer können das oft nicht gut ausdrücken«, versuchte Katharina irgendetwas Tröstliches zu sagen und kam sich im gleichen Moment ziemlich blöd vor mit ihrer Stammtischpsychologie.
Frau Adelhofer ging vor ihr in die Küche und deutete auf die Eckbank. Katharina setzte sich und schaute zu, wie die alte Frau den Kaffee zubereitete.
»Sie haben vom ganzen Haus einen wunderbaren Blick auf den See.« Katharina konnte bis zum Beginn von Herrenchiemsee schauen. Roberts Mutter nickte gedankenverloren. Sie schien nur noch aus Selbstbeherrschung zu bestehen, wie sie den gewohnten Alltagshandgriffen nachging. Plötzlich nahm sie den vorherigen Gesprächsfaden wieder auf:
»Mit dem Reden hat’s der Max noch nie ghabt, da hams scho’ recht. Aber seitdem dass der Bub nimmer is’, hab ich meinen Mann nimma. Vorher hat er zwar ned viel geredet, aber ich hab gwusst, dass er da is’.« Rosa Adelhofer stellte zwei große geblümte Kaffeetassen auf die Wachstuchtischdecke und setzte sich Katharina gegenüber.
»Und jetzt hab ich ihn nimmer, wie wenn er auch tot wär’.«
Die alte Frau starrte in ihre Tasse. Getrunken hatte sie bislang keinen Schluck.
»Hat Ihr Mann ein enges Verhältnis zu Lukas gehabt?«
Rosa Adelhofer sah weiter auf ihren kalt werdenden Kaffee: »Mei, wissns, vom Lukas hama gar nix mehr gwusst. Es ist ihm halt ned gut gegangen, und er war neidisch auf den Robert und hat dacht, dass wir den Robert lieber ham als ihn. Er hat nix mehr mit uns zu tun ham wolln. Mit mir auch ned. Aber ich bin doch seine Mama.« Verstohlen wischte sich Rosa Adelhofer Tränen aus dem Gesicht.
Katharina legte ihre Hand auf die faltige, raue Hand der Bäuerin.
»Entschuldigen Sie bitte meine Fragen, Frau Adelhofer. Das war dumm und unsensibel von mir.«
Rosa schaute auf. In ihrem Blick lag etwas Liebevolles: »Is’ scho’ gut, Madl. Ich bin froh, dass ich mit jemand reden kann, is’ doch sonst keiner mehr da. Wissns, was des Schlimmste war? Ich hab dem Lukas jeden Tag was zu essen vorbeibracht, weil ich gwusst hab, dass es ihm ned gut geht. Seine Leibspeisen hab i gmacht – Rahmschwammerl mit Semmelknödel, Backhendl, Dampfnudeln oder an Obazdn. Er hat mir die Tür aufgmacht, hat’s Essen gnommen und hat die Tür zugmacht. Aber beim letztn Mal …«, Rosa Adelhofer konnte die Tränen nicht mehr zurückhalten. Katharina reichte ihr ein Taschentuch und streichelte hilflos ihre Hand.
»Beim letztn Mal hat er mir die Tür nicht aufgmacht. Geredet hat er eh nie was mit mir, aber an dem Tag hat er mich mit den Töpfen vor der Tür grad stehnlassn. Sei eigene Mutter.« Wieder liefen die Tränen. »Dabei hab ich gehört, dass er da war. Rumbrülln hab ich ihn hörn, ich weiß ned, mit wem ers ghabt hat. Er hat ja fast mit jedem irgendwann an Streit ghabt, der Lukas. Dann bin ich halt gegangen. Des gute Essn hab ich weggschmissn, des war wie vergift. Und am nächsten Tag war er tot.«
Mit rotunterlaufenen Augen starrte Rosa Adelhofer Katharina an. »Können Sie des verstehn? Was hab ich falsch gmacht, dass sich mein Bub umbringa tut?«
Die Bäuerin weinte und weinte, der Berg Taschentücher auf dem schweren Holztisch kam Katharina unpassend vor. So sollte das nicht sein in einer gemütlichen Bauernküche im Chiemgau, auf einer hundert Jahre alten Holzbank, an einem Tisch, an dem unzählige Hochzeiten und Taufen geplant worden waren, an dem gelacht und gegessen wurde. Es durfte Probleme geben, aber doch nicht solche. Keine Selbstmorde, keine Söhne, die der Mama solchen Kummer machten, dass sie von Weinkrämpfen geschüttelt wurde.
»Kann ich Ihnen irgendwie helfen, Frau Adelhofer?«
Die alte Frau schnäuzte sich heftig. Danach wirkte sie gefasster. Entschlossenheit lag in ihrem Blick:
»Sagens mir, was passiert ist. Sagens mir, wieso sich der Lukas umbracht hat.«
In den eineinhalb Stunden Fahrt vom Chiemsee nach München philosophierte Katharina über Mütter. Die, die sie gerade näher kennengelernt hatte, ihre eigene, sich selbst. Rosa Adelhofer, die sich für ihre Kinder aufgeopfert hatte – dass es Söhne waren, tat bestimmt sein Übriges. Die stolze bayerische Mama dachte mit Sicherheit nicht an sich selbst, sondern nur an ihre Buben und den Mann. Ihre eigene Mutter war viel selbstständiger gewesen, hatte, auch als sie noch verheiratet war, ihr eigenes Leben gehabt, ihre Freundinnen, ihre leicht esoterischen Interessen, erinnerte sich Katharina schmunzelnd. Aber sie war früher wie heute eine liebevolle, verständnisvolle Mama. Wenn es eng wurde in Katharinas Leben, war ihre Mutter der Fels in der Brandung. Nie würde sie den Nachmittag vor fast acht Jahren vergessen, als sie weinend in der Küche gesessen hatte, schwanger und betrogen von Tobias, Svenjas Vater. Susanne Hartschmidt hatte gefühlt stundenlang Katharinas Kopf gestreichelt, Taschentücher gereicht, zugehört und nicht viel gesagt außer »das versteh ich«, »du Arme«, »komm her, meine Süße.«
Als Katharina gegen Abend gefragt hatte: »Mama, was mach ich denn jetzt?«, hatte ihre großartige Mutter geantwortet:
»Katharinchen, ein Kind ist das Tollste, was es im Leben gibt – egal, von wem es ist. Das schaffst du, ich weiß das. Mich gibt es ja auch noch und Oliver genauso … Es ist aber auch völlig in Ordnung, wenn du es nicht willst. Es ist ja noch früh. Du bist jung, kannst später noch Kinder kriegen. Jetzt gibt’s erst mal Hähnchen mit Pommes, dann schläfst du hier und danach schauen wir weiter. Was meinst du?«
Katharinas vegetarisch lebende Mutter hatte das Lieblingsessen ihrer Tochter zubereitet und offenbar nach dem verzweifelten Anruf sofort eingekauft. Das hatte die nächste