Systemische Wirtschaftsanalyse. Günther Mohr

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Systemische Wirtschaftsanalyse - Günther Mohr EHP - Handbuch Systemische Professionalität und Beratung

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Damit Psychologie über die persönliche Gleichgewichtsfindung hinaus wirksam wird, muss sie sich mit dem Verständnis von Wirtschafts- und Gesellschaftsprozessen verbinden.

      Dieses Buch leistet einen hervorragenden Beitrag zum Schließen der Lücke zwischen persönlicher Einsicht und gesellschaftlich relevantem Handeln. Es weckt Verständnisse für wesentliche Betrachtungsperspektiven, an denen sich persönliches Handeln und professionelle Gestaltung orientieren können. Die kluge und übersichtliche Gliederung bietet an, sich nach ersten Orientierungen immer wieder in diese Schatzkammer zu begeben und sich nach und nach deren Schätze zu eigen zu machen. Entscheidende Horizonterweiterungen und neue Handlungsperspektiven lassen sich so gewinnen.

      Bernd Schmid

      Vorwort

      Als Psychologe und Volkswirtschaftler beobachte ich die Wirtschaftsentwicklung aus zwei Perspektiven. Eine rein wirtschaftliche Sicht ist ohnehin kaum anzutreffen. Die meisten bisherigen Begründungen für wirtschaftspolitische Schritte haben fragwürdige Menschenbilder oder etwas Glaubensmäßiges an sich, da die Wissensbasis nur sehr schmal ist. Egal ob der blinde Glaube an die Selbstheilungskräfte der Marktwirtschaft oder die grundlegende Skepsis gegenüber dem Kapitalismus: Ein Glaube ist psychologisch nur ein Gedanke, aber einer, mit dem man sich aus einem bestimmten Grund identifiziert. Psychoökonomik erforscht das Denken, Fühlen, Handeln und Kommunizieren der Menschen im Kontext Wirtschaft. Menschen bringen hier ihre Grundbedürfnisse und ihre Kontexterfahrungen mit, eigentlich nur wenige Prämissen. Aber diese sind, wenn es darauf ankommt, sehr virulent und komplex.

      In der Psycho-Logik der Wirtschaft kommt Weiteres hinzu. Wirtschaft ist nicht rational. Verbraucher und auch Unternehmen entscheiden nach Intuition und bauen dann dafür Argumentationsketten auf. Es bleibt immer ein Trial-and-Error-Muster. Man versucht etwas und hofft, dass es gut geht. Diese Mechanismen habe ich viele Jahre beobachtet und sie in meiner Praxis als Coach und Organisationsberater thematisiert. Dann kam im September 2008 die Pleite der Bank Lehman Brothers als Auslöser der Finanzkrise. Die Finanzkrise war eine Zäsur, die die gesamte Wirtschaft und Wirtschaftspolitik traf, auch wenn sie inzwischen schon viele andere Schlagzeilen attestiert bekommen hat: Euro-Krise, Staatsschuldenkrise, Griechenland-Krise etc. Es begann mit der Krise der Finanzindustrie, und diese hat die gegenseitigen Abhängigkeiten der Player mehr denn je deutlich gemacht. Seit der Finanzkrise werden nun wirtschaftspolitische Instrumente eingesetzt, die vorher undenkbar bis vollkommen verpönt waren. Daher kommt in diesem Buch die Finanzkrise in mehreren Kapiteln vor.

      Seit zehn Jahren untersuche ich Unternehmen mit dem von mir entwickelten Modell ›Systemische Organisationsanalyse‹. Betrachtet man die einzelnen Dimensionen eines Systems, so gewinnt man einen klareren Blick. So kam die Idee, nicht nur Unternehmen, sondern auch andere Aspekte der Wirtschaft mit Hilfe dieses Modells zu betrachten. Um das Handeln zu verstehen, werden psychologisch-wirtschaftliche Aspekte der Wirtschaft wie der Besitztumseffekt oder der Vergleichseffekt analysiert. Im ersten Kapitel geht es um Aufmerksamkeit, die auch im Wirtschaften unser kostbarstes Gut darstellt. Dort wo die Aufmerksamkeit ist, wird investiert. Was ausgeblendet wird, bleibt zunächst unbeachtet. Allerdings kann durch die heutigen technischen und medialen Möglichkeiten weniger verdrängt werden. Wir sind eine Welt. Im Kapitel Gleichgewichte wird etwa die gesamte Wirtschaftspolitik seit dem zweiten Weltkrieg in einen psychologischen Zusammenhang gebracht. Es handelte sich um ein wiederkehrendes Bemühen und Gleichgewichtsstreben. In diesem Buch wird nicht nur analysiert, sondern es werden auch systemische Alternativen geliefert. Ich wünsche den Lesern eine inspirierende Lektüre.

      Günther Mohr

      Mai 2015

      1. Auf dem Weg zur sozialen Weltgesellschaft

      Die Utopie einer friedlichen und einer überall von mindestens bescheidenem Wohlstand bestimmten Gesellschaft scheint greifbarer als je zuvor in der Geschichte. Das Weltvermögen von geschätzt 280 Billionen Euro könnte bei 7 Milliarden Menschen auf der Welt für jeden etwa 40.000 Euro bedeuten. Zugegeben, das Geld ist derzeit etwas anders verteilt. Wie können also Wirtschaft und Wirtschaftspolitik gestaltet werden, damit sie das Leben insgesamt unterstützen? Nach allem, was wir heute wissen, erfordern gerechte Lebensbedingungen auch eine fundamentale Transformation der Lebensweise in den entwickelten Ländern. Wachstum wird anders zu definieren sein als bisher.

      Der maßgebliche Faktor für die Verteilung der Güter ist zunächst nicht die Politik, sondern die Wirtschaft. Dort entstehen Werte, die unser Leben bestimmen. Dabei ist das Wirtschaftsgeschehen auf allen Ebenen ganz wesentlich durch Psychologie bestimmt. Selten wurde das deutlicher als am 5. Oktober 2008, als Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und ihr Finanzminister Peer Steinbrück (SPD) im Fernsehen mit einem Versprechen auftraten: »Die Spareinlagen sind sicher.« Ein Versprechen, das sie eigentlich niemals hätten einhalten können. Wenn nämlich am nächsten Tag Hunderttausende Deutsche vor den Banken Schlange gestanden und ihre Sparguthaben zurückverlangt hätten, wäre die deutsche Wirtschaft zusammengebrochen. Merkel und Steinbrück beruhigten mit diesem psychologischen Trick die Öffentlichkeit.

      Ängste, Drohungen, Hoffnungen und Erwartungen beeinflussen die wirtschaftlichen Einschätzungen und Aktivitäten der Menschen. Diese Stimmungen werden von den Medien verstärkt, teilweise sogar geprägt. Wie die Psychologie im Einzelnen und im System der Wirtschaft relevant ist, wird im Buch betrachtet. Daraus werden zu wichtigen Fragen alternative Perspektiven entwickelt.

      Systemische Zusammenhänge bestimmen das Funktionieren von Staat und Wirtschaft als Ganzes, aber auch die Erfolgsbedingungen des Einzelnen. Es ist eben nicht mehr egal, ob in China der viel beschworene Sack Reis umfällt oder nicht. Zudem haben sich seit 1990, dem Auftreten des Internet und der Auflösung des Ostblocks, die Informationen für nahezu alle Menschen auf der Welt vervielfacht. Das tägliche Erleben emotional belastender Nachrichten von rund um den Globus lässt die Welt kleiner, zuweilen chaotischer erscheinen. Aber auch die Kontrolle der Menschen und die Transparenz ihrer Aktivitäten in Arbeit und Konsum werden in einem Ausmaß möglich wie nie zuvor. Es existieren in der Welt kaum noch Nischen für den Einzelnen. Gerade Menschen in den reichen westlichen Ländern reagieren immer häufiger mit psychischen Mustern wie Burn-out auf die Situation. In der Krise von Finanzindustrie und Staatsfinanzen sind psychologische Verknüpfungen so bestimmend wie tatsächliche faktische Zusammenhänge. Sie resultieren aus vorhandenen oder ausgeblendeten Informationen, aus dem Erleben von Ereignissen und aus dem sich daraus bildenden Vertrauen.

      In dieser Situation braucht es Perspektiven auf das Wirtschaftsgeschehen, die über das Bisherige hinausgehen. Die systemische Sichtweise ist eine solche Überblicksperspektive für die Wirtschaft. Ich lege deshalb in diesem Buch das systemische Rahmenmodell zugrunde, das ich für Organisationen entwickelt habe und in dem Buch «Systemische Organisationsanalyse« beschrieben habe (Mohr 2006). In vielen Diskussionen stellte sich heraus, dass es auch für die Betrachtung der Wirtschaft als Ganzes und die Offenlegung der hier wirksamen psychologischen Aspekte tauglich ist. In dem Buch wird die systemische Perspektive anhand von zehn dynamischen Mustern zur Wirtschaftsanalyse genutzt. Vielleicht gibt es einige Anregungen, die Wirtschaft als Systemwelt ein Stück besser zu begreifen und entsprechend zu handeln.

      Gerade in der Wirtschaft sind systemische Prozesse wesentlich durch Kreisläufe geprägt. Peter Sloterdijk (2009) erzählt eine schöne Geschichte, die zunächst paradox wirkt, aber das Prinzip verdeutlicht.

      Ein deutscher Tourist kommt in ein irisches Hotel und will sich einige Zimmer ansehen. Er legt dazu einen 100-Euro-Schein auf die Theke. Während er die Zimmer in Ruhe anschaut, läuft der Wirt mit dem Geld zum Metzger und bezahlt

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