Systemische Wirtschaftsanalyse. Günther Mohr
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Als Fazit lässt sich zum Knappheitserleben sagen, dass über seine Wirkung mehr Bewusstheit entstehen und dass es relativiert werden muss. Es gilt, wirkliche Knappheit von psychologisch verursachter zu unterscheiden.
Ein weiterer Aspekt kommt noch hinzu: Ökonomie verbinden die meisten Menschen auch mit Finanzgrößen wie Gewinn und Rendite. Schaut man in die europäischen Verfassungen, so ist der eigentliche Zweck des Wirtschaftens aber nicht der Gewinn. Der Österreicher Christian Felber weist darauf hin (Felber 2009), dass in diesen grundsätzlichen Regelwerken der Menschen durchaus von einem anderen Ziel des Wirtschaftens die Rede ist, nämlich vom Gemeinwohl. Finanzielle Kriterien und Gewinnorientierung sind nur die Mittel. In der Verfassung des Freistaates Bayern, Art 151,1 steht beispielsweise: »Die gesamte wirtschaftliche Tätigkeit dient dem Gemeinwohl, insbesondere der Gewährleistung eines menschenwürdigen Daseins für alle und der allmählichen Erhöhung der Lebenshaltung aller Volksschichten.«
In der Realität sind viele Entscheider allerdings im Knappheitsparadigma gefangen. Sie huldigen einer angeblich notwendigen Wachstumsideologie. Diese trägt dann heute oft sportliche Züge, die auf der finanziellen Ebene in Wettläufen zu EBIT, EBITDA, Gewinn je Aktie und Return of Investment gipfeln. Eine ganze Industrie von Analysten, Maklern und mit diesen verbundenen Medien unterstützt diese Denkweise.
Das Ende der Entwicklung?
Existiert Wirtschaften auch jenseits des Kapitalismus? Der US-amerikanische Politikwissenschaftler Francis Fukuyama hat schon 1992 mit The end of history die bestehende als die endgültige Gesellschaft ausgerufen (Fukuyama 1992). Ernest Mandel dagegen läutete schon in der 1970ern den »Spätkapitalismus« ein (Mandel 1973). Er wollte damit sagen, dass an der Theorie des historischen Materialismus von Marx und Engels, nach der der Kapitalismus notwendigerweise von etwas anderem, nämlich dem Sozialismus abgelöst werde, doch etwas dran sei. Mittlerweile ist zumindest der real existierende Sozialismus untergegangen und wir müssten uns im Spät-Spätkapitalismus befinden. Es gab aber schon vor und immer neben der jeweils aktuellen Form des Kapitalismus ein Wirtschaften neben dem Wirtschaften. Man kann auch aus der Geschichte lernen, dass sich darüber hinausgehende, neue Aspekte des Wirtschaftens entwickeln können. Entsprechend kommt die Kritik an Francis Fukuyama etwa von Slavoj Zizek (Living in the end times, Zizek 2011), dem slowenischen Psychoanalytiker und sogar ehemaligen Präsidentschaftskandidaten in seinem Land: Wirtschaften muss nicht einseitig durch die bisherigen, im Moment wesentlich kapitalistisch geprägten Mechanismen bestimmt sein. Bei genauerem Hinsehen fällt auf, dass es das auch gar nicht ist. Nachdem Anfang der 1990er-Jahre die real existierende Planwirtschaft aufgegeben wurde und seit 2008 der Finanzkapitalismus vorerst zu Ende war, könnte sich der Aufmerksamkeitsfokus eigentlich neu orientieren und sich eine neue Wirtschaftsform etablieren.
Alternative Bezugsrahmen wie die solidarische Ökonomie, die Gemeinwohlökonomie (Felber 2010), die feministische Ökonomie (Biesecker et al. 2000) oder auch die Überflusskritik (Paesch 2011) und die Gemeingütertheorie (Ostrom 2011) zeigen neue Töne. Der österreichische Attac-Mitbegründer Christian Felber zeigt mit seinem gemeinwohlökonomischen Konzept die Breite der Wirtschaftsziele auf und wird im Folgenden an verschiedenen Stellen eine Rolle spielen. Die Bremer Wirtschaftsprofessorin Adelheid Biesecker betont den Fürsorgeaspekt, der für Menschen und Natur am Anfang der ökonomischen Überlegungen stehen sollte. Fürsorge wird traditionell als eher weibliches Prinzip gesehen, ist aber gerade als Ergänzung zum Herkömmlichen – den oft noch aus militärisch-männlichen Kulturen hervorgegangen Ideen des Wirtschaftens – sehr wertvoll. Es geht darum, aus der Ökonomie nicht alles das auszugrenzen, was in der Vorsorge und im Sozialen liegt, aber für die Gesellschaft so entscheidend ist. Biesecker kritisiert die ökonomisch einseitige Orientierung auf unendliche, eigentlich nicht zu befriedigende Bedarfe. Sie spricht – das als kleine Kritik an ihrem interessanten und sympathischen Ansatz – von Bedürfnissen, was allerdings nicht ganz korrekt ist. Bedürfnisse sind als psychologische Größe mit dem Menschen eng verbunden, aber oft nicht wirklich bewusst. Bedarf ist die wirtschaftliche Größe, das was nach außen gezeigt und geäußert wird: was man meint, was das Bedürfnis sei.
Der Volkswirtschaftler Niko Paesch zeigt deutlich auf, wie endlich die momentane Ressourcenlage auf der Welt ist. Mit dem Soziologen Harald Welzer zusammen stellt er die Fraktion derjenigen dar, die Konzepte für die Realität der Naturressourcen und den Umgang damit präsentieren. Die Konzentration auf Wesentliches und Notwendiges wird eine zentrale Aufgabe der Zukunft sein. Die Nobelpreisträgerin Elinor Ostrom beschreibt den Weg aus der »Tragödie der Gemeingüter«. Sie stellte fest, dass Gemeingüter verkommen, weil niemand die Verantwortung dafür übernimmt. Es gilt die Möglichkeiten zu nutzen, damit keine Ressourcenfriedhöfe entstehen. Dabei kann es um Autos, technische Geräte, Land und vieles mehr gehen. Dinge, die nur herumstehen und nur selten und wenn, dann ausschließlich von ihrem Eigentümer genutzt werden, obwohl sie der Allgemeinheit viel besser nutzen könnten. Die angesprochenen Alternativen versuchen die Wirtschaftsakteure anders zu orientieren. Es wäre gut, die Grundlagen des Wirtschaftens zu betrachten, um darin die spezifisch kapitalistische Variante zu erkennen und abzugrenzen. Zunächst ist es sinnvoll, die systemische Herausforderung zu beschreiben, um danach zu der Frage zu kommen: Welche Aufmerksamkeit ist angebracht, um die Welt voranzubringen?
Systemisch: Verbundenheit, Kontext, relative Wirklichkeit
Der mongolische Kriegsfürst Altay Kahn stellte im sechzehnten Jahrhundert für die Chinesen eine so gewaltige Bedrohung dar, dass sie seinetwegen die große Mingmauer bauten. Als Kahn nach der Eroberung Pekings vor den Toren der verbotenen Stadt stand und alle mit einem Sturm des Kaiserpalastes rechneten, überreichte er stattdessen eine Anfrage, ob die Chinesen sein Volk als Handelspartner akzeptieren würden.
Die kleine Geschichte zeigt: Handel und Wirtschaftskontakte sind erstrebenswerter weil nachhaltiger als der bloße Sieg. Und Überraschungen gehören zum Wirtschaftssystem dazu. Seit Altay Kahn ist eine Menge Zeit verstrichen, und im Laufe der Jahrtausende sind immer wieder Kriege aus verletztem Stolz geführt worden oder um eine vermeintliche Überlegenheit einer Nation zu verteidigen. Selten wurden Kriege aus der Not heraus geführt, es sei denn es waren Aufstände innerhalb von Staaten. Gerade das zwanzigste Jahrhundert hat hier Lehren erteilt. Regionen, die lange selbst keine Kriege innerhalb ihres Landes erlebt haben (USA, Schweiz) scheinen eher langfristig gedeihliche Bedingungen zu bieten. Die Wirtschaft als Treiber für Wohlstand hat mehr und mehr die Oberhand gewonnen. Doch auch Wirtschaftskrisen können die Welt an den Abgrund führen. Das zeigte uns die Weltwirtschaftskrise in den 20er-Jahren oder die Finanzkrise von 2008.
Das System von Wirtschaft und Politik ist als Ganzes zu sehen, und es lohnt sich, es aus einer systemischen Perspektive zu betrachten. Die systemische Perspektive wurde ursprünglich für die Therapie von Familiensystemen entwickelt. Mittlerweile wird sie auch auf viele andere Systeme, Organisationen, Gesellschaften, Wirtschaft, angewandt. Systemisch die Welt zu betrachten, bedeutet drei Fakten zu berücksichtigen. Erstens sind die Handelnden in der Welt immer in einer Beziehung miteinander verbunden. Individuelle Unabhängigkeit ist eine Illusion.