Reine Nervensache. Martin Arz
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Reine Nervensache - Martin Arz страница 6

»Benniiiii!«, rief Frank und tastete mit dem Lichtkegel seiner Mag-Lite den Wald ab. »Benjamiiiiiin!« Seine Stimme zitterte und überschlug sich.
»Das ist nun ebenfalls nicht witzig«, sagte Nathalie, öffnete die Wagentür und setzte sich schnell auf den Beifahrersitz, nachdem sie die Reisetasche des Trampers in den Fußbereich geschubst hatte.
»Da läuft echt ’ne ganz abgewixte Sache. Scheiße!« Frank stieg ein. Nathalie drückte den Türknopf auf ihrer Seite, die Zentralverriegelung ließ alle Autotüren zuschnappen. Sie fühlte sich etwas sicherer.
»Hmmm, Schlüssel steckt natürlich auch nicht. Kommt jetzt die Geschichte, in der der Mörder ums Auto schleicht und dann den abgeschlagenen Kopf des vermissten Freundes auf das Wagendach schlägt, während sich die im Auto Wartenden vor Panik in die Hose machen?« Frank versuchte zu lachen. Es blieb bei dem Versuch.
Nun erst merkte Nathalie, dass Frank noch viel näher an einer Panik war als sie. Er zitterte und schwitzte. Sein Blick huschte suchend durch die Dunkelheit draußen. Der parfümierte Muskelprotz war ein nach Angstschweiß stinkendes Häuflein Elend, das versuchte, mit coolen Witzen einen letzten Hauch von Männlichkeit aufrecht zu erhalten.
Nathalie seufzte und wühlte in ihrem kleinen schicken Ausgehrucksack nach ihrem Handy. »Okay, tief durchatmen, ich rufe Benni an. Oder wen auch immer.« Das Mobiltelefon in ihrer Hand, diese geballte Ladung Hightech im Miniformat, gab ihr schlagartig neue Zuversicht.
»Tu das. Und ich werde nun das Geheimnis der Trampertasche lüften.« Frank schnaufte schwer, beugte sich hinüber und zog die Tasche zwischen Nathalies Füßen hervor. Er stellte die Tasche auf seine Knie und zog am Reißverschluss, der sich mühelos öffnen ließ.
»Scheiße, kein Netz«, sagte Nathalie und starrte auf das Display. »Irgendwie logisch.« Aus den Augenwinkeln bemerkte sie eine Bewegung neben dem Auto, in derselben Sekunde klatschte etwas gegen das Fenster. Das Mädchen schrie panisch auf und krallte ihre linke Hand in Franks Arm. Was gegen die Scheibe der Beifahrertür geklatscht wurde, war eine Hand. Die Hand bewegte sich und zog Schlieren über das Fenster, blutige Schlieren.
»Es reicht!«, schrie Nathalie. »Es reicht! Schluss! Aufhören!«
Die Hand wurde urplötzlich zurückgezogen. Dann kamen diese Geräusche, das Kratzen und der charakteristische Ton von Blech, das eingedrückt wird. Der Van schwankte ein wenig hin und her. Jemand kletterte auf das Dach des Vans. Ein Fellbündel klatschte auf die Windschutzscheibe, wieder und wieder. Ob es eine tote Katze oder ein anderes Tier war, konnten die beiden Wageninsassen in ihrer grenzenlosen Panik nicht ausmachen. Sie starrten wie gelähmt auf den Fellklumpen, der im fahlen Licht der immer noch eingeschalteten Wageninnenbeleuchtung mit einem grässlichen »Patsch« mehrfach vor ihnen aus dem Dunkel auftauchte, aufschlug und blutige Schleier hinterließ. Das Blech knackte wieder, dann ein dumpfes Plumpsen. Der Unbekannte war offensichtlich vom Wagendach gesprungen. Plötzlich tauchte ein Gesicht aus dem Dunkel auf und quetschte sich gegen die Scheibe auf der Fahrerseite. Frank hüpfte vor Schreck auf dem Sitz und stieß sich den Kopf am Wagendach. Dass es das Gesicht von Benni war, erkannte Nathalie erst auf den zweiten Blick. Dass er mit Sicherheit tot sein musste, bemerkte sie sofort. Bennis Kopf wurde nach rechts und links geschoben und gab dabei ein ekliges Quietschen von sich. Benni verschwand. Dann tauchte ein weiterer Kopf auf und Frank schrie diesmal noch lauter auf als Nathalie. Das unrasierte Kinn von Jo rieb sich im Blut auf der Scheibe. Er grinste diabolisch und machte Fratzen, presste seine Nase und seine Lippen abwechselnd gegen das Glas. Er weidete sich an dem Entsetzen der beiden Jugendlichen, die sich aneinander klammerten. Dass Frank sich einnässte, nahm Nathalie nur ganz am Rande wahr. Jo zog sich schlagartig zurück. Wie versteinert verharrten die Autoinsassen in ihrer Position. Erst als sich minutenlang nichts tat, lösten sie sich langsam voneinander. Dabei rutschte die Reisetasche, die auf Franks Knien gelegen hatte, zur Seite. Etwas in der Tasche geriet in Bewegung und suchte seinen Weg hinaus. Ein Kopf kullerte über Nathalies Schoß, ihre Beine hinunter und kam im Fußraum zum Liegen.
Während Frank sich erneut in die Hose machte und wie Espenlaub zitterte, schrie Nathalie mit überschnappender Stimme fortwährend »Scheiße! Scheiße! Scheiße!«. Etwas anderes kam ihr nicht in den Sinn. Auch als draußen grelles Scheinwerferlicht aufflammte und mehrere Menschen schemenhaft aus der Dunkelheit des Waldes auftauchten, schrie Nathalie noch ihr Scheiße-Stakkato. Auch als die Menschen nah genug am Wagen waren, dass Nathalie erkennen konnte, dass es genau fünf waren, eine Frau und vier Männer, und alle lachten und fröhlich winkten, schrie sie weiter. Auch als sie unter den Menschen Benni wahrnahm, der ihr quicklebendig und feixend zuwinkte und dann überschwänglich Jo umarmte, schrie sie weiter. Erst als das Kamerateam die Tür auf ihrer Seite mit Bennis Wagenschlüssel öffnete und ein auf jugendlich getrimmter Mann »Herzlich willkommen auf MTV, willkommen bei Voll geschockt!, der härtesten Show, die je eine Kamera versteckt hat!« rief, hörte Nathalie auf zu schreien. Reflexartig trat sie dem Mann in der Wagentür zwischen die Beine und schlug ihm gleichzeitig ins Gesicht. Grenzenlose Wut hatte ihre Panik hinweggefegt. Der Moderator taumelte stöhnend zurück. Irgendwer gackerte lauthals los. Frank saß bleich wie ein Bettlaken neben ihr und atmete schwer.
»Ihr Arschlöcher!«, brüllte Nathalie ihren Zorn heraus. Die meisten vom Fernsehteam hörten auf zu lachen. Nur einer kicherte noch blöde.
»Mensch, Nathalie …«, sagte Benni und trat an den Wagen. »Hey, Baby, war doch nur ein Scherz! Guck, ich lebe noch und der Kopf in der Tasche ist eine Attrappe!«
»Du Arschloch«, schrie das Mädchen, bückte sich nach dem Kopf im Fußbereich, packte ihn und schleuderte ihn mit voller Wucht auf ihren Freund. »Das nennst du witzig?!«
Der Kopf prallte an seiner Brust ab. Benni rang kurz nach Luft und taumelte etwas. Dann starrte er auf den Kopf, der am Straßenrand in eine kleine Pfütze gekugelt war. »Das ist ein falscher Schädel, haben die klasse lebensecht hingekriegt …«, begann Benni, beugte sich zu dem Kopf und packte ihn am Schopf. »Das ist doch nur ein Scherz. Nur ein Scherz«, wiederholte er während er den Schädel hoch hielt. »Nur ein Scherz«, flüsterte er ein letztes Mal tonlos und starrte den Schädel an. »Onkel Herbert …« Er ließ den Kopf fallen, drehte sich weg und übergab sich.
Der Kameramann hielt gnadenlos seine Kamera auf den jungen Mann, dann schwenkte er hinunter auf den Kopf. Einige Sekunden verstrichen, bis der Kameramann mit starren Augen sein Arbeitsgerät langsam von der Schulter gleiten ließ. Plötzlich erschlaffte sein Arm völlig und die Kamera schlug zu Boden.
»Das ist kein Scherz«, sagte der Kameramann schwach. Jo, der von Nathalie malträtierte Moderator und die beiden anderen Teammitglieder kamen langsam näher. »Das ist echt Herbert, der Kopf von Herbert.«
02 Nathalie schrie noch, wenn auch tonlos, denn die Stimmbänder hatten längst den Dienst versagt, als Kriminalrat Max Pfeffer sie behutsam in seine Arme nahm.
»Schschsch«, sagte der Polizeibeamte und wiegte das Mädchen sanft hin und her. »Es ist alles gut. Es ist vorbei.« Sie legte ihren Kopf an seine Schulter. Er ließ seinen Blick schweifen. Die Feuerwehr aus Vierkirchen hatte Aggregate und Scheinwerfer aufgebaut, die das Waldstück mit dem kleinen Häuschen hell erleuchteten. Die Jungs von der Spurensicherung hatten ihre Arbeit auf der Straße schon beendet und widmeten sich längst dem Haus. Der Notarzt spritzte Frank ein kreislaufstabilisierendes Mittel. Er hatte Pfeffer schon darüber informiert, dass der Junge nicht vernehmungsfähig sei und zur Beobachtung mindestens eine Nacht mit in die Klinik müsse, weil er unter schwerem Schock stand. Die Gerichtsmedizinerin Gerda Pettenkofer wuchtete soeben ihre gewaltige Leibesfülle aus ihrem Suzuki-Jeep, den sie neben dem Streifenwagen geparkt hatte, der als erstes am Tatort eingetroffen war. Die ganze Straße war weiträumig von der Polizei abgesperrt worden, der ohnehin spärliche