Reine Nervensache. Martin Arz

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Reine Nervensache - Martin Arz

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genug, um dich nicht mehr daran zu stören, dass jeder dich Gaudi nennt – das ist ein verdammt netter Spitzname. Finde ich jedenfalls. Also bitte!«

      »Du solltest auf den Chef hören, Gaudihupf«, sagte Bella.

      »Bella!«, rügte Pfeffer.

      »Was denn?!«

      »Okay.« Freudensprung machte eine übertrieben hilflose Geste. »Dann nennt mich doch, wie ihr wollt. Wollt ihr nun mit ins Haus?«

      Sie betraten das kleine Gebäude wie die Jugendlichen durch die Terrassentür. »Ich habe schon den Ausstatter der Show aus dem Bett klingeln lassen, der ist hierher unterwegs und kann mir dann sicher erklären, woher er all diese Präparate in der Küche hat. Wäre mir jedenfalls neu, dass missgebildete Menschenembryonen für jeden käuflich erwerbbar sind.« Er deutete auf die Gläserpyramide. »Außerdem wird es wirklich spannend, was er dazu zu sagen hat, dass statt dem Plastikkopf, den er angeblich präpariert hat, der abgeschnittene Schädel seines Chefs in der Reisetasche liegt. Der Typ hat mir gleich am Telefon erzählt, dass er sich bei der Innendekoration hier an den üblichen Filmklassikern orientiert hat, ein wenig Sieben hier, ein bisschen Freitag der 13. da, ein Schuss Psycho und noch eine Prise Das Schweigen der Lämmer. Die Kinder haben übrigens längst nicht alles entdeckt. Im Kühlschrank hätte es zum Beispiel noch modernde Schweinedärme gegeben und in der Wohnzimmeranrichte blutverkrustete chirurgische Instrumente. Das Haus gehört einer gewissen Martha Benzengruber. Eine alte Frau, die hier alleine lebt. Sie hat das Haus an die Produktionsfirma von Veicht vermietet und wurde für eine Woche in ein Hotel in München einquartiert, damit alles gruselig hergerichtet werden konnte. Natürlich müssen die hinterher wieder alles renovieren und in seinen ursprünglichen Zustand zurückversetzen.«

      Die Polizisten schlenderten durch die Räume und sahen sich gründlich um. »Hier sind überall versteckte Kameras angebracht. Da, in der ausgestopften Katze zum Beispiel, oder hier in der Lampe oder da.« Er deutete auf verschiedene Kameraverstecke. »Und sie haben sogar mit einem starken Störsender den Handyempfang unmöglich gemacht, damit niemand zur unpassenden Zeit telefonieren kann.«

      »Irgendwie krank der ganze Aufwand, oder?« Bella Scholz sprach aus, was alle dachten. »Alles nur, um Jugendliche an den Rand eines Nervenzusammenbruchs zu bringen.«

      »Nein, alles nur, um Quote zu machen«, korrigierte Freudensprung. »Schaust du manchmal abends MTV oder Viva? Da kommen lauter so debile Schock-Shows. Und den extremen Aufwand haben sie diesmal nur deshalb betrieben, weil das die Jubiläumssendung werden sollte.«

      »Gut«, sagte Pfeffer. »Das hier ist ja offensichtlich nicht der Tatort. Zeig mir noch, was draußen wichtig ist.«

      »Dort drüben im Unterholz hat das Filmteam gewartet, die haben im Dickicht einen getarnten Unterstand gebaut, dort konnten sie mit kleinen Monitoren alles verfolgen, was sich im Wagen oder im Haus tat. Von Anfang an.«

      »Ich will alle Aufzeichnungen, von allen Kameras«, sagte Max Pfeffer. »Längst in die Wege geleitet«, entgegnete Freudensprung lässig. »Okay, der vorgebliche Axtmörder heißt Jonas Wagenbrenner, nicht Joseph, wie er die Jugendlichen hat glauben lassen. Alle nennen ihn Jo, das ist wirklich sein Spitzname. Er sprang jedenfalls aus dem Auto, lief durch den Garten um das Haus herum und hinten durch eine Lücke im Zaun hinüber zu dem Unterstand, wo er sich beim Filmteam versteckte. Während die zwei, also Nathalie Castorff und Frank Jobst, im Haus waren, ist Benjamin Veicht, der als Lockvogel in alles eingeweiht war, ebenfalls in den Unterstand und hat das Auto offen zurückgelassen, damit sein Verschwinden für zusätzlichen Schockeffekt sorgt. Von dort haben sie dann die Attacke auf das Auto gestartet und das große Finale, das die Erlösung bringen sollte.«

      Das kleine Team hatte seinen Rundgang beendet. Pfeffer fiel auf, dass eine riesige Luxuslimousine der obersten Klasse im Schritttempo beinahe lautlos heranrollte und neben dem Notarztwagen zum Stehen kam. Ein Mann um die Fünfzig mit nach hinten gegelten, schulterlangen Haaren stieg langsam aus und sah sich suchend um. Er trug ein rosafarbenes Poloshirt und eine marineblaue Sommerhose mit Bügelfalte. Als er Pfeffers Blick bemerkte, straffte er seine Schultern und kam sicheren Schritts auf ihn zu.

      »Sie leiten hier die Ermittlungen?« Er schüttelte keine Antwort abwartend Pfeffers Hand. Ein Alpha-Männchen hatte das andere Alpha-Männchen erkannt. »Hans-Georg Veicht, mein Name. Mein Sohn hat mich angerufen. Es ist etwas mit meinem Bruder Herbert?«

      »Ja, so kann man es auch nennen. Maximilian Pfeffer übrigens mein Name, Kriminalrat. Folgen Sie mir bitte. Ihr Bruder wurde von den Jugendlichen hier ermordet aufgefunden.«

      »Das hat mein Sohn mir bereits erzählt. Ich möchte ihn bitte sehen. Meinen Sohn, meine ich. Ich möchte gerne erst meinen Sohn sehen.«

      »Das … ich bitte Sie, erst Ihren Bruder zu identifizieren.«

      »Das haben doch schon all die anderen gemacht, oder? Mein Sohn auch.«

      Pfeffer spürte die Angst des Mannes vor dem, was er sehen sollte. Er roch den Angstschweiß, der Hans-Georg Veicht den Rücken hinunter lief. Doch Pfeffer bestand darauf, denn er wollte die Reaktion sehen. Womöglich stand der Mörder hier vor ihm. Er führte Hans-Georg Veicht zu dem einzig vorhandenen Teil von Herbert Veicht, den die am Boden kniende Gerichtsmedizinerin eben in einer schwarzen Folie verpackte.

      »Warte bitte eine Sekunde, Gerda«, sagte Pfeffer. »Herr Veicht möchte seinen Bruder sehen.«

      »Klar, Max.« Sie öffnete die Folie und stand auf. Sie hielt eine unangezündete Zigarette im Mundwinkel. »Gib mir bitte mal Feuer, Maxl.« Der Kriminalrat erfüllte den Wunsch und rauchte solidarisch gleich eine mit.

      Hans-Georg Veicht schnappte nach Luft und bemühte sich um Haltung. Er sah lange auf den abgetrennten Schädel, man konnte förmlich fühlen, dass er sich dazu zwang, den Blick nicht abzuwenden. Dann nickt er und dreht sich weg.

      »Mein Bruder«, sagte er leise. »Zweifelsohne. Seit wann ist er tot?«

      »Schätze mal, rund vierundzwanzig Stunden«, antwortete Gerda Pettenkofer.

      »Oh, aha.« Der Mann holte aus der Brusttasche seines Polohemdes ein Lederetui, dem er eine kurze Zigarre entnahm. Er zündete sie umständlich an und inhalierte auf Lunge. Eine einzelne Träne rann seine linke Wange hinunter. »Ich habe gewusst, dass ihm seine kranken Reality-Produktionen eines Tages den Kopf kosten würden …« Er stockte. »Oh, Entschuldigung, das habe ich nicht so gemeint.«

      Die Gerichtsmedizinerin unterdrückte ein Lachen und drehte sich kurz weg. Pfeffer fragte: »Wie haben Sie es dann gemeint? Woher konnten Sie das wissen?«

      »Ich meinte wissen nicht im Sinne von hundertprozentig wissen. Ich meinte eher ahnen. Herberts Produktionsfirma ist sehr erfolgreich in diesem Reality-Segment, eine Dokusoap nach der anderen und dann noch irgendwelche halbseidenen Semipromis zum Überlebenstraining auf die Alm oder in den Dschungel schicken. Damit hat er sein Geld gemacht. Und glauben Sie mir, nicht jeder findet es gut, dass das Fernsehniveau im freien Fall nach unten ist. Da hat mein Bruder mit seinen Formaten eifrig zu beigetragen. Das bringt sicherlich Feinde ein und natürlich auch Neider, kann ich mir denken. Keine Ahnung, ich weiß es nicht. Ich vermute nur. Wir haben nicht so viel Kontakt miteinander. Ich habe mit seiner Branche nichts zu tun. Wissen Sie, ich mache in Brillen.« Er saugte an seiner Zigarre. »Mein Bruder war immer ein schwieriger Charakter. Es tut mir leid, das zu diesem Anlass sagen zu müssen. Schon als Kind. Er eckte überall an, provozierte um der Provokation willen. Meine armen Eltern …«

      »Hat ihr Bruder sonst noch Familie?«

      »Familie?« Veicht

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