Reine Nervensache. Martin Arz

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Reine Nervensache - Martin Arz

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nach Aktuellem, Tragbarem. Gute Kleidung war eine seiner zwei Marotten, die er kultivierte – die andere Marotte war Jazz.

      Pfeffer hatte in der vergangenen Nacht nur zweieinhalb Stunden geschlafen, denn nachdem sie den Fundort der Kopfes verlassen hatten, waren er und Annabella Scholz schnurstracks mit einem Spurensicherungsteam zur Wohnung des Toten gefahren. Dass hier ebenfalls nicht der Tatort war, hatten sie schnell festgestellt. Die große Penthousewohnung im vornehmen Stadtteil Nymphenburg war erlesen möbliert und wirkte auf die Beamten irgendwie aseptisch. Zwei Ikonen, die einzigen Bilder im Wohnzimmer, waren Pfeffer aufgefallen. Und außer ein paar Unterlagen, Notizbüchern, Kalendern und dem Laptop schien ihnen wenig sicherstellenswert, denn sie wussten noch nicht, worauf sie ihr Augenmerk richten sollten. Als Pfeffer schließlich todmüde ins Bett gefallen war, wusste er, dass sich Annabella Scholz in den nächsten Tagen akribisch mit allem beschäftigen würde, was aus der Wohnung transportiert worden war.

      Nachdem ihn der Wecker aus einer Tiefschlafphase gerissen hatte, war Pfeffer wie jeden Tag eine Stunde gejoggt, hatte hundert Sit-ups und fünfzig Liegestütze gemacht. Der Kriminalrat ging stramm auf die Vierzig zu, doch sein Körper mit den breiten Schultern und der schmalen Taille konnte sich mit jedem jungen Sportler messen. Hüftspeck kannte er nur vom Hörensagen oder wenn er seinen Kollegen Paul Freudensprung ansah, denn der hatte sich in den letzten Monaten einen respektablen Rettungsring angefuttert, genährt von den türkischen Kochkünsten seiner Freundin Aische. Max Pfeffer jedoch legte Wert auf seinen Körper, nicht nur der Fitness wegen. An diesem Tag hatte er beim Laufen die noch herrlich kühle Luft eines sonnendurchfluteten frühen morgens genossen, der einen erneut hitzerekordverdächtigen Tag ankündigte. Er hatte kalt geduscht und den naturfarbenen federleichten Leinenanzug gewählt, dessen Hose seinen Hintern knackig zur Geltung brachte. Pfeffer wusste, was er zu bieten hatte und wie er es betonen konnte. Auch wenn er nicht der allerhübscheste war und seine Haare längst ergraut waren. Für seine Geschlechtsgenossen, die der Meinung waren, Körperpflege und -bewusstsein seien nicht maskulin, hatte er nur ein müdes Lächeln übrig. Und er vertrat die Ansicht, dass man die ultimative Geheimwaffe, die ihre Wirkung auch dann nicht verfehlte, wenn Intelligenz und Esprit nicht mehr weiterkamen – titts and ass –, einfach nicht allein den Frauen überlassen dürfe.

      Annabella Scholz hatte ihm am Morgen mit »Chef, ich könnte mich auf der Stelle in dich verlieben!« begrüßt, das allein hatte alles schon gerechtfertigt. Es half Pfeffer auch deshalb, weil er sich zu Hause kaum noch begehrt fühlte. Nun setzte sich Pfeffer lässig auf die Schreibtischkante und nippte an seinem Kaffee.

      »Nicht persönlich involviert ist vielleicht der falsche Ausdruck«, sagte Jo Wagenbrenner und rieb sich das stoppelige Kinn. Er sah verlegen zu Boden. Die Nacht in Polizeigewahrsam hatte er offensichtlich schlaflos verbracht, die dunkelvioletten Ringe unter seinen tiefliegenden Augen verrieten es. Seine wirren braunen Haare hingen ihm in die Stirn und klebten fettig an den Schläfen. »Ich meine nur, dass ich niemanden persönlich kannte.«

      »Sie sind Schauspieler?«

      »Nein, das nicht. Ich studiere Informatik. Für Veicht-Productions habe ich ab und an gearbeitet. Nur ein Job, verstehen Sie? Ich habe da mal ein Praktikum gemacht und seitdem immer wieder verschiedene Jobs übernommen. Bei den Reality-Formaten braucht man öfter einen Allrounder, der kleine Rollen spielt oder so. Mein Gesicht ist nicht sehr markant, da lässt sich viel draus machen mit etwas Schminke. Mal ein Gigolo, mal ein Kellner, und mal …«

      »… ein gestörter Mörder«, ergänzte Kommissarin Scholz mit ätzendem Unterton.

      »Ja, gestern auch das.« Jo spielte verlegen mit einer Haarsträhne. »Es tut mir so wahnsinnig leid. Das Mädchen vor allem. Ich meine, da sind wir sicherlich zu weit gegangen, auch ohne den Kopf und so … Aber wir dachten, die würden relaxter reagieren, wenn wir das aufklären.«

      »Sie wissen, dass der Junge, also Frank Jobst, zur Beobachtung in die Psychiatrie eingewiesen wurde, weil Sie so hübsche Spielchen getrieben haben?«, sagte Annabella Scholz.

      »Ich sagte doch, dass es mir wahnsinnig leid tut!« Jo Wagenbrenner zog eine verlegene Grimasse und wand sich auf seinem Stuhl. »Wenn Sie mir die Telefonnummern von ihm und dem Mädchen geben, werde ich mich gerne persönlich entschuldigen. Das habe ich nie gewollt.«

      »Wir werden Ihnen selbstverständlich keine Telefonnummern von irgendwem geben. Das verstehen Sie sicher«, sagte Pfeffer emotionslos und gab seiner Kollegin ein Zeichen, dass sie es gut sein lassen solle. »Und wir sind nicht hier, um Ihr Handeln moralisch zu beurteilen. Sie werden sich irgendwann und irgendwie für ihr Tun rechtfertigen müssen, auch wenn es nicht vor Gericht ist.«

      »Ich weiß, ich weiß. Sind Sie gläubig, Herr Kriminalrat?«

      »Das steht hier nicht zur Debatte. Und Sie sollten meine Worte nicht so einseitig auslegen.«

      »Entschuldigen Sie. Ich dachte nur. Ich bin es nicht. Nun ja, eigentlich nicht. Man weiß ja nie, was da noch alles zwischen Himmel und Erde ist.« Jo trank seinen Kaffee in einem Zug aus. »Veicht ist seicht – das ist so ein geflügelter Spruch in der Fernsehszene, ich weiß. Stimmt ja auch, Veicht-Productions setzt auf absoluten Flachsinn und macht damit Quote. Was solls, mir hat das immer Spaß gemacht. Gucken würde ich so was eh nie, aber mitmachen ist lustig und bringt Geld.« Er kratzte sich wieder am Kinn. »Entschuldigung, aber der Stoppelbart juckt so, ich rasiere mich normalerweise täglich. Das ganze Outfit hier …«, er sah an sich herunter und zupfte an dem ausgeleierten, mit Kunstblut verschmierten T-Shirt und der abgewetzten Jeans, »… ist von der Produktion geliehen. Ich würde mich bitte gerne umziehen, wenn ich darf.«

      »Später, Herr Wagenbrenner«, sagte Annabella Scholz. »Möchten Sie nicht lieber einen Anwalt anrufen?«

      »Brauche ich denn einen Anwalt?«

      »Nein.« Pfeffer sah seine Kollegin an und schüttelte den Kopf. »Ich denke nicht. Sie können nach Ihrer Aussage nach Hause gehen und tun, was immer Sie wollen. Wir werden Sie nicht festhalten. Ich muss Sie nur bitten, die Stadt nicht zu verlassen, ohne vorher mit uns gesprochen zu haben. Ein Kollege wird Sie nachhause begleiten, denn wir brauchen die Kleidung, die Sie jetzt tragen fürs Labor. Und natürlich auch die Kleidung, die Sie anhatten, bevor Sie die geliehenen Klamotten angezogen haben.«

      Jo Wagenbrenner nickte.

      »Nun aber zu den entscheidenderen Fragen: Welches Verhältnis hatten Sie zu Herbert Veicht und wieso hatten Sie seinen Kopf in der Tasche?«

      »Der Veicht war ganz okay. Ich meine, ich habe ihn nicht so gut gekannt. Er und sein Kompagnon sind so richtige Freaks, die spinnerte Ideen ausbrüten und umsetzen. Hauptsache schrill, Hauptsache anecken. Wie jetzt das mit dem Operations-TV. Sie werden Schönheits-OPs verlosen und mit der Kamera dabei sein.«

      »Krank«, entfuhr es Annabella.

      »Ja, nicht? Der Gag dabei ist, dass sich nur Eltern bewerben können, die ihren minderjährigen Töchtern einen größeren Busen oder eine Stupsnase oder Ballonlippen oder so als Überraschung schenken wollen.«

      »Absolut krank«, sagte Annabella.

      »Krank oder nicht, Sie haben meine Fragen nicht beantwortet«, sagte Pfeffer.

      Jo zog den Kopf leicht ein. »Wie gesagt, Veicht kannte ich nicht gut genug. Er war mir egal. Ich hatte meistens nur mit den Produktionsassistenten zu tun. Und wie der Kopf … ich weiß nicht. Ich hatte die Anweisung, mich ab achtzehn Uhr bereitzuhalten. Ich war im Büro von Veicht-Productions und wurde dort gestylt. Es hieß, die präparierte Tasche läge in der Requisitenkammer bereit. Das ist eigentlich keine Kammer, sondern ein großes Kellergewölbe, das zum Büro dazu gehört. Dort war die Tasche an dem angegebenen Platz

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