Wohltöter. Hansjörg Anderegg
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Читать онлайн книгу Wohltöter - Hansjörg Anderegg страница 17
DCI Rutherford schaltete sich ein. »Sie produzieren hier solche Zellen – wie heißen die noch mal?«, fragte er misstrauisch.
»Adulte Stammzellen. Ja, das ist einer der wichtigsten Forschungszweige am Institut. Ich selbst beschäftige mich seit einem Jahr ausschließlich mit der Regenerierung von Nierengewebe.« Beim Anblick der überraschten Gesichter brach er in Gelächter aus. »Entschuldigen Sie. Bevor Sie mich jetzt verhaften, muss ich darauf hinweisen, dass sich allein in Großbritannien fast zwanzig Forschungseinrichtungen mit dem gleichen Thema befassen. Das Gebiet der regenerativen Medizin ist riesig und das Zukunftsthema der Medizin.«
Der DCI gewann seiner Bemerkung nichts Heiteres ab. Düster sagte er: »Wir brauchen die Liste aller Institute.«
Dr. Roberts setzte sich an seinen Computer. »Kein Problem«, meinte er. »Soll ich sie ausdrucken oder mailen?«
»Beides – bitte«, verlangte Chris hastig, bevor der DCI es sich anders überlegte. Sie hatte das Gefühl, Dr. Roberts Mailadresse in Zukunft noch zu benötigen. Sie gab ihm ihre Visitenkarte. »Hier steht alles drauf«, erklärte sie unnötigerweise. »Rufen Sie mich jederzeit an, wenn Ihnen etwas einfällt, was wichtig für uns sein könnte.«
»Ich nehme Sie beim Wort, Detective Sergeant«, schmunzelte er, steckte die Karte ein und gab ihr den Ausdruck.
Der DCI betrachtete die lange Liste argwöhnisch. »Sind das alle?«
»Alle in Großbritannien.«
»Und jedes dieser Institute hat die Fähigkeit, solches Nierengewebe herzustellen?«
»Theoretisch ja. In der Praxis allerdings …«
»Ja?«
Chris musste sich abwenden. Dr. Roberts leicht verlegenes Lächeln ertrug sie nicht.
»In der Praxis«, fuhr er fort, »fürchte ich, sind wir das einzige Labor, das sich auf die Erzeugung menschlichen Nephrons spezialisiert hat. Allerdings haben wir nichts mit Schweinenieren zu tun.«
»Interessant«, murmelte Rutherford mit steinerner Miene.
»Allerdings«, stimmte Dr. Roberts zu. »Je länger ich über Ihren Obduktionsbefund nachdenke, desto rätselhafter erscheint er mir.«
Chris wagte einen Blick. »Was meinen Sie damit?«
Die Verpflanzung von Zellmaterial aus iPSC …«
»Bitte?«
»Entschuldigen Sie. iPSC ist nur eine Abkürzung für die Stammzellen, über die wir vorher gesprochen haben. Der Begriff bedeutet ›induced pluripotent stem cells‹, also erwachsene, spezialisierte menschliche Zellen, die man in Stammzellen zurückverwandelt hat. Solche Stammzellen kann man anschließend zu praktisch jedem beliebigen Zelltyp umprogrammieren. Daher die Bezeichnung pluripotent. Das Hauptproblem dabei ist, dass die Herstellung der iPSC kompliziert, langwierig und sehr ineffizient ist, ebenso die Spezialisierung. Bei der heute üblichen Methode entsteht so ein Brei aus, beispielsweise, Nierenzellen und nicht umgewandelten iPSC. Diese verbleibenden Stammzellen können extrem gefährlich werden. Es besteht ein hohes Risiko, dass ein solches Gewebe karzinogen wird.«
»Sie lösen Krebs aus«, ergänzte Chris nachdenklich.
Er nickte. »Ich kann Ihnen das gerne im Labor zeigen.«
Diesmal war der DCI schneller. »Das wird nicht nötig sein, Doctor«, winkte er ab. »Wir bedanken uns erst einmal für Ihre Auskünfte und würden gerne auf Sie zurückkommen, wenn wir weitere Fragen haben. Ist das in Ordnung?«
»Selbstverständlich, wird mir ein Vergnügen sein.«
Der Diagnose-Blick! Chris erwiderte seinen Händedruck beim Abschied nur flüchtig. Schnell wandte sie sich ab und folgte dem DCI zum Ausgang.
Im Wagen beobachtete der Rutherford sie eine Weile spöttisch, dann fragte er: »Haben Sie mitbekommen, dass der gute Dr. Roberts sich gerade als einer der Hauptverdächtigen profiliert hat?«
»Nett von ihm, nicht wahr?«, lächelte sie gequält. »Ich kann mir allerdings nur schwer vorstellen, dass er etwas mit unserer Schweineniere zu tun hat. Er müsste schon ein außerordentlich begabter Lügner sein. Und warum sollte er uns auf die Nase binden, dass ausgerechnet er auf dem Gebiet künstlicher Nierenzellen forscht?«
»Eben weil er ein guter Lügner ist. Und weil wir das sowieso herausfinden würden.«
»Glaube ich nicht«, entgegnete sie trotzig.
»Was glauben Sie nicht?«
»Dass er ein Lügner ist.«
Der DCI nickte schmunzelnd, enthielt sich aber eines Kommentars. Erst als sie wieder auf der M11 Richtung London fuhren, hörte sie ihn murmeln: »Rufen Sie mich jederzeit an.«
Sie stellte sich taub, versuchte nur, Dr. Roberts Gesicht zu ignorieren, das sie ständig von der Windschutzscheibe her anlächelte.
South Kensington, London
Ihre Ermittlungen steckten fest. Nirgends sah Chris die brutale Wahrheit klarer als abends unter der Dusche. Die Suche nach der mysteriösen Klinik musste auf immer größere Gebiete ausgedehnt werden. Die Wahrscheinlichkeit, sie zu finden, nahm entsprechend rapide ab. Alle Indizien deuteten darauf hin, dass das Gebäude an der Küste stehen musste, doch die Durchsuchung der siebzehn Häuser, die dafür infrage kamen, war ergebnislos verlaufen. Ein buchstäblicher Schlag ins Wasser. Also doch ein Schiff? Dann würde der Fall kaum je aufgeklärt werden. Ron kam bei seinen Ermittlungen im undurchdringlichen Dschungel der pakistanischen Parallelgesellschaft auch keinen Schritt weiter. Die Familien und Clans hielten zusammen wie Pech und Schwefel. Wo sie auch ansetzten, stießen sie auf eine Mauer des Schweigens. Nicht feindselig, meist durchaus freundlich, gar beredt, wortreiches Schweigen. Niemand schien den Mann in der Gerichtsmedizin und das unbekannte erste Opfer zu vermissen. Niemand hatte etwas gesehen oder gehört. Sie hatte ähnliche Tiefpunkte in fast jedem Fall ihrer jungen Karriere erlebt. Allmählich sollte sie sich daran gewöhnen, aber diesmal fiel es ihr besonders schwer. Sie war nicht nach England gekommen, um mit wehenden Fahnen unterzugehen. Das Schlimmste an der Situation war, dass das einzige konkrete Verdachtsmoment ausgerechnet auf den netten Dr. Roberts fiel.
»Was heißt schon nett«, spottete die Dusche.
Sie war nicht in der Stimmung, sich auf diese Diskussion einzulassen. Noch einmal und noch intensiver spülte sie sich das Haar, dann drehte sie der vorlauten Dusche den Hahn zu. Sie richtete den warmen Strahl des Föhns zuerst aufs Gesicht, um die düsteren Gedanken aus ihrem Hirn zu blasen, dann begann sie seufzend mit dem umständlichen Trocknen ihrer langen Haare.
Ein neuer Ton überlagerte plötzlich das ermüdende Rauschen. Der Bildschirm des Telefons auf dem Fenstersims leuchtete. Die Nummer kannte sie nicht. Sie legte den Fön beiseite und drückte auf die Empfangstaste.
»Detective Sergeant Hegel?«, fragte eine warme Stimme, die ihr sogleich die Schamröte ins Gesicht trieb, denn sie stand nackt wie die Venus vor dem Spiegel und sprach mit Dr. Roberts.
»Ja?«, antwortete sie vorsichtig.
»Jamie Roberts