Wohltöter. Hansjörg Anderegg
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Читать онлайн книгу Wohltöter - Hansjörg Anderegg страница 14
»Super, du bist also doch gekommen«, freute sich Marcus albern nach einem herzhaften Kuss auf die Lippen, der sie wohl an alte Zeiten erinnern sollte.
»Wie du siehst, aber keine Angst: Ich bin nicht im Dienst und unbewaffnet.«
»Was heißt das schon«, seufzte er. »Deine Waffen sind die schönen Augen, das Näschen, dein spitzbübisches Lächeln. Du siehst immer noch gleich hinreißend aus.«
»Oh, du meinst, man sieht mir die zwei Jahre gar nicht an? Heißen Dank auch.«
»Du weißt, wie ich es meine …«
Eine strohblonde Schöne drängte sich dazwischen. »Willst du uns nicht vorstellen, Schatz?«
Er warf Chris einen verlegenen Blick zu. »Entschuldige, meine Freundin Lizzy, und das ist Chris. Wir haben uns am Institut kennengelernt.«
Chris wunderte sich, wie viele Lizzies er in der Zwischenzeit vernascht haben mochte. Andererseits – so genau wollte sie es auch wieder nicht wissen. Sie stellte zwei, drei harmlose Fragen, um den ungeschriebenen Gesetzen höflichen Smalltalks zu genügen, dann setzte sie sich ans Büfett ab.
»Die Oxford Bangers sind schon die Besten«, sagte eine lange nicht mehr gehörte Stimme hinter ihr.
Sie wirbelte erfreut herum. »May, wie geht es dir?«
Dr. May McGregor hatte sich verändert. Die schwarz umrandete, viel zu große Brille war verschwunden. Statt des knöchellangen, bunten Rocks trug sie einen eleganten Hosenanzug, und die Füße steckten in richtigen Schuhen, nicht den alternativen Flachtretern, die sie während ihrer Arbeit am ›CRL‹ getragen hatte. Keine Spur mehr vom früheren Landei. Diesmal waren ihre Komplimente ernst gemeint. Sie umarmten sich und zogen sich mit ihren Würsten in eine ruhigere Ecke zurück.
»Wo bist du gelandet?«, fragte Chris.
»Edinburgh.«
»Die alte Heimat.«
»Aye, aber nicht aus Heimweh«, sagte die Schottin in ihrem herben Akzent, der Chris stets an das Plätschern eines Bergbachs erinnerte. »Ich hatte die Gelegenheit, ein spannendes Projekt an der Uni zu übernehmen. Wir wollen die chemische Bodenbeschaffenheit der ganzen Insel katalogisieren.«
»Da hast du dir einiges vorgenommen.«
»Allerdings. Die Beschaffung und Analyse der Proben grenzt schon an Sisyphusarbeit, aber die echten Probleme beginnen mit dem Indizieren. Die Datenbank soll allgemein für möglichst verschiedenartige Zwecke zur Verfügung stehen. An dieser Knacknuss arbeiten wir noch.«
»Mich überrascht, dass ihr eure Geologie noch nicht vollständig erfasst habt«, meinte Chris erstaunt.
May lachte. »Natürlich ist das längst geschehen, aber unser Projekt geht viel weiter. Wir messen die chemische Zusammensetzung so genau, dass die Herkunft jeder Bodenprobe praktisch auf den Quadratkilometer genau bestimmt werden kann.«
»Alles klar. Der Traum jedes Kriminalisten.«
»Wer weiß schon, wovon ihr träumt, Detective.«
»Detective Sergeant«, grinste Chris.
Nicht jede Begegnung auf dieser Party verlief so harmonisch. Auf der Toilette stellte sie Lizzy die falsche Frage. Die Antwort interessierte sie nicht im Geringsten. Sie wollte nur höflich sein, nicht wortlos an Marcus’ letzter Eroberung vorbeigehen.
»Schon gepackt?«, fragte sie arglos.
Lizzy schaute sie entsetzt an, dann brach sie in Tränen aus und warf sich heulend an ihre Brust. Sie schluchzte hemmungslos, dass Chris nicht wusste, wohin sie blicken und was ihre Hände tun sollten. Es dauerte eine Weile, bis sie begriff: Lizzy musste zu Hause bleiben. In den Geologen-Camps am Kap Hoorn und in der Antarktis gab es weder Platz noch Arbeit für ein Model.
Ihr gesellschaftliches Soll war für heute erfüllt. Sie griff noch einmal zum Saxophon und spielte Marcus zum Abschied einen Ausschnitt aus dem ›Farewell Blues‹ in der Version von Charlie Parker. Solo, schnell. Es sollte ein fröhlicher Abschied werden, obwohl sie das Stück schon in besserer Stimmung interpretiert hatte.
Wie in einem schlechten Film zogen auch draußen wieder schwarze Wolken auf, als sie das Lokal verließ. Die ersten Tropfen fielen, kurz bevor sie den Bahnhof erreichte. Auf der Rückfahrt betrachtete sie eine Weile die flüssigen Gemälde, die der Regen auf die Fensterscheibe zeichnete. Den Rest der Strecke versuchte sie, dösend die Leere in ihrem Innern zu vergessen.
Eine leichte Berührung weckte sie. »Your phone, Madam«, sagte der sichtlich ungeduldige Herr gegenüber.
Sie murmelte eine Entschuldigung, während sie das Handy aus der Tasche klaubte. Anrufer unbekannt stand auf dem Display. Missmutig drückte sie die Empfangstaste. »Hallo?«
»DS Hegel?«
Diese Stimme kannte sie. Ihr Puls beschleunigte sich. Es kostete sie einige Anstrengung, ruhig und freundlich zu antworten: »Dr. Barclay, was kann ich für Sie tun?«
»Nichts, meine Teure, aber ich kann etwas für Sie tun. Sie müssen herkommen.«
»Was – wohin soll ich?«, stammelte sie verblüfft.
»Zu mir in die Gerichtsmedizin. Es gibt Neuigkeiten.«
»Es ist Samstag. Ich bin nicht im Dienst. Hat das nicht Zeit …«
»Nein.«
Keine Verbindung mehr. Wie lange dauerte es wohl, sich an Mad Barclays erratischen Charakter zu gewöhnen, falls man es überhaupt schaffte? Die bohrende Frage beschäftigte sie, bis der Zug in der Paddington Station hielt.
Scotland Yard, London
Der Regen erwischte Chris doch noch auf den wenigen Schritten vom Taxi zum Gebäude. Sie wischte sich die nassen Haarsträhnen aus dem Gesicht und steckte den Ausweis in den Schlitz. Der Beamte an der Sicherheitsschleuse schmunzelte beim Anblick ihres Instrumentenkoffers.
»Etwas nicht in Ordnung?«, fragte sie spitz.
Der Uniformierte schüttelte den Kopf. »Sorry, Detective Sergeant, ich fragte mich nur, ob das Orchester nun komplett sei.«
»Wieso – sind noch mehr Musiker in der Pathologie?«
»Das nicht, aber ihre Kollegen sind schon da.«
Kollegen. Plural. Der Mann konnte sich gar nicht vorstellen, wie sie diese Information erleichterte. Kein Tête-à-Tête mit der verrückten Pathologin. Der Samstagnachmittag war vielleicht doch nicht ganz verloren. Sie fand Dr. Barclay, den DCI und Ron im Labor.
»Tut mir leid, dass ich nicht früher kommen konnte«, entschuldigte sie sich. »Ich bin erst gerade nach London zurückgekehrt.«
»Wohnt er außerhalb?«, bemerkte die Pathologin spöttisch, offensichtlich ohne eine Antwort zu erwarten. »Wo war ich stehengeblieben?