Wohltöter. Hansjörg Anderegg
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Die Kurve des Spektrogramms war eine verwirrende Folge unterschiedlich hoher und breiter Spitzen, jede charakteristisch für die Häufigkeit eines chemischen Elements oder Moleküls. Der Computer im Yard würde diesen ›Fingerabdruck‹ mit dem Spektrogramm bekannter Substanzen vergleichen. So hoffte sie, mehr über die Art der Umgebung herauszufinden, wo sich der junge Mann vor seinem Tod aufgehalten hatte.
Die zweite Probe enthielt keine sichtbaren Verunreinigungen. Mit ihr suchte sie nach Hinweisen über die Atmosphäre, die Luft, in der das Opfer seine letzten Stunden verbrachte. Die Kleider nahmen Gerüche auf, die mit diesen empfindlichen Geräten auch nach Stunden im Seewasser nachzuweisen waren. Nach einer Stunde steckte sie die Ergebnisse beider Proben in die Aktentasche. Mehr war aus den Stofffetzen nicht herauszuholen, war sie überzeugt.
Janice schaute befremdet zu, wie sie zusammenpackte. »Was ist mit den andern Tests?«
Dr. Powers Liste! Die Checkliste mit seinen genauen Anweisungen lag unbenutzt auf Janices Schreibtisch. Chris hatte sie sofort nach ihrer Ankunft in diesem fantastischen Labor verdrängt. »Ach – richtig«, murmelte sie verlegen, »wir sollten Ihren Vater nicht enttäuschen.«
»Nein, sollten wir nicht«, lachte Janice.
»Wäre es möglich, mir die restlichen Resultate zu mailen? Ich möchte mich so schnell wie möglich um diese Auswertungen kümmern.«
»Kein Problem. Die Rechnung schicke ich dann Dad.«
Scotland Yard, London
Chris’ Augen schmerzten von der stundenlangen Arbeit am Bildschirm. Die Auswertung der Spektrogramme war schwieriger, als sie angenommen hatte, doch allmählich ergab sich ein zusammenhängendes Bild. Sie erhob sich, um die verkrampften Muskeln zu dehnen. Sofort stand Ron neben ihr.
»Kaffee?«
»Ein Schokoladeriegel wäre mir lieber, ehrlich gesagt.« Sie hatte den ganzen Tag nichts gegessen, brauchte dringend Zucker.
»Ihr Wunsch ist mir Befehl«, grinste Ron. Er ging zu seinem Schreibtisch, durchwühlte mehrere Schubladen und kehrte schließlich mit einer Auswahl von Süßigkeiten zurück. »Alles originalverpackt«, versicherte er triumphierend.
Sie betrachtete erst ihn, dann seine Riegel misstrauisch. Die Kandidaten hatten teilweise ihre Form verloren. Sie sahen alle nicht sehr vertrauenerweckend aus. Aber der Hunger siegte. Sie zog einen heraus. »Wusste nicht, dass die noch hergestellt werden«, wunderte sie sich, bevor sie ihn in den Mund schob.
»Werden sie auch nicht. Das Ding hat Seltenheitswert.«
Die Kollegen ringsum brachen in lautes Gelächter aus, was Ron die Zornesröte ins Gesicht trieb.
»Ehrlich, das war einer der Letzten weltweit«, verteidigte er sich.
Chris schluckte die antiken Kohlenhydrate in einem Kraftakt hinunter. »Ein Kaffee wäre jetzt doch nicht schlecht«, meinte sie dann. Sie zupfte den verstörten Detective am Ärmel, um ihn zum Automaten zu lotsen.
»Pass auf, sie ist scharf auf deine Sammlung«, war das Letzte, was sie verstand, bevor Ron die Tür hinter ihnen zuschlug.
»Idioten«, zischte er wütend.
Nur mit Mühe verbarg sie ihre Heiterkeit. Um die Klippe zu umschiffen, fragte sie ihn nach seinen Ermittlungsergebnissen.
»Enttäuschend«, antwortete er. »Die Kliniken weisen jeden Verdacht auf Xenotransplantation weit von sich. Ich habe trotzdem die Operationsprotokolle der letzten zwei Monate verlangt. Die schriftlichen Unterlagen werden morgen oder übermorgen eintreffen. Ich nehme allerdings nicht an, dass wir darin etwas Neues finden werden.«
Sie nickte. »Keine Überraschung. Das bestätigt nur unsere Vermutung: Die Transplantation wurde illegal, ohne offiziellen Nachweis, durchgeführt. Was wiederum ganz gut zu meinen Resultaten passt.«
Das Mahlwerk des Kaffeeautomaten verhinderte jede weitere Unterhaltung. Sie wartete, bis der Apparat die braune Brühe ausspuckte, dann fasste sie zusammen, was die Analyse der Kleiderproben aufgedeckt hatte:
»Ich habe Rückstände von Peroxiden gefunden. Das sind Sauerstoffverbindungen, die vor allem in aggressiven Reinigungsmitteln vorkommen, wie man sie in Kliniken verwendet. Typische Komponenten solcher Spitalreiniger sind PES, Peroxiessigsäure, und Wasserstoffperoxid, wie man es auch zum Bleichen verwendet. Zudem gibt es Spuren von Chlor, was auf Ammoniumchlorid oder Salmiak hindeutet, auch eine häufige Komponente in Spital-Reinigungsmitteln. Die Waschmittelrückstände sind nicht aussagekräftig. Übliche Waschmittel eben, wie man sie überall findet. Soweit deckt sich das Ergebnis mit den Spuren, die man von einer Klinik erwartet.«
»Aber?«, drängte Ron, als sie eine Kunstpause einlegte.
»Jetzt kommt die Überraschung. Die Umgebung, in der sich der Mann vor seinem Tod aufgehalten hat, weist geringste Spuren metallorganischer Farbe auf, wie man sie benutzt, um Eisen zu färben – oder zu tarnen.«
»Ein Container?«, rief Ron verblüfft.
Sie schmunzelte. »Dachte ich zuerst auch, bis ich noch etwas herausfand.«
»Jesus, Sergeant. Machen Sie’s nicht so spannend. Ich fange gleich wieder zu rauchen an.«
»Das würde ich mir nie verzeihen«, lachte sie. »Dieser Typ Farben wird seit 1945 nicht mehr benutzt.«
»Ein alter Container.«
Sie schüttelte den Kopf. »Unmöglich. Die ersten Container tauchten in der US-Armee 1948 auf.«
»Ein Schiff? Die Navy?«
»Könnte sein. Ich habe auch deutliche Spuren von Dieselkraftstoff entdeckt. Allerdings …«
Ron zerknüllte den Becher in schierer Verzweiflung, als sie innehielt. »Mensch!«
»Zuviel ›GtL‹«, grinste sie. »Anteile, die aus Synthesegas hergestellt werden. Dieses Gemisch verbrennt sauberer, wird aber kaum auf Schiffen verwendet.«
Er schnaubte verächtlich. »Großartig. Die Wissenschaft gibt uns mehr verfluchte Rätsel auf, als sie löst.«
»Ein wahres Wort, Ron. Immerhin wissen wir jetzt, dass sich das Opfer vor seinem Tod mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht in einer normalen Klinik aufgehalten hat. Wir suchen nach einem alten Gebäude, dessen Wände vermutlich aus Stahl bestehen oder mit Stahlplatten verstärkt sind. Mindestens Teile davon müssen mit grauer Tarnfarbe bestrichen sein, wie man sie von alten Kriegsschiffen kennt. Und das Gebäude ist nicht am Stromnetz angeschlossen.«
»Wie kommen Sie darauf?«
»Der Dieselkraftstoff. Ich nehme an, die Spuren stammen von einem Generator.«
Ihre Geschichte gefiel dem DCI gar nicht, als sie eine Stunde später den Bericht ablieferte. Die Andeutung, es könnte sich um eine Einrichtung der Navy handeln, bedeutete Ärger. Gewaltigen Ärger.
»Und Powers stützt diese Hypothese?«, wollte er wissen. »Ich habe seinen Bericht noch nicht gesehen.«
Sie nickte. »Er bestätigt die Ergebnisse der Untersuchung, obwohl er die Navy nicht explizit erwähnt.«