Vernichten. Hansjörg Anderegg
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Kapitel 2
Berlin
Hauptkommissarin Monika Weber druckte die wenigen Seiten Information über Lukas Matulis und seine Galerie aus und meldete sich vom System ab. 14 Uhr war vorbei, ihr Partner Dieter Vogel immer noch nicht zurück vom Mittagessen, das normalerweise aus Currywurst am Platz der Luftbrücke oder Cheeseburger to go beim Burger King bestand, damit die Ernährung nicht allzu einseitig ausfiel.
»Hat jemand Dieter gesehen?«, fragte sie in die Runde.
»Raucht Parkplatz«, antwortete der alte Postbote im Telegrammstil, der zufällig am Fenster stand.
»Seit wann raucht der wieder?«
Mindestens ein Jahr lang hatte er zu ihrer Verblüffung keine Zigarette mehr angerührt. So viel Selbstdisziplin passte einfach nicht zu ihrem Partner. Sie ging ans Fenster. Es war tatsächlich Dieter Vogel, der, Zigarette im Mund, einen Parkplatz besetzte und in einen heftigen, pantomimischen Streit mit dem Fahrer des schwarzen Audi verwickelt schien, der partout auf dem letzten freien Platz parken wollte. Sie sah eine Weile kopfschüttelnd zu. Der Streit eskalierte. Dieter Vogel stapfte gesenkten Hauptes auf den Wagen zu wie der Stier aufs rote Tuch und versetzte der Stoßstange einen kräftigen Tritt. Der Fahrer sprang aus dem Auto. Sie schrien sich an, dann wandte ihr Partner sich unvermittelt ab.
»Was hat er vor?«, fragte der Postbote neben ihr, der das Schauspiel zusammen mit fünf weiteren Kollegen gespannt verfolgte. Dieter Vogel beantwortete die Frage, indem er den nahen Mülleimer aus der Halterung riss, in hochhob und damit auf den Fahrer losging.
»Der ist total übergeschnappt«, murmelte sie erschrocken.
Unter dem Gelächter der Kollegen rannte sie zum Lift. Unten angekommen sah sie ihren Partner mitten auf dem Parkplatz auf dem Eimer sitzen. Er zündete sich die nächste Zigarette an und schien wieder mit sich und der Welt im Reinen zu sein. Der Audi war verschwunden.
»Dem hast du‘s aber gezeigt«, sagte sie.
Er drehte sich langsam zu ihr um, sah sie an, als nähme er Maß für den nächsten Angriff, bevor er sich entspannte und brummte:
»Warum kann mich dieses Arschloch nicht einfach in Ruhe lassen?«
»Vielleicht weil du auf dem letzten freien Platz sitzt?«
Nach zwei langen Zügen, begleitet von trockenem Husten, schnippte er die Zigarette angewidert weg, klaubte eine neue aus der Packung und versuchte, sie anzuzünden. Die Hand mit dem Streichholz zitterte. Zudem blies der Wind in die falsche Richtung. Schließlich warf er das Streichholzbriefchen mit einem undeutlichen Fluch der Kippe hinterher. Die jungfräuliche Zigarette im Mund, hockte er auf den Mülleimer und starrte stumm ins Leere. Sie spürte, wie aufgewühlt er war, was sicher nicht am Audi-Fahrer lag. Daher verzichtete sie auf ironische Kommentare und fragte nur:
»Willst du darüber reden?«
Der gequälte Blick war nicht gespielt, als er antwortete:
»Hast du dir mal überlegt, was für einen beschissenen Job wir eigentlich machen?«
Er verstand es nicht als Klischee-Frage wie im Fernsehkrimi. Er erwartete eine ernsthafte Antwort, die ihr gerade nicht einfiel. Sie konnte nur vermuten, woher sein Zustand rührte.
»Du warst bei Marion, nicht wahr?«
Marion, die junge Witwe des ermordeten Kollegen Malte Friedmann. Dieter war seit langer Zeit eng mit der Familie Friedmann befreundet, der Sohn Patrick sein Patenkind.
»Es ist – unfassbar – ich kann dich verstehen«, fügte sie stockend hinzu. »Der arme Kleine …«
»Patrick weiß es noch nicht!«, unterbrach er heftig. »Wie erklärst du einem Fünfjährigen, dass eine Psychopathin seinen Vater abknallt wie ein krankes Schwein, nur weil er seinen verschissenen Job macht? Marion kann es jedenfalls nicht – ich auch nicht.«
Auch darauf wusste sie keine Antwort, außer dem eiskalt klingenden Hinweis auf »professionelle Hilfe«, was er mit einem verächtlichen Lacher quittierte. Sie wechselte abrupt das Thema:
»Wir müssen los: Matulis.«
»Noch so ein sinnloser Einsatz«, knurrte er.
Immerhin erhob er sich, versetzte dem Eimer einen Fußtritt, dass er an den Rand des Parkplatzes rollte, und folgte ihr zum Dienstwagen.
»Was versprichst du dir von dieser Übung?«, fragte er unterwegs.
»Darum geht es nicht. Wir müssen Matulis nochmals zur Waffe befragen. Das weißt du.«
Er fuhr schweigend weiter. An der nächsten roten Ampel bekräftigte er seinen Vorbehalt gegen Lukas Matulis. Er wandte sich ihr zu und sagte:
»Ich traue diesem Typen nicht.«
»Du traust keinem Schlipsträger.«
Die Ampel wechselte auf Grün. Der Hintermann hupte. Dieter Vogel blickte sich um und dachte nicht daran, weiterzufahren.
»Suchst du einen Mülleimer?«
Es war ihr einfach so entschlüpft. Zu ihrer Verblüffung brach er in Gelächter aus und fragte:
»Hast du einen gesehen?«
Dann trat er aufs Gas. Die Ampel stand auf Orange und wechselte auf Rot, bevor er sie hinter sich gelassen hatte. Der Hintermann musste eine Runde länger warten. Ihr Partner grinste zufrieden.
»Na, wie habe ich das gemacht?«
»Du bist unschlagbar«, versicherte sie trocken, da er wieder im Normalmodus operierte. »Woher stammt eigentlich deine besondere Abneigung gegen Lukas Matulis?«
Er lachte verächtlich. »Ich bitte dich! Ein Typ, der sogar zu Hause in seiner Festung in Charlottenburg in Anzug, weißem Hemd und blauem Schlips herumläuft – mit dem stimmt doch etwas nicht.«
»Da ist er wieder, der Schlips«, lachte sie. »Matulis ist ein litauischer Geschäftsmann mit einem Tick. Das ist alles.«
Er schüttelte entschieden den Kopf. »Da steckt mehr dahinter, garantiert. Du wirst es erkennen, wenn du ihm ins Gesicht schaust. Er fixiert dich mit eiskalten Augen aus der Visage eines Kickboxers oder Stasioffiziers. Das ist nicht das Gesicht des biederen Geschäftsmannes, als den er sich ausgibt.«
»Dann ist er eben ein knallharter litauischer Geschäftsmann mit einem Tick. Davon gibt‘s sicher viele.«
»Du wirst schon sehen.«
Das Haus am Oranienburger Tor besaß zwar einen kleinen Kundenparkplatz, doch der war an diesem Nachmittag besetzt durch Nobelkarossen, die wohl zum Preis der Kunst in der Galerie passten. Bei einer schwarzen Limousine war das Fenster auf der Fahrerseite heruntergelassen. Eine Hand mit brennender Zigarette hing heraus. Die Herrschaften leisteten sich einen Chauffeur. Vor dem Haupteingang war ein roter Teppich ausgerollt. Schlag auf Schlag trafen weitere Limousinen ein, meist mit getönten Scheiben, die keinen Blick ins Innere gestatteten. Die Wagen spien festlich gekleidete Damen und Herren im Smoking aus und entfernten sich rasch wieder.