Lehrbuch der Psychotraumatologie. Gottfried Fischer

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Lehrbuch der Psychotraumatologie - Gottfried Fischer

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subjektiven wie objektiven Aspekten die epistemologische Grundlage der Psychotraumatologie bilden.

      1.4 Diagnostik als „Momentaufnahme“: Syndrome der allgemeinen und speziellen Psychotraumatologie

      In der Psychotraumatologie müssen wir mit einer Vielzahl von Symptomen und Syndromen als mögliche Folgeerscheinungen rechnen. Diese lassen sich auf die Variationsbreite traumatischer Situationen einerseits, individueller Reaktionen andererseits zurückführen, vor allem aber auf die wechselseitige Verschränkung von objektiven und subjektiven Momenten, die sich aus der im Lebenslauf gebildeten individuellen Wirklichkeitskonstruktion des Menschen ergibt. Natürlich bedeutet diese Variationsbreite keineswegs Regellosigkeit und reinen Zufall. Hier herrschen neben allgemeinen Gesetzmäßigkeiten auch Regeln, die man paradoxerweise vielleicht als „individuelle Gesetzmäßigkeiten“ (→ individuell-nomothetischer Ansatz) bezeichnen kann. Letztere immer besser zu verstehen, ist ein besonders lohnenswertes Ziel psychotraumatologischer Forschung und therapeutischer Praxis.

      Um terminologisch der Bandbreite möglicher Folgeerscheinungen des Traumas zu entsprechen, schlagen wir vor, von allgemeinen und speziellen psychotraumatischen Syndromen zu sprechen. Die Unterscheidung entspricht dem Aufbau dieses Lehrbuchs in einen Teil I, der von allgemeinen Gesetzmäßigkeiten traumatischer Erfahrungsprozesse handelt und Teil II mit einer Auswahl spezieller traumatischer Situationen und Situationskonstellationen. Vergewaltigung, Deprivation, Folter, sexueller Missbrauch in Kindheit oder in Psychotherapie und Psychiatrie sind Beispiele für Themen der speziellen Psychotraumatologie. Die Bandbreite dieser in sich gleichwohl typisierbaren traumatischen Situationserfahrungen ist so groß, dass bei den Folgeerscheinungen ein einheitliches „Traumasyndrom“ kaum zu erwarten ist. Vielmehr hat sich auch bisher schon „spontan“ bei Forschern und Klinikern die Gewohnheit gebildet, besondere Syndrome in diesen Bereichen zu beschreiben: etwa ein Vergewaltigungstrauma, → professionales Missbrauchstrauma, spezielle Dynamiken und Folgen bei sexuellem Kindesmissbrauch, ein KZ-Syndrom, ein Foltersyndrom usf. Dem wollen wir Rechnung tragen, indem wir diese als „Syndrome der speziellen Psychotraumatologie“ oder als „spezielle psychotraumatische Belastungssyndrome“ bezeichnen (spezielle PTBS). Sie werden zumeist nach der traumatischen Situation benannt. Natürlich treten auch bei den speziellen Syndromen aus den genannten Gründen wiederum vielfältige individuelle Varianten auf.

      Als Syndrome der allgemeinen Psychotraumatologie oder als allgemeine psychotraumatische Belastungsyndrome bezeichnen wir hingegen solche Klassifikationen, die versuchen, Symptome und Syndrome zu formulieren, die mehreren speziellen Syndromen oder vielleicht sogar allen gemeinsam sind. Hier bewegen wir uns also auf einer abstrakteren Ebene mit allen Vor- und Nachteilen weit reichender Verallgemeinerung. Dennoch scheinen sich hier einige Taxonomien herauszubilden, die für die klinische Praxis und weitere Forschung heuristisch von großer Bedeutung sein können. Am bekanntesten ist das sog. „posttraumatische Stresssyndrom“ (Posttraumatic Stress Disorder, PTSD) aus dem Diagnostisch Statistischen Manual der nordamerikanischen psychiatrischen Gesellschaft, das nachfolgend beschrieben wird.

      A. Bedrohung mit Tod, ernsthafter Verletzung oder sexueller Gewalt in einer oder mehreren der folgenden Formen:

      1)Direktes Erleben eines der traumatischen Ereignisse.

      2)Persönliches Miterleben eines dieser traumatischen Ereignisse bei anderen Personen.

      3)Mitteilung, dass eines der traumatischen Ereignisse einem engen Familienmitglied oder einem Freund widerfahren ist. Im Falle eines Todesfalles (drohenden Todes) muss dieser durch einen Unfall oder eine Gewalthandlung eingetreten sein.

      4)Wiederholte Konfrontation mit aversiven Details einer traumatischen Situation (z. B. Notfallhelfer, die Leichenteile einsammeln müssen; Polizeibeamte, die wiederholt mit Details kindlicher Missbrauchsgeschichten konfrontiert sind). (Exposition durch elektronische Medien, Fernsehen, Film oder Bilder nur dann, wenn sie beruflich bedingt ist.)

      B. Eines oder mehrere der folgenden Intrusionssymptome, die mit dem Trauma assoziiert sind und nach dem Trauma auftreten:

      1)Wiederholte eindringliche belastende Erinnerungen an das traumatische Erlebnis. (Bei Kindern > 6 Jahre kann das traumatische Erleben in wiederholten Spielszenen ausgedrückt werden, in denen Aspekte des Traumas dargestellt werden.)

      2)Wiederholte und belastende Träume, in denen der Inhalt und/oder der Affekt des Traums in Beziehung zum Trauma stehen. (Bei Kindern können Angstträume ohne erkennbaren Inhalt vorkommen.)

      3)Dissoziative Symptome (z. B. Flashbacks), in denen die Person fühlt oder handelt, als ob sich die traumatische Situation gerade wiederholt. (Die Reaktionen können in einem Kontinuum vorkommen, wobei bei einer maximalen Ausprägung ein völliger Verlust der Wahrnehmung der aktuellen Umgebung auftreten kann.)

      4)Intensive oder anhaltende psychische Belastung bei Konfrontation mit internen oder externen Reizen, die die traumatische Situation symbolisieren oder an einen Aspekt des Traumas erinnern.

      5)Deutliche körperliche Reaktionen bei Konfrontation mit internen oder externen Reizen, die die traumatische Situation symbolisieren oder an einen Aspekt des Traumas erinnern.

      C. Anhaltende Vermeidung von Reizen, die mit dem Trauma verbunden sind, auf mindestens eine der folgenden Weisen:

      1)Vermeidung belastender Erinnerungen, Gedanken oder Gefühlen, die mit dem Trauma in Verbindung stehen.

      2)Vermeidung externer Reize, die an das Trauma erinnern (Personen, Plätze, Unterhaltungen, Aktivitäten, Situationen).

      D. Negative Veränderungen der Kognitionen und der Stimmung nach dem Trauma. Mindestens zwei der folgenden Symptome liegen vor:

      1)Unfähigkeit, sich an wichtige Aspekte des Traumas zu erinnern (als Folge einer dissoziativen Amnesie und nicht durch andere Faktoren wie z. B. eine Hirnverletzung, Alkohol oder Drogen bedingt).

      2)Persisierende und übersteigerte negative Kognitionen oder Erwartungen in Bezug auf sich selbst, andere oder die Welt (z. B. „Ich bin schlecht“, Man kann niemandem trauen“, „Die gesamte Welt ist gefährlich“, „Mein gesamtes Nervensystem ist für immer zerstört“).

      3)Andauernde

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