Europarecht. Bernhard Kempen

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Europarecht - Bernhard  Kempen Grundbegriffe des Rechts

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style="font-size:15px;">      272

      Ausweislich der Präambel des EU-Vertrages ist die (heutige) EU seit den auf unbestimmte Zeit geschlossenen Gründungsverträgen (vgl. Art. 53 EUV, Art. 356 AEUV) dem Ziel einer Integration der Mitgliedstaaten und der „Schaffung einer immer engeren Union der Völker Europas“ verpflichtet. Vor diesem Hintergrund sowie aufgrund der fehlenden Normierung eines Austrittsrechts im → Primärrecht war bis über die Jahrtausendwende umstritten, ob der Austritt eines Mitgliedstaates aus der EU überhaupt möglich sei. Während einerseits die Befürworter auf die Qualität der EU als Internationale Organisation sowie auf die Souveränität der Mitgliedstaaten verwiesen, führte andererseits die Gegenauffassung die Eigenart der europäischen Integrationsgemeinschaft i.S.e. föderalen Verfasstheit an. Mit dem Entwurf des Vertrages für eine Verfassung für Europa (→ Europäische Union: Geschichte) wurde der Streit zugunsten der Befürworter entschieden, indem erstmals eine Bestimmung über das Austrittsrecht formuliert wurde. Diese wurde schließlich mit dem Vertrag von Lissabon in Art. 50 EUV übernommen. Die Vorschrift regelt abschließend und vorrangig gegenüber dem allgemeinen Völkerrecht die Möglichkeit von Mitgliedstaaten der EU, diese zu verlassen.

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      Allerdings wurde der Frage nach dem Austrittsrecht allgemein nur eine theoretische Bedeutung zugemessen. Während ihrer jahrzehntelangen Entwicklung hatte sich die Frage nach dem möglichen Austritt eines Mitgliedstaates nur ein einziges Mal im Zusammenhang mit einem 1975 in Großbritannien durchgeführten Referendum gestellt, bei dem allerdings eine deutliche Mehrheit zugunsten eines Verbleibs in der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) stimmte. Im Übrigen konnten in einigen Mitgliedstaaten (Dänemark, Vereinigtes Königreich, Irland) bestehende Bedenken gegen eine bereichsspezifische Vertiefung der Integration durch primärrechtliche Ausnahmeregeln überwunden werden, so dass diese nicht die Frage nach der Möglichkeit eines Austritts aufwarfen. Gleiches gilt schließlich für eine Anzahl abgebrochener Beitrittsprozesse (Schweiz, Norwegen, Island), bei denen die Entscheidung gegen eine Teilnahme an der EU bereits vor Erlangung der Mitgliedschaft getroffen wurde. Erstmals praktische Bedeutung hat die Frage des EU-Austritts infolge des (rechtlich nicht bindenden und überdies knappen) Brexit-Referendums in Großbritannien im Juni 2016 erlangt, das im März 2017 einen diesbezüglichen Antrag der britischen Regierung zur Folge hatte.

      AAustritt (aus der EU) (Matthias Knauff) › II. Austrittsvoraussetzungen

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      Gem. Art. 50 Abs. 1 EUV kann jeder Mitgliedstaat im Einklang mit seinen verfassungsrechtlichen Vorschriften beschließen, aus der Union auszutreten. Die Norm fordert somit keine spezifischen Gründe und auch nicht die Benennung der Motive, sondern verweist primär auf den politischen Willen des betreffenden Mitgliedstaates. Dies entspricht den allgemeinen Regeln über die ordentliche Kündigung völkerrechtlicher Verträge, vgl. Art. 54 Buchst. a), 56 WVRK. Allenfalls dem Gebot der loyalen Zusammenarbeit, Art. 4 Abs. 3 EUV (→ Unionstreue), kann nach teilweise vertretener Auffassung entnommen werden, dass die EU sowie die übrigen Mitgliedstaaten vorab unter Berücksichtigung der Gründe zu informieren sind und die Angelegenheit mit ihnen zu diskutieren ist. Um eine durchsetzbare oder gar sanktionierte Rechtspflicht handelt es sich dabei jedoch nicht. Insbesondere wird die Wirksamkeit der Austrittserklärung durch ein anderweitiges Verhalten nicht beeinträchtigt.

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      Undeutlich ist, welche Bedeutung dem Verweis auf die Beachtung der verfassungsrechtlichen Vorschriften zukommt. Hierdurch könnte die Einhaltung des nationalen Verfassungsrechts in verfahrens- wie materiellrechtlicher Hinsicht zu einem europarechtlichen Erfordernis werden, dessen Beachtung letztlich der Kontrolle durch den → Europäischen Gerichtshof (EuGH) unterliegt. Dies ist jedoch abzulehnen. Eine „Hochzonung“ von Verfassungsfragen des mitgliedstaatlichen Rechts auf die europäische Ebene widerspricht der Ableitung der EU von ihren Mitgliedstaaten als den „Herren der Verträge“ (BVerfGE 123, 267 [349 f., 368, 381, 398] – Lissabon) und stellt deren (europa- wie auch verfassungsrechtlich zumindest vorausgesetzte) Souveränität in Frage (→ Europäische Union: Strukturprinzipien). Ob ein Staat Mitglied einer Internationalen Organisation, mag sie auch in höchstem Maße entwickelt sein wie die EU, werden, sein und bleiben will, ist nicht von dieser und ihren Organen, sondern allein von dem betreffenden Staat abhängig. Daher muss auch die Entscheidung darüber, ob das nationale Verfassungsrecht beim Beschluss des Austritts beachtet wurde, allein auf nationaler Ebene getroffen werden. Insoweit kommt dem Verweis auf die Vorschriften des nationalen Verfassungsrechts in Art. 50 Abs. 1 EUV allein deklaratorische Bedeutung zu. Ob diese, wie dies in Bezug auf Art. 23 GG diskutiert wird, materiell einem EU-Austritt entgegenstehen oder spezifische parlamentarische Beteiligungsrechte vorsehen (vgl. in Bezug auf den Brexit Supreme Court, Urt. v. 24.1.2017 – [2017] UKSC 5), ist aus europarechtlicher Sicht unerheblich.

      AAustritt (aus der EU) (Matthias Knauff) › III. Austrittsverfahren

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      Das Verfahren, welches in den Austritt eines Mitgliedstaates aus der EU mündet, wird in Art. 50 Abs. 2–4 EUV (nur) in seinen wesentlichen Grundzügen ausgestaltet. Die formellen Verfahrensschritte sind daher (gleichsam spiegelbildlich zum Verfahren des → Beitritts [zur EU]) notwendig durch informelle Elemente zu ergänzen.

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      Das Austrittsverfahren wird durch eine Mitteilung des betreffenden Mitgliedstaates an den → Europäischen Rat (Art. 15 EUV) eingeleitet, in der die Austrittsabsicht bekundet wird. Es handelt sich dabei um eine einseitige, empfangsbedürftige Erklärung, welche den Beginn des formalen Austrittsverfahrens bildet und für den Fall, dass keine Verlängerung bezüglich der Verhandlungsfrist erfolgt ist, nach zwei Jahren unmittelbar den Austritt herbeiführt. Eine spezifische Form ist hierfür nicht vorgeschrieben und auch nach allgemeinem Völkerrecht nicht erforderlich. Eine schriftliche Erklärung empfiehlt sich jedoch schon aus Gründen der Klarheit und Praktikabilität. Sie ist an den Präsidenten des Europäischen Rates oder dessen Generalsekretariat zu richten und erfolgt gemäß den allgemeinen völkerrechtlichen Regeln durch eine Person, die zur Abgabe von Erklärungen mit Wirkung für den von ihr vertretenen Staat befugt ist; vgl. Art. 7 WVRK (analog), etwa den Staats- oder Regierungschef oder den Außenminister.

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      Infolge der Austrittserklärung durch den Mitgliedstaat verabschiedet der Europäische Rat Leitlinien in Bezug auf die nunmehr zwischen der EU und dem austretenden Mitgliedstaat durchzuführenden Verhandlungen. Dabei kann er Verhandlungsgegenstände und -reihenfolge festlegen. Ziel und Gegenstand der Verhandlungen sind ein Abkommen über die Einzelheiten

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