Der Hügel. Martin Renold

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Der Hügel - Martin Renold

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hinab und auf der andern Seite hinauf auf der Straße, von der er ein Stück von seinem Fenster aus sehen kann, zu dem Dorf auf der Rückseite des Hügels. Auf einem langgezogenen Weg stiegen sie in die Höhe. Erst als sie um die Kuppe unter dem Wald hinauf zur Mulde mit dem Bäumchen schritten, waren sie auf jenem Teil des Hügels angelangt, den man von Arthurs Fenster aus sehen konnte. Es war Dezember gewesen, doch es lag noch kein Schnee. Als sie auf der Rückseite des Hügels hinabstiegen, sahen sie in der Ferne im Osten einen Baum, an dem Dutzende von roten Lichtern glänzten. Hatte ein Bauer an einem Apfelbaum bereits weihnachtliche Leuchtketten aufgehängt?

      „Ich glaube, es sind Äpfel, die in der Abendsonne leuchten“, sagte Sina.

      „Das ist doch unmöglich“, meinte Arthur. „So hell können nur rote Glühbirnen strahlen. Zudem sind doch alle Äpfel im Dezember schon gepflückt worden.“

      Kurz entschlossen lief Sina über die abfallende Wiese zu dem Baum und kehrte mit einem roten Apfel in der Hand zurück wie Eva im Paradies zu Adam.

      Noch eine Weile warteten sie Hand in Hand, bis die Sonne hinter der Kuppe verschwand und die „Lichter“ am Baum löschte.

      Für Arthur ist der Hügel wie ein heiliger Berg, wie der Kailash, den Sina gerne einmal umrundet hätte. Dass er seinen heiligen Berg mit ihr zusammen „umrundete“ und mit ihr das Untergehen der Sonne im Osten an dem leuchtenden Apfelbaum beobachten konnte, war für ihn ein ganz besonderes Erlebnis. Auch sonst sind die Schönheiten in der Natur, sei es nur in einer Blume, einem Insekt oder an einem von mit Schnee bedeckten Gipfeln umrahmten Bergsee, die sie gemeinsam erleben, immer wieder glückliche Momente.

      Sina wohnt in einem Tal hinter dem Hügel. Wenn Arthur in seine Richtung schaut, geht sein Blick immer auch weiter über den Hügel hinweg zu seiner Geliebten.

      Jeden Morgen, wenn er den Vorhang zurückgezogen und sich an seinen Computer gesetzt hat, schaut er zu dem Hügel und schickt ihr einen Morgengruß. So erfährt sie, dass „die Zeit zum Gehen“, wie er in seinem Gedicht geschrieben hat, noch nicht gekommen ist, dass er lebt und an sie denkt. Ein Buch mit Texten für jeden Tag regt sie zum Weiterdenken an. Arthur versucht, seine Gedanken in schöne Sätze zu formen. Wenn ihre Antwort eintrifft, denkt er oft, dass sie die Schriftstellerin, die Denkerin sei, nicht er. Wenn er glaubt, ein Thema zu Ende gedacht zu haben, so weiß sie immer noch etwas draufzusetzen, das ihn erstaunt.

      Die junge Sina hat sich seinerzeit, vor mehr als einem halben Jahrhundert, nicht in ihn, den um einige Jahre älteren Mann verliebt, weil er Gedichte und schon einige kleine Bücher geschrieben hatte. Sie wusste damals noch nichts davon. Sie hat ihn um seiner selbst geliebt. Der Umstand, dass Arthur bereits verheiratet war, hatte dazu geführt, dass sie sich mehrmals getrennt und wieder gefunden hatten, schließlich aber ganz auseinandergingen, ohne jedoch die Liebe in ihrem Herzen erlöschen zu lassen. Erst vor vier Jahren haben sie sich nach langer, langer Zeit wieder getroffen. Und die Liebe, die in beiden so lange überdauert hat, dürfen sie nun endlich miteinander leben.

      Hätte Arthur schon vor bald sechzig Jahren so kritisch über viele seiner Gedichte und seiner Bücher gedacht wie heute, hätte er wohl einige nicht geschrieben oder zumindest seinen Mitmenschen vorenthalten und in einer Schublade oder einer großen Truhe verborgen, so wie Sina es machte mit seinen Briefen aus früheren Zeiten und anderen sichtbaren Zeichen seiner Liebe.

      Wenn er Sinas Mails – er nennt sie lieber „Briefe“ – liest, denkt er manchmal, sie sei eine kreative Denkerin, die aus ihrem Inneren schöpft, während er nur ein Erzähler ist, der die Dinge beschreibt. Seine Romane seien nichts als Erzählungen, Beschreibung von äußeren Ereignissen. Vielleicht, denkt er, habe er unbewusst deshalb angefangen, historische und biblische Romane zu schreiben. Da konnte er in Sachbüchern und im Internet forschen, was historisch, oder bei der Bibel, was dort festgelegt war. Manche Orte, mit denen seine historischen Figuren verbunden waren, hat er auf Reisen kennen gelernt. Über diese und jene, die er nicht selbst gesehen hatte, forschte er, wie sie zu jenen Zeiten aussahen. Kein Tempel und kein Tor oder sonst ein Gebäude durfte er beschreiben, das erst später gebaut wurde. Solche Fehler durften ihm nicht unterlaufen. Er legte grafische Darstellungen an, „Lebenslinien“ von Zeitgenossen der historischen Gestalt, die er beschrieb, damit er erkannte, wer wann und wie lange zur gleichen Zeit oder nicht gleichzeitig gelebt hatte. Dann konnte er seiner Fantasie und Kreativität, die er sonst nicht zu besitzen glaubte, freien Lauf lassen. So konnten beispielsweise aus einer kleinen, zehn Zeilen umfassenden alttestamentlichen Bibelstelle fünfzig Seiten seines Romans werden. Aber auch da erzählte er doch nur ausführlicher, was in kurzen Sätzen vorgegeben war. Aber er liebte es, sich in die Geschichte und Kultur und Lebensweise der alten Ägypter, der Babylonier oder Israeliten mit Hilfe der Literatur von Historikern und Archäologen einzuarbeiten und sich in jene Epochen versetzen zu lassen. Es war jeweils, als wäre er mitten drin. Er sah die Mauern der Städte, die Tore und Tempel, teils aus eigener Anschauung, teils aus Bildbänden oder dem Internet vor sich, er ging mit Echnaton durch Achet Aton, mit Moses durch Pi Ramesse, mit Paulus durch Ephesus und das alte Korinth und alle anderen Orte in Kleinasien, mit Jesus durch Jerusalem, mit Abraham durch die Stadt Ur und stieg mit ihm auf die Zikkurat zu den Priestern des Mondgottes Nanna. Seine Gabe der Intuition erlaubte es ihm, sich in die Menschen, ob Herrscher oder Apostel oder die einfachen Leute aus dem Volk der damaligen Zeit hineinzuleben. Besonders gefreut hatte ihn die Stelle in der Rezension einer Fachzeitschrift über ägyptische Kultur, in der geschrieben stand, seine Schilderung der damaligen Verhältnisse und die historischen Zusammenhänge in seinem Echnaton-Roman seien durchaus glaubhaft.

      Auch in seinem Kriminalroman, den ein Zeitungsverleger, der den Krimi in seiner Zeitung als Vorabdruck erscheinen ließ und ihn ein Kabinettstück der Kriminalliteratur nannte, hatte er sich in die Protagonisten hineingelebt und ihr Handeln aus ihrer Psyche heraus darzustellen versucht. So schlecht waren diese Bücher wohl doch nicht. Gut, bei dem Krimi hatte er lebende Vorbilder gehabt. Damals war es einmal zu einer komischen Situation gekommen. Einer seiner guten Bekannten hatte ihm gesagt, er sei stolz, sich in dem Roman verewigt zu sehen. Er hatte sich mit dem Vater des vermuteten jugendlichen Täters identifiziert, dabei hatte Arthur einen ganz anderen Menschen als Vorbild genommen.

      Jener Verleger, der seinen Krimi gelobt hatte und der jedes Jahr ein Weihnachtbüchlein für seine Kunden mit Weihnachtsgeschichten herausgab, meinte auch, Arthurs Weihnachtsgeschichten könnten durchaus mit denen berühmter Autoren der Weltliteratur verglichen werden. Die Nachfrage nach seinen Weihnachtsgeschichten war dann auch tatsächlich recht groß gewesen.

      Aber was war denn mit seinen anderen Romanen, die ein Wiener Verleger herausgebracht hatte und der starb, ehe alle Bücher im Buchhandel erschienen? Der Verlag wurde aufgelöst und alle Exemplare, welche die Autoren nicht selber noch kauften, wurden von den juristischen Nachlassverwaltern kurzerhand zum Eingestampftwerden verurteilt. Welch grausames Verfahren! Fast kam es den Bücherverbrennungen gleich, wenn auch aus einem anderen Motiv.

      Es gab keine Besprechungen von Arthurs Büchern in der Presse. Sie wurden demzufolge weder gelobt noch zerrissen, nur von seinen Lesern erhielt er Positives zu hören. Doch er selbst wusste, diese Bücher erhielten viel Autobiografisches. Er hatte stets aus seinem bewegten Leben geschöpft, hatte es verfremdet, aber nichts Kreatives geschaffen. Nein, große Literatur waren diese Romane nicht. Oft hatte er beim Schreiben versucht, kreativ zu sein, gescheite Gedanken zu formulieren, aber dann kam er wieder ins Erzählen, seine Finger flogen nur so über die Tasten.

      Ja, der Kriminalroman, der hätte ein Erfolg werden können, wäre sein Verleger nicht gestorben. Hatte nicht jener andere Verleger, der seinen Krimi in Fortsetzungen in der Zeitung veröffentlicht hatte, von einem Kabinettstück gesprochen? Der Krimi wäre vielleicht sogar verfilmt worden. Doch an wen sollte er sich wenden? Er hatte keine Beziehung zu Filmschaffenden.

      Arthur war immer ein Einzelgänger gewesen. Er hatte sich nie um die Aufnahme in einen Schriftstellerverein bemüht und auch nie mit andern Autoren

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