Der Hügel. Martin Renold

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Der Hügel - Martin Renold

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Freundin über jene Mulde und an den Bäumchen vorbei hinaufgestiegen. Er wollte nicht sterben, ohne wenigstens einmal dort oben gestanden zu haben. Sie hatten nach dem kleinen Baum Ausschau gehalten. Aber aus ihrer Perspektive war er kaum zu erkennen, da er beinahe vom Wald dahinter verschluckt wurde. Aber sie hatten ihn schließlich doch entdeckt, da sich seine grüne Farbe ein wenig vom dunkleren Grün des Waldes abhob. Seither ist ihm das Bäumchen besonders lieb, und immer, wenn er zum Hügel schaut, geht sein Blick zum Horizont. Ehe er vor zwei Jahren den grauen Star am einen Auge hatte operieren lassen, hatte er das Bäumchen selbst mit der Brille nicht gesehen. Jetzt sieht er es bei schönem Wetter sogar ohne die Gläser.

      Oft wenn er zum Hügel hinaufschaut, denkt er an seine Vergangenheit. Der Hügel hat ihn durch seine ganze Jugend begleitet. Jetzt, im Alter, ist der Hügel ihm noch näher. Nicht nur emotional. Die Stadt hat sich auf das Land in die Richtung zum Hügel hin ausgebreitet, und er wohnt jetzt ganz am Rand der Stadt.

      Er ist schon ein paar Mal an dem Haus, in dem er als Knabe und junger Mann gelebt hat, vorbeigegangen. Seltsamerweise war in jenem Haus genau zum Zeitpunkt seiner Suche eine Wohnung ausgeschrieben. Als er vor dem Haus stand, hatte er gesehen, dass genau die Wohnung im zweiten Stock, in der er gewohnt hatte, leer stand. Die Straße ist verbreitert worden und reicht jetzt bis zu zwei oder drei Handbreit an das Haus heran. Kein Gartenhäuschen, kein Rosengärtchen mehr, auch keine Spaliere vor und hinter dem Eingang. Seine Freundin war bei ihm, und er zeigte ihr das Fenster, hinter dem einst sein Schlafzimmer war und von dem aus er oft den Vollmond hinter den Hügeln hatte aufgehen sehen. Das graue, schmucklose Haus macht einen traurigen, verlassenen, beinahe toten Eindruck. Die Fenster, auch die der anscheinend noch bewohnten Etagen, sind meist ohne Vorhänge, schwarze, fast unheimliche Löcher, hinter denen sich dunkle Schicksale abzuspielen scheinen. Vermutlich wohnen jetzt Ausländer in dem Haus. Bestimmt hätte er die Wohnung bekommen, wenn er sich um sie beworben hätte. Der wehmütige Gedanke an die Vergangenheit und sie wieder mit der Gegenwart zu verbinden, war jedoch rasch verflogen. Das Haus hat bestimmt keinen Aufzug, in seinem Alter wollte er kein Risiko eingehen, und überhaupt, so wie es aussieht, scheint das Haus bald dem Abbruch geweiht zu sein.

      Eine Fabrik gegenüber dem Haus hat einem riesigen Wohnblock weichen müssen. Daneben sind zwei kleinere Wohnblocks gebaut worden, welche die Aussicht auf die Hügel von Arthurs ehemaligem Zimmer aus vollends verdecken.

      Ein wenig Wehmut war schon in ihm aufgestiegen. Auf dieser Straße hatte er im Winter mit den Nachbarsbuben Eishockey gespielt und im Sommer Verstecken und Völkerball, auch mit den Mädchen. Von hier aus hatte er mit seinen Freunden das Revier, ihre kleine Welt durchstreift, bis hinauf zum nahen Wald. Hier, auf der Straße und den Hinterhöfen, hatte er sich zum ersten Mal in ein Mädchen verliebt. Doch jetzt: Sina, seine Freundin, hatte ihn von der Seite angeschaut und ihm angesehen, dass er in die Vergangenheit versunken war und verständnisvoll ihn eine Weile darin gelassen.

      Das ist damals gewesen, ehe er in die Wohnung am Stadtrand gezogen ist. Wenn er jetzt zu dem Hügel schaut, dann denkt er zurück an das, was er in seinem Leben außerhalb seines Berufs geschaffen hat. In jenem jetzt fast toten Haus seiner Jugend hatte er sein erstes Buch geschrieben, eine Novelle – nach einem seiner jährlichen Aufenthalte in Rom. Sie handelte von jener Pension, in der er jeweils abstieg, und in der während des Krieges deutsche Soldaten einquartiert waren, während das Ehepaar, das die Pension führte, in einem gefangenen Zimmer ihren Schwiegersohn und dessen Freund versteckte, aber auch von dem einen Soldaten, der zu dem Massaker an über dreihundert Römern in den Fosse Ardeatine abkommandiert worden war und daran zerbrach und sich das Leben nahm.

      Es sei das beste Buch, das er geschrieben habe, glaubt er selber auch, genauso wie einige seiner Leser, unter ihnen auch seine älteste Tochter.

      „Glaub mir“, hat sie ihm einmal geschrieben, „von keinen deiner Bücher war ich so betroffen wie von diesem. Es ist dein bestes Buch.“

      Es gibt noch einige andere Bücher, auf die er stolz ist: ein historischer Roman, einige seiner Geschichten, die in verschiedenen Bänden in einem deutschen Verlag erschienen, zwei oder drei kleine unveröffentlichte Romane und Erzählungen, die er für niemand anders als seine Freundin schrieb.

      Sein Arbeitgeber, dem er damals sein erstes Buch geschenkt hatte, lobte ihn und verglich ihn mit einem berühmten deutschen Autor. Nach der Veröffentlichung seines zweiten Buches, einer Kindergeschichte, hatten ihm Kinder kleine Briefe und Zeichnungen geschickt. Mit einer späteren Neuauflage und mit drei weiteren Kinderbüchern hat er zudem vielen tausend lesefreudigen Kindern manche glückliche Stunde geschenkt.

      Den ersten und einzigen Gedichtband hätte er wohl eher nicht veröffentlichen sollen. Auf einige Gedichte ist er allerdings auch jetzt noch stolz, andere betrachtet er als „Jugendsünden“. Von einigen jungen Mädchen weiß er, dass ihnen die Gedichte gefallen haben. Zwei oder drei seiner Schriftstellerkollegen hielten die Gedichte für pubertäre Gefühlsduselei und überhaupt zu konservativ. Arthur ließ sich nicht beirren. Er glaubt, dass jene Kollegen ein Gedicht nur dann für gut und modern hielten, wenn darin irgendwelche englische Wörter oder Namen wie Coca-Cola oder gar Wörter aus der Fäkalsprache vorkamen.

      Heute würde er einige jener Gedichte wieder in einem Band veröffentlichen, zusammen mit Gedichten, die später entstanden waren und von denen er glaubt, sie würden auch der Literaturkritik standhalten können.

      Auch das Buch, das er über seine Jugend geschrieben hat und wie er damals die Kriegsjahre erlebte, hat bei vielen Lesern eigene ähnliche Erinnerungen geweckt. Als Zeugnis jener Zeit hält er das Buch auch heute noch für lesenswert.

      Wenn er aber an seine Romane denkt, dann muss er sich eingestehen, dass er immer nur sein eigenes Leben in verschiedenen Varianten und Verfremdungen dargestellt hat. Ihm fehlte die Fantasie, um etwas Größeres gleichsam aus dem Nichts zu schaffen. Zudem sind alle seine Romane einfach Erzählungen ohne tiefere philosophische Betrachtungen und ohne gesellschaftliche Relevanz. Viel Pech mit Verlegern, die entweder Pleite machten oder verstarben, verhinderte, dass seine Bücher in größerer Anzahl in den Buchhandel kamen und sein Schriftstellername über eine kleine Leserschaft hinaus bekannt wurde. Vielleicht ist es gut, dass seine Bücher nicht den Kritikern in die Hände fielen. Er hat nicht für die Literaturkritik geschrieben, auch nicht, wenigstens in den späteren Jahren, um berühmt zu werden. Er freut sich, wenn einfache Leute ihm sagen, seine Bücher könne man wenigsten – im Gegensatz zu vielen anderen – lesen und verstehen, freute sich seinerzeit auch, wenn er von einer Bibliothek oder sonst wem eingeladen wurde, aus seinen Büchern zu lesen, und wenn ihn dann die Zuhörer mit ehrlichem Beifall und dem Kauf seiner Bücher belohnten.

      Manchmal denkt er, was aus ihm geworden wäre, wenn er in einer Akademikerfamilie aufgewachsen wäre wie die meisten seiner Kameraden im Gymnasium. Wäre er dann ein besserer Schriftsteller geworden oder wenigstens einer, der nicht schon zu Lebzeiten der Vergessenheit anheimgefallen ist? Liegt es an dem schweren Rucksack, den er auf seinem Rücken immer noch herumträgt, dass er keine großen Gedanken in seine Romane einflechten konnte, Sätze, die man später bei irgendwelchen Gelegenheiten oder in literarischen Zeitschriften zitieren kann?

      Natürlich hätte er sich keine anderen Eltern gewünscht. Doch es gibt auch Schriftsteller, die in noch ärmlicheren Verhältnissen aufgewachsen sind und berühmt wurden. Vielleicht war seine Jugend zu behütet, zu unproblematisch und zu ruhig verlaufen. Muss man in der Gosse oder in einer armen, zerrütteten Familie aufwachsen, sich wie mit einem gewaltigen Schrei aus dem Gefängnis seiner Jugend befreien, um ein anerkannter Schriftsteller zu werden?

      „Gehen wir heute einmal auf den Hügel?“, hatte ihn Sina gefragt, als sie, was sie fast jede Woche einmal tut, ihn in seiner Klause besuchte. „Das Wetter ist heute so schön, und du wolltest doch endlich einmal zu jener Höhe hinaufsteigen und von dort oben hinabschauen.“

      „Als sähe ich auf mein ganzes Leben zurück“, erwiderte er.

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