Aus den Tiefen des Tages und der Geschichte. Helmut Lauschke
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Читать онлайн книгу Aus den Tiefen des Tages und der Geschichte - Helmut Lauschke страница 14
auf dem schönen Gesicht hinter die Theke zurück.
Im Kopf werden Dämme errichtet,
von deren Höhe man sich keine Vorstellung macht.
Sie stauen das Wasser
und schützen die neuralen Strände vor der Überschwemmung.
Darüber hinaus halten sie die Gedankenstapel zusammen
und verhindern so ihr Umkippen.
Die Gefahr besteht trotzdem, dass Gedankenbündel
weggeschwemmt werden und verlorengehen.
Der zerebrale Dammbau
setzt die Selbstwahrnehmung voraus,
die mit der Empfindlichkeit des Ich-Seismographen
unterschiedlich schnell in Gang kommt.
Wenn man merkt, dass man beobachtet und verfolgt wird,
steigt die Wahrscheinlichkeit,
mit hässlich-abfälligen Dingen konfrontiert zu werden.
Nun werden im Eilverfahren die Dämme errichtet,
die als Schutzwall der Verteidigung dienen.
Professionalismus ist,
wenn bei den ersten Anzeichen einer Konfrontation
der Seismograph die Warnimpulse schickt.
So ist es bei Dissidenten,
die eine Serie von Verhören hinter sich
und eine weitere Serie vor sich haben,
weil ein Ende nicht abzusehen ist.
Die Wahrnehmung der Dinge ist ganz elementar
im Zwang zur Rede und dem Drang zur Verschwiegenheit.
Sie bestimmt die Art des Hörens, Redens und Antwortgebens
zu den Fragen mit den Haken und Widerhaken.
Mutiges Schweigen zieht die Folter nach sich,
also muss im Verhör gesprochen werden.
Nun wird aufs Nebengleis ausgewichen,
um die schweren Dinge auf dem Hauptgleis zu lassen und zu umgehen,
um lebend aus der Folterkammer herauszukommen.
Die Vorsicht erreicht die Konzentrationshöhe des Mathematikers,
der sich auf Wahrscheinlichkeitsbestimmungen spezialisiert hat,
um für das nächste, bereits vorprogrammierte Verhör
das Ergebnis mit der notwendigen Treffsicherheit vorauszusehen.
Auch der Satz hat seine Anatomie.
Das Stützgewebe sind die Worte,
die im Satz verschaltet werden.
Dass die Worte leben,
dafür sorgt der Taifun der Gedanken.
Der wiederholte Spaziergang durchs Dorf
bringt der Reflexion das Verständnis
in der Bewertung der Notwendigkeit
des friedlichen Zusammenlebens.
Die Satzanatomie hat Schwierigkeitsstufen,
die durch sorgsames Hinhören
beim tausendfachen Vorsichhinsprechen erlernbar sind.
Sie muss in Zeiten der Diktaturen schnell
in den begrifflichen Einzelteilen verstanden
und in der Praxis des Sprechens angewandt werden,
um Besuche von und bei der Staatssicherheit zu vermeiden,
soweit es eben möglich ist.
Es gibt Meister des Zuhörens,
Menschen, die es über Stunden können,
ohne ein Wort von konstruktiver Bedeutung zu sagen.
Auch gibt es Meister der angewandten Satzanatomie
in Situationen, die kritisch sein können
in Bezug auf den Abtransport in ein Lager der harten Arbeit
und politischen Umerziehung
oder im Verschwinden auf die schnelle Art.
Die Normalität in Richtung Ausgeglichenheit bleibt die Ausnahme.
Das lernt der Betroffene durch die Findigkeiten,
die von Mal zu Mal spitzer und gemeiner werden.
Gefestigt wird das System durch Schlägertrupps,
die über die erforderliche Skrupellosigkeit verfügen
und alles, was Kultur bedeutet, abgrundtief verachten.
Das wird sofort klar,
wenn man selbst in die missliche Lage der staatlichen Strangulation gerät.
Man erinnert sich an den Spaziergang durchs Dorf
in der friedlichen Abendluft mit den Stallgerüchen
und dem lautlosen Picken und Scharren der Hühner.
Dass sich das Leben seit dem Spaziergang verändert hat,
hebt die Notwendigkeit umso mehr hervor,
sich der veränderten Satzanatomie ohne Illusionen zuzuwenden.
Akzentlos ist die Integration
nicht möglich.
Warum auch sollten Akzente,
wie es die Sprachakzente nun mal sind,
aus den unterschiedlich sprechenden Köpfen
herausgezogen oder herausgebrochen werden?