Sonnenwarm und Regensanft - Band 4. Agnes M. Holdborg
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Sie hatte schließlich immer ihre eigenen Eltern um sich gehabt, war sich deren Liebe und Fürsorge stets gewiss. Solch schlimmer Verlust, innere Leere oder quälende Sehnsucht, wie Viktoria sie beschrieben hatte, waren ihr unbekannt. Doch anstatt sich Gedanken darüber zu machen, war sie über Viktoria hergefallen und hatte sie quasi dazu genötigt, sich dieser Gefühle erneut zu erinnern.
Anna war sauer auf sich selbst. Was war sie doch für eine bescheuerte Ziege?, dachte sie grimmig. Dumm, egoistisch, unsensibel!
»Anna, hör auf damit!«, befahl ihr Ketu mit einem Mal und hielt ihre Hände fest.
Erst jetzt bemerkte sie, dass sie eigentlich dabei gewesen war, Kaffee zu kochen, was zu dieser Uhrzeit blanker Unsinn war. Außerdem hatte sie, statt Wasser in die Kaffeemaschine zu füllen, damit begonnen, ihre Hände zu schrubben. So, als wollte sie alles von sich abwaschen. Nicht nur die Farbe, sondern alles: all den Trübsinn, die Trauer, ihr schlechtes Gewissen, ihre Zweifel. Alles! Das Ganze war in ihr hochgekocht und sollte einfach nur weg, weg, weg!
Ehe sie sich versah, begann Ketu, ihr mit einem Küchentuch die Hände abzutrocknen. Als er sie währenddessen näher betrachtete, huschte ihm ein Lächeln über die Lippen.
»Du hast Viktoria beim Malen gestört«, stellte er leise fest, nahm ein Papiertuch, befeuchtete es unter dem Wasserhahn und begann, vorsichtig ihr Gesicht abzuwischen. Dabei schüttelte er weiterhin lächelnd den Kopf. »Wie oft sie mich schon mit Farbe bekleckert hat. Ich habe mir deshalb sogar in einem Drogeriemarkt der Menschenwelt solche Nagellackentferner-Tücher besorgt. Damit bekommt man das Zeug am besten runter. Leider habe ich die letzten Tücher bereits verbraucht.«
Er besah sich Anna noch einmal genauer. »Na ja, ein bisschen besser ist es schon. Aber deine Bluse ist leider hin, Anna. Tut mir leid.«
Ketu war so lieb zu ihr. Viel zu lieb, das hatte sie gar nicht verdient, fand Anna und konnte ihr Schluchzen nicht zurückhalten
»Hey, nicht wieder weinen«, flüsterte er. »Du hast doch gar nichts falsch gemacht.«
Ketu schob sie am Arm Richtung Wohnzimmer, um sie dort auf einen Sessel zu drücken. Danach eilte er zur Küche zurück und brachte ihr ein Glas Mineralwasser. »Trink einen Schluck. Du wirst wieder so blass.«
Sie setzte das Glas mechanisch an die Lippen und war erstaunt, wie gut ihr das Wasser tat.
»So, und jetzt hörst du mir mal zu, kleine Frau.« Ketu hatte sich vor sie hingehockt, ihr seine Hände auf die Knie gelegt und blickte sie mit ernsten Augen an. »Diese Sache werden die drei dort oben unter sich aushandeln. Vitus ist aus allen Wolken gefallen, als er Viktorias Gefühle erkannt hat. Sie werden sich besprechen und alles klären.«
»Schscht, sei still«, raunzte er Anna an, als sie etwas sagen wollte. »Ich weiß es schon lange, Anna, und ich habe Viktoria oft gebeten, sich Vitus endlich anzuvertrauen. Es ist nur zu verständlich, dass die beiden sich als Teenager in einer solchen Situation mit Zweifeln, Ängsten und Sehnsüchten herumschlagen mussten.«
Scheinbar dachte Ketu darüber nach, wie er weitererzählen sollte. »Ich kenne Vitus seit über zehn Jahren und weiß daher, wie sehr er unter der Trennung von seinen Kindern gelitten hat. Dabei wussten er und wir allerdings überhaupt nicht …«, er schüttelte leicht den Kopf, »… in keinster Weise, wie schlecht es auch den Zwillingen damit ging.«
Seine Augen änderten den Ausdruck, wurden weich und liebevoll. »Einzig Sistra hatte wohl so eine leise Ahnung. Er war damals derjenige, der seinem König am liebsten in den Hintern getreten hätte. Ja, Sistra wollte ihn bitten, Estras Hilfe wegen Kana in Anspruch zu nehmen, damit Vitus sich endlich seinen Kindern zuwenden könnte. Letztlich hat aber auch Sistra kalte Füße gekriegt und sich – genau wie wir alle – nicht getraut. Irgendwie konnten wir unseren König ja verstehen. Er sorgte sich einfach zu sehr, um sich mehr um seine Kinder zu kümmern. Das hört sich total verrückt an, nicht wahr? Aber du weißt, dass es so war.«
Anna hatte Ketu aufmerksam zugehört und nickte nun eifrig. Ihre Tränen waren abrupt versiegt. »Du hast es gewusst? Du hast damals bereits gewusst, dass Kana an allem schuld war?«
»Ich bin einer seiner sechs Wachmänner, Anna. Wir wissen – fast! – immer über alle Dinge Bescheid, die Vitus tut und denkt. Aber damals kannte ich Viktoria noch nicht persönlich. Ich bin ihr erst erheblich später begegnet. Hätte Vitus seinerzeit jedoch gewusst, wie sehr diese ganzen widrigen Umstände seinen Kindern zu schaffen machten, dann hätte er bestimmt so manches Mal anders gehandelt, dessen bin ich mir sicher.«
Er atmete kräftig durch. »Doch er hat es nicht gesehen, genau wie wir oder Estra und Isinis. Glaub mir, Anna, keiner von uns wusste davon. Dabei hatte Vitus uns gebeten, besonders auf die Emotionen seiner Kinder zu achten. Die waren allerdings weitaus besser in ihren empathischen Fähigkeiten, als wir angenommen hatten«, gab Ketu zerknirscht zu.
Nach wie vor hockte er vor Anna und bedachte sie mit einem warmen Blick. »Na ja, Viktor und Viktoria haben ja nicht gelitten wie die Hunde. Ähm, sagt man das so: leiden wie ein Hund? Ach, egal. Jedenfalls wäre das reichlich übertrieben, denn sie hatten es schließlich sehr gut bei Estra und Isinis. Aber die Trennung von Vitus hat ihnen wehgetan. Sie hatten das alles völlig missverstanden, was durchaus nachvollziehbar ist. Sie fühlten sich halb, unvollständig, haben aus diesem Grunde verzweifelt nach ihren fehlenden Teilen gesucht, was ja nun wirklich nichts Schlimmes ist. Sie haben also nur nach Liebe gesucht. Eventuell waren manche enttäuscht, hatten sich womöglich mehr erhofft, das mag sein. Aber beide, Viktor wie Viktoria, waren damals nicht zu festen Bindungen fähig. Dazu sind sie erst in der Lage, seit sie uns kennen. – Schau mich bitte an, Anna«, bat Ketu sie, da sie den Kopf hatte sinken lassen. »Sie brauchen uns. Viel, viel mehr, als sie meinen. Verstehst du das?«
Anna nickte. Natürlich verstand sie. Wenn es um Viktor und ihre Liebe zu ihm ging, würde sie immer verstehen.
Sie sah in Ketus Augen. Zum ersten Mal verspürte sie tiefe Zuneigung für ihn. Sie hatte den Wachmann von Anfang an gemocht, für seine ruhige, besonnene