Sonnenwarm und Regensanft - Band 4. Agnes M. Holdborg
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Anna sträubte sich zu spät dagegen, als Viktoria ihr die farbverschmierten Hände samt Pinsel an die Wangen legte und ihr auf diese Weise auch ein paar bunte Kleckse verpasste.
»Oh, entschuldige bitte«, kicherte Viktoria und stellte den Pinsel in ein Glas. Mit einem völlig farbverschmierten Lappen rieb sie in Annas Gesicht herum, was die Sache sicherlich nicht besser machte. »Nun ja, das wischen wir halt später richtig weg.«
Sie ließ von ihr ab und konzentrierte sich erneut auf das Gespräch. »Hör mir zu. Eigentlich ist es die Aufgabe meines Bruders, mit dir zu sprechen, dieser feige Hund. Schließlich kann ja jeder mitfühlen, wie mies du seit ein paar Tagen drauf bist.«
Sie seufzte schwer, ihre Augen blitzten bedrohlich. »Wenn ich den in die Finger kriege, kann der was erleben. Aber nun zurück zum Thema. Tatsächlich war Viktor früher ein bisschen so was wie ein, hhm, Schürzenjäger.« Sie biss sich auf die Unterlippe. »Und ich auch«, gab sie zu und kratzte sich am Kopf, womit sie dort eine weitere Farbspur hinterließ.
Gedankenverloren langte sie nach dem Lappen und rieb damit recht erfolglos ihre Hände ab. »Uns ging es wirklich gut bei Isinis und Estra. Sie hatten uns eine glückliche Kindheit beschert. Dennoch fehlte uns etwas. Wir hatten keine leibliche Mutter. Unseren leiblichen Vater sahen wir kaum. Er gab uns dauernd das Gefühl, nicht von ihm geliebt zu werden.« Sie warf den Lappen beiseite. »Das war zwar unbeabsichtigt, aber wir fühlten nun mal so. Wir vermissten unsere richtigen Eltern so sehr. Das erzeugte irgendwie eine gewisse Leere in uns, die auch Estra und Isinis nicht füllen konnten.«
Viktoria sah Anna offen an. »Ich weiß nicht, ob es daran lag, ich glaube allerdings schon. Ständig versuchten wir, diese innere Leere irgendwie auszustopfen oder aber einfach zu verdrängen. Tja, und seit unserer Pubertät half es uns, der vermeintlichen Liebe sozusagen hinterherzulaufen. Wobei, na ja, hinterherlaufen mussten wir eigentlich nie.«
Sie lächelte schwach. »Sieh uns doch an. Wir sind hübsch. Wir sind aufgrund unserer halbmenschlichen Seite für viele Elfen ziemlich interessant. Und wir sind die Kinder des Königs. Es war natürlich kein Problem für uns, immer wieder jemanden zu finden, der unsere Sehnsucht stillen sollte. Aber es war bei mir genauso wie bei Viktor. Die Sehnsucht ließ sich einfach nicht stillen. Wir hatten beide das Gefühl, dass diese Leere ein großes Loch in uns hineinriss, welches unaufhörlich auseinanderklaffte. Deshalb suchten wir weiter.«
Viktorias Blick wurde weich und verträumt. »Bei mir endete die Suche in dem Augenblick, als ich vor fast drei Jahren Ketu zum ersten Mal begegnete. Ich war damals furchtbar unglücklich, weil er meine Gefühle nicht zu erwidern schien. Dennoch wollte ich niemand anderen mehr. Ich wollte bloß noch ihn und wusste gleich, dass er derjenige wäre, der meine Leere füllen könnte.« Sie seufzte erneut. »Es hat dann zwar noch mehr als zwei Jahre gedauert, bis er sich endlich getraut hat, der Tochter des Königs seine Liebe zu gestehen. Na ja, besser spät als nie, nicht wahr?«
Wieder legte sie ihre Hände an Annas Gesicht und die ließ es resigniert geschehen. Die Farbe bekäme sie schon noch weg. Viel wichtiger waren ihr Viktorias faszinierende Worte:
»Bei Viktor hat es länger gedauert. Als er dich das erste Mal im Wald erblickte, Anna, da wusste er, dass seine Suche beendet war. Er hat sich vom ersten Augenblick an in dich verliebt. Und das weißt du. Das weißt du ganz genau. Nur du bist dazu in der Lage, seine innere Leere zu füllen und seine Sehnsucht zu stillen. Nur du zählst für ihn. All die anderen Frauen hatte er in dem Moment vergessen, in dem du in sein Leben getreten bist. Und genau das ist der Grund, warum er dir nie etwas davon erzählt hat.«
Viktoria liefen dicke Tränen über das farbverschmierte Gesicht. »Ich weiß das, Anna. Nicht nur, weil ich seine Schwester bin, sondern weil ich haargenau dasselbe bei Ketu empfunden habe. Alle Jungen, alle Männer, die ich vor ihm kannte, waren von einer Sekunde zur anderen völlig egal, total unwichtig. Sie waren vergessen. Allein Ketu zählte. So wie du für Viktor.«
Auch Anna weinte. Ungeachtet der Tatsache, dass sie damit ihre neue Bluse endgültig ruinierte, fiel sie Viktoria in die Arme.
»Ach, Viktoria, was bin ich doch für eine blöde Kuh?«, schluchzte sie. »Es tut mir leid. Es tut mir ja so furchtbar leid. Ich war so dumm.«
***
Viktoria hielt Anna tröstend in den Armen und fühlte sich dabei auf sonderbare Weise selbst getröstet. Die Erinnerungen an die Zeit, in der sie sich der Liebe ihres Vaters nicht sicher gewesen war, in der sie sich deshalb umso mehr nach der Liebe ihrer Mutter gesehnt hatte, trafen sie vollkommen unvorbereitet. Die Emotionen überfluteten ihr Herz, erschütterten es in seinen Grundfesten. Niemals hätte Viktoria angenommen, dass diese Sehnsucht in einer derart gnadenlos brutalen Weise wieder in ihr aufsteigen und sie komplett aus der Fassung bringen könnte. Von heftigen Weinkrämpfen geschüttelt wollte sie sich von Anna lösen, doch die hielt sie fest.
»Nicht, Viktoria! Wende dich nicht ab. Lass es raus.«
Froh darüber, dass sie sich gegenseitig hielten, standen die beiden eine ganze Weile in Viktorias Zimmer und gaben sich ihren Tränen hemmungslos hin. Dabei hatten sie die Zeit vollkommen aus dem Blick verloren und zuckten beide überrascht zusammen, als Viktor, Ketu und auch Vitus zur Tür hereinplatzten.
»Was, um alles in der Menschen- und Elfenwelt, ist denn hier los?«, wollte Vitus wissen, obwohl er die Gefühle der Frauen eindeutig wahrgenommen hatte.
Für eine Sekunde blieb sein Gesicht absolut ausdruckslos, ehe es sich zu einer schmerzerfüllten Miene verzog. Er riss Viktoria in seine Arme und hielt sie einfach nur fest. Unterdessen sah er zu Anna und Ketu.
»Würdet ihr Viktoria, Viktor und mich bitte kurz allein lassen?«
Die beiden nickten stumm und gingen schweigend hinunter in die Küche.
***
Anna