Sonnenwarm und Regensanft - Band 4. Agnes M. Holdborg
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»Oh Gott, bald ist es ein Jahr her, ein ganzes Jahr! Was für ein wundervolles Jahr!«
Sie schloss selig die Augen.
»Wer hätte gedacht, dass ich mich innerhalb so kurzer Zeit derart verändern könnte? – Vom Mauerblümchen zur Sonnenblume!«
»Du warst niemals ein Mauerblümchen, Anna. Und du bist viel mehr als eine einfache Sonnenblume, meine Süße«, schlich sich Viktor in Annas Geist ein. »Du bist viel, viel mehr! Morgens bist du eine zarte Anemone, die man kaum zu berühren wagt. Dann aber erblühst du zur wilden Rose, mit dezentem Duft. Später erst erscheinst du mir wie eine Sonnenblume, strahlend hell, groß und stark. Tja, und in der Nacht, da mutierst du zur Venusfalle, schlägst mich immer wieder in deinen Bann und verschlingst mich mit Haut und Haaren.«
Viktors Worte in ihrem Kopf entlockten Anna ein Kichern.
»Wow, Viktor Müller, bist du unter die Lyriker gegangen? Wenn ja, dann eindeutig nur unter die elfischen! Gott, war das schwülstig! Und euer ›Son Calee‹ ist mit Sicherheit der einzige Elfendichter, dem bei diesem Vortrag speiübel geworden wäre! Außerdem meinst du sicherlich die Venus–fliegen-falle. Ich hätte nicht gedacht, dass du dich mal mit einer kleinen Fliege vergleichst.«
Sie zuckte erschrocken zusammen, als er sie plötzlich zärtlich umfing. Zwar hatte sie deutlich seine Gedanken gespürt und gelesen, dabei allerdings nicht erkannt, dass er bereits direkt hinter ihr stand. Dieser verrückte halbelfische Königssohn, der sie zu Beginn der vergangenen Sommerferien auf ihrer Lichtung im Wald einfach angesprochen und ihr innerhalb weniger Sekunden nach allen Regeln der Kunst den Kopf verdreht hatte.
Immer noch zog sich Annas Herz beim Klang seiner dunklen Samtstimme und bei seinem Anblick zusammen. Immer noch hatte sie Schwierigkeiten, zu begreifen, dass er allein ihr gehörte, nur mit ihr zusammen sein wollte und sie unentwegt begehrte.
Mehr als einen ganzen furchtbar langen Tag hatte Anna ihn nicht gesehen. Deshalb freute sie sich sehr auf seine leuchtend dunkelblauen Augen, die sie stets so interessiert und gefühlvoll, zudem oft sinnlich anschauten, aus einem Gesicht wie gemalt. Langsam drehte sie sich zu ihm.
Viktor trat ein Stückchen zurück und stellte sich lächelnd vor sie: Groß, lässig die Arme vor der breiten Brust verschränkt, an die Balkontür gelehnt, sah er sie an. Genauso, wie Anna es sich vorgestellt hatte.
Auf seinem attraktiven Gesicht bildeten sich unwiderstehliche Grübchen, sobald er lächelte, so wie jetzt. Dieses Gesicht war nach ihrem Dafürhalten ein Spiegel seiner Seele. Es erweckte Vertrauen bei denen, die ihm begegneten, ob nun Mensch und Elfe. Anna konnte es gar nicht abwarten, ihre Hände in seine wirren dunkelbraunen Locken, die von feinen mahagonifarbenen Strähnen durchzogen wurden, zu vergraben.
Sie war ihm verfallen, ohne Wenn und Aber. Dementgegen schlenderte sie betont gemächlich auf ihn zu und spielte unterdessen gedankenverloren mit ihrer Kette samt weißgoldenem Medaillon. Viktor hatte ihr den Schmuck im vergangenen August zum siebzehnten Geburtstag geschenkt.
Augenblicklich dachte sie an diesen Tag zurück, an dem sie zum ersten Mal mit ihm geschlafen hatte. Sie dachte außerdem an seinen ersten zärtlichen Kuss im Sommer, im Wald.
Verfallen war sie ihm allerdings bereits seit der ersten Sekunde. Seit dem Moment, an dem sie träumend auf ihrer Lichtung unter der Birke gesessen, er mit einem Mal dagestanden hatte, in seinem Sonnenstrahl, und sie nach ihrer Brille fragte, die sie an diesem Tag nicht trug.
Annas Herz machte nach wie vor Hüpfer, wenn sie daran oder überhaupt an ihn dachte.
»Gott, war das aufregend. Er ist so schön. Damals hätte ich nie gedacht, dass er mich lieben könnte. Aber er tut es. Er liebt mich.«
Ein warmes Lächeln hellte Viktors Züge auf. Es war sein spezielles Lächeln, das nur ihr galt und das sie so faszinierte, weil sich dann diese Grübchen auf seinen Wangen vertieften, was sein Antlitz noch reizvoller machte.
Er trat wieder auf sie zu, umfasste ihr Kinn, um sie sanft zu küssen.
»Sag mal, bist du so in deine Grübeleien vertieft, dass du nicht einmal mein Klingeln gehört hast? Du hast dich kein bisschen verschlossen, Kleines. Hhm, eigentlich müsste ich rot werden bei dem, was du so über mich denkst. Aber du kennst mich ja. Ich kann, bis auf deine leisen Zweifel, gut damit leben, denn ich liebe dich auch und du gehörst mir.«
Er gab ihr einen weiteren Kuss, schob sie danach erneut etwas von sich, um sie eingehend zu betrachten. »Wie geht es dir?«, erkundigte er sich. »Wie war deine Fahrstunde?«
Sein musternder Blick verdeutlichte Anna, dass Viktor mit dieser Frage nicht nur auf den Fahrunterricht abzielte. Eigentlich sorgte er sich eher wegen der am kommenden Montag anstehenden Gerichtsverhandlung. Im Augenblick jedoch konnte und wollte sie nicht darüber nachdenken, schon gar nicht darüber sprechen.
Deshalb nahm sie sein Ablenkungsangebot dankend an und wetterte wild gestikulierend drauf los: »Als wenn du das nicht wüsstest! Du hast doch sicherlich mitbekommen, dass es wieder mal eine Katastrophe war. Frau Simon hat eindeutig mehr Geduld als irgendein anderer Mensch auf dieser Welt, wenn sie das mit mir aushält. Ich an ihrer Stelle wäre schreiend aus dem Auto gestürzt. Die muss Nerven wie Drahtseile haben.«
Mit einem Schmollmund trat sie auf ihn zu, umschlang seine Taille und schmiegte sich an seine Brust. »Ich komme mit diesem ganzen Auto-Zeugs einfach nicht zurecht.«
Er legte tröstend den Arm um sie und schwieg. Sie wusste, dass er, falls überhaupt, einzig auf den Fahrunterricht, nicht aber auf die Verhandlung eingehen würde.
»Heute habe ich dreimal den Scheibenwischer eingeschaltet, als ich blinken wollte«, beklagte sie sich, woraufhin er sich ein leises Lachen nicht verkneifen konnte. »Jaja, mein halbelfischer Prinz, mach dich nur lustig über mich. Du wirst schon sehen, was du davon hast. Von wegen: nächtliche Venusfliegenfalle, he! Wenn du so weitermachst, kannst du das knicken, dann gibt es nichts weiter als ein mickriges Gänseblümchen.«