Kleine Erzählungen und Nachgelassene Schriften 1. Gerstäcker Friedrich

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Kleine Erzählungen und Nachgelassene Schriften 1 - Gerstäcker Friedrich

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rasirt hätte.“

      „Das mag ich nicht leiden,“ sagte Paula.

      „Aber sie tragen’s beinah alle,“ bemerkte Hulda.

      „Ja, und die Oberkellner und Ladendiener auch; aber bei welchem Corps stand er? was für eine Uniform trug er?“

      „Gar keine,“ bemerkte unbefangen Hulda, „er war dort in Civil.“

      „Aber woher wußtest Du, daß es ein Lieutenant sei?“

      „Weil er immer Herr Lieutenant genannt wurde,“ erwiderte die Schwester.

      „Ach! das ist häßlich,“ sagte Paula kopfschüttelnd; „was hilft mir ein Lieutenant ohne Uniform! Aber war er interessant?“

      „Ich sage Dir, Paula, höchst,“ rief Hulda, aber doch mit einem schelmischen Ausdruck in den lieben Zügen, „und schwärmen konnte er! Wir haben von nichts gesprochen, als Luna, Sternenschimmer, duftendem Wald, wallenden Nebelschleiern, Nachtigallengesang, heiligen Schatten des Forstes, duftenden Kindern Flora’s und tausend ähnlichen wunderhübschen Sachen.“

      „Ach geh, Du hast mich zum Besten!“

      „Wahrhaftig nicht!“

      „Und wo steht er?“

      „Ja,“ lachte Hulda, „wenn er da stehen geblieben ist, wo /93/ ich ihn zuletzt sah, so ist das vor dem Postgebäude in Ludwigsroda.“

      „Ach, Du bist ein Kind!“ sagte die Schwester ungeduldig. Ich meine, wo er in Garnison steht?“

      „Ja, danach habe ich ihn wirklich nicht gefragt. Wir kamen auch auf solch’ prosaische Dinge nie zu sprechen. Ich weiß nicht einmal seinen Namen, denn als er uns vorgestellt wurde, sprach der alte Brunnenarzt mit seiner geschwollenen Oberlippe so undeutlich, und später kam ich mit dem Herrn Lieutenant vollkommen gut aus. Großvater nennt das ja auch immer einen ‚Handgriff‘ zum Namen.“

      „Aber in welcher Weise hat er Dir denn die Cour gemacht?“ frug Paula, die das ganz besonders zu interessiren schien, „denn Deiner bisherigen Beschreibung nach scheint er nur im Allgemeinen, gewissermaßen im ganzen Weltall herum, geschwärmt zu haben.“

      „Das hat er auch,“ bestätigte Hulda rasch, „er hat mir zweimal gesagt, daß er den ganzen Wald an’s Herz drücken möchte.“

      „Hm aber rede nur einmal vernünftig. Du scheinst wirklich bei Deinem Herrn Lieutenant etwas gelernt zu haben. Also das war sein ganzes Courmachen?“

      „Oh, Gott bewahre!“ rief Hulda rasch, „er verglich meine Augen mit den Sternen und den blauen Feldblumen.“

      „Wenn Tante dabei war?“

      „Nein, wenn wir mit Tante spazieren gingen, denn die setzte sich immer auf eine Bank zum Ausruhen.“

      „Und litt sie überhaupt, daß Dich der Lieutenant begleitete?“

      „Oh,“ sagte Hulda, doch etwas verlegen, „sie hat ihn nur zweimal gesehen und sagte dann, er wäre noch so jung und schüchtern, mit dem hätte es keine Gefahr. Und dann,“ fuhr sie lebhaft fort, „recitirte er Gedichte und ganze Stellen aus Trauerspielen, oh, das konnte er prächtig! Kurz, er lebte nur immer in höheren Sphären, und ich amüsirte mich vortrefflich dabei.“

      „Aber das alles ist noch immer kein Courmachen,“ meinte Paula, „das habe ich mir wenigstens ganz anders gedacht.“

      /94/ „Na, dann hättest Du manchmal die Blicke sehen sollen, wenn er glaubte, daß ich ihn nicht beobachtete, und wenn ich ihn dann plötzlich ansah, wurde er bis unter die Haare roth.“

      „Ein Lieutenant!“ rief Paula gerade so erstaunt aus, als ob sie darin schon die wichtigsten Erfahrungen gemacht hätte.

      „Und Abends,“ fuhr Hulda in der Erinnerung schwelgend fort, „lief er oft zwei, drei Stunden vor meinem Fenster umher, wenn ich auch schon lange das Licht ausgelöscht hatte.“

      „Aber woher weißt Du das?“ frug die Schwester verwundert.

      „Ich hatte mir,“ flüsterte ihr Hulda zu, als ob sie selbst hier einen Lauscher fürchte, „die eine Rouleau-Ecke ein wenig hinaufgebogen, so daß ich, ohne bemerkt zu werden, hindurchschauen konnte, und gerade gegenüber war das Wirthshaus ‚zur Post‘, vor dem zwei helle Laternen brannten, so daß man Alles deutlich überblicken konnte. Es sah zu hübsch aus, wenn er so auf- und abging, als ob er vor der Post auf Wache stände und auf die Ablösung warte. Es war doch aufmerksam von ihm, und als wir am letzten Morgen schon um drei Uhr mit der Post abfahren wollten, stand er wahrhaftig fertig angekleidet da, um uns noch einmal Lebewohl zu sagen. – Ja, ich glaube sogar, er hat uns auch geweckt, denn um halb zwei Uhr schon wurde so furchtbar an die Hausthür gedonnert, daß wir Alle miteinander in die Höhe fuhren und Tante, die gerade über der Thür schlief, fast den Tod vor Schreck bekam, sie glaubte, es wolle Jemand einbrechen.“

      Paula lachte. „Ja, Schatz,“ sagte sie, „dann hast Du in der That einen wirklichen kleinen Roman dort in den Bergen durchgespielt, und es gäbe das eine reizende kleine Erzählung, aber der Schluß ist zu matt. Sie kriegen sich nicht.“

      „Unsinn, Paula,“ sagte jetzt Hulda, ihrerseits erröthend, „was Du auch schwatzest! An eine Heirath hat doch weder der Herr Lieutenant noch ich gedacht, und ihm war es jedenfalls nur darum zu thun, seinen romantischen Gefühlen etwas Luft zu machen; aber wie rasch verging uns dabei die Zeit. Ich sage Dir, es war zu hübsch, und dazu dann die ganze /95/ Umgebung: der herrliche Wald, in dem es eine Masse von wilden Thieren gab, die Hasen sprangen uns oft über den Weg; wenn man ein wenig höher in die Berge stieg, konnte man auch dann und wann auf einer grünen Wiese Rehe grasend finden, und einmal haben wir sogar einen großen mächtigen Hirsch gesehen, der gräßlich hohe und gezackte Hörner hatte, so daß ich einen Todesschreck bekam. Aber er that uns nichts, sondern sprang mit einem Satz in die Büsche zurück, wo wir aber sein Stampfen noch lange hörten.“

      „Ach, das hätte ich auch sehen mögen, Hulda,“ sagte Paula, in Bewunderung die Hände zusammenfaltend, „es muß gar so herrlich sein!“

      „Und dann die Jäger, die mit ihren Hunden in den Wald hinein zogen, die Flinten auf der Schulter,“ fuhr Hulda begeistert fort, „die grauen Joppen an mit grünen Kragen und graue Hüte auf, mit wunderlich zusammengebogenen Federn daran, es sah zu reizend aus, und was für wunderhübsche Menschen waren darunter, und wie stolz sie dabei einherschritten, als ob sie uns andere arme Sterbliche nur so von oben herab betrachteten.“

      „Es ist etwas Merkwürdiges um die Jagd,“ sagte Paula, still vor sich hinnickend, „und Großpapa, ja selber noch Jäger mit Leib und Seele. Freilich ein wunderliches Vergnügen, das ich wenigstens nicht begreife. Wenn er aber auch manchmal naß wie eine Katze nach Hause kommt, und hat nur etwas geschossen, so ist er doch vergnügt und erzählt und lacht den ganzen Abend. Aber, ich glaube wahrhaftig, es wird Zeit zum Schlafengehen, sieh nur, es ist schon halb zwölf Uhr geworden. Wie mir der Abend verflogen ist! Wir sind aber auch so lange nicht beisammen gewesen.“

      Es war wirklich Zeit, und Hulda von der Reise über Tag auch etwas müde geworden, hatte sie doch jetzt bald in vierundzwanzig Stunden nicht geschlafen.

      „Gute Nacht, Hulda,“ sagte Paula zur Schwester, die zuerst unter ihre Decke schlüpfte, „schlaf’ recht wohl und merke Dir, was Du diese erste Nacht wieder träumst – das hat

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