Wind über der Prärie. Regan Holdridge
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Wind über der Prärie - Regan Holdridge страница 11
Friedrich schmunzelte. „Zerbrich dir darüber nicht den Kopf, mein Junge. Die Wege des Herrn sind unergründlich, wie du weißt und wer kann schon sagen, was er sich für uns überlegt hat?“
Bei Morgengrauen des vierten Tages ihres Aufenthalts in New York war es soweit. Dicke Nebelschwaden hingen über den Dächern, wobei ein kühler Wind durch die Gassen blies. Hubert wachte als erster auf und öffnete den Vorhang, um hinab, auf die noch menschenleere Straße zu blicken. Er schob das Fenster nach oben, ließ die kühle Luft herein und atmete tief durch. Der letzte Morgen, den er in New York erwachte. Er lächelte. Gestern hatten Doktor Retzner und sein Vater ihr Geld zusammengelegt und einen Planwagen erstanden, zusammen mit zwei struppigen, großen Maultieren mit langen Ohren und einer gewissen Schläfrigkeit im Blick. Für Nikolaus war es Liebe auf den ersten Blick gewesen und er hatte sie bereits „Hans“ und „Otto“ getauft, völlig unbeeindruckt davon, dass es sich um zwei Stuten handelte.
Hubert verließ das Zimmer leise und schloss die Tür lautlos hinter sich, um seine Familie nicht zu wecken, die noch fest schlief. Im Korridor angelangt, bemerkte er eine vertraute Gestalt hinter sich und drehte sich um, nur um Juliane dabei zu ertappen, wie sie gemächlich den Flur entlang schlenderte, der überfüllt war mit Einwanderern, die mangels eines freien Zimmers hier nächtigten.
„Guten Morgen! Du bist ja schon unterwegs! Gut geschlafen?“
„Kann ich nicht behaupten!“ Sie reckte ihre Arme und unterdrückte ein Gähnen. „Hab’ von unserem Treck nach Oregon geträumt...schlimme Sache, kann ich dir sagen.“
„Warum?“ Hubert konnte nicht anders, sondern musste amüsiert grinsen. Er wusste, wie theatralisch seine Schwester sein konnte, besonders dann, wenn eine Sache gegen ihren Dickkopf ging.
„Wir sind nicht in Oregon gelandet, in meinem Traum“, rief seine Schwester sich ins Gedächtnis zurück und runzelte die Stirn. „Wir haben irgendwo, an einem sehr merkwürdigen Ort eine Stadt errichtet und ich erinnere mich, dass ich vorhatte zu heiraten...vollkommen abwegig!“
Hubert lachte leise und ließ seinen Blick kopfschütteln über sie gleiten. Sie trug nur eine Bluse und einen Rock, beides zerknittert und die Bluse noch nicht einmal in ihren Gürtel geschoben, noch dazu zwei offene Knöpfe am Kragen. „Du solltest dich lieber anständig anziehen, bevor Mutter dich in dieser Aufmachung mitten auf dem Flur einer öffentlichen Pension zu Gesicht bekommt!“
Juliane gähnte erneut und begann, ihre zerknitterte Bluse glatt zu streichen und ihren Rock zu ordnen.
„Für einen Siedlertreck ist das alles ganz schön unpraktisch“, erklärte sie in ihrer offenen, ehrlichen Art und seufzte. „Wenn doch bloß diese Unterröcke nicht wären!“
„Mutter wird dir kaum erlauben, dass du Hosen anziehst!“, meinte Hubert leise und grinste, einen Blick über seine Schultern zurückwerfend, hinaus zu dem Fenster des Flurs. Dort unten, hinter der Scheibe, konnte er die Straße erkennen, wo die Stadt allmählich begann, zu erwachen und sich zu regen.
„Das befürchte ich beinahe auch“, erwiderte seine kleine Schwester gequält, wobei sie fand, dass es an der Zeit war, sich ihr Haar zu kämmen. „Aber vielleicht darf ich irgendwann die Unterröcke weglassen.“
„Solange es so kalt ist? Ich würde nicht darauf hoffen. Es wäre vermutlich auch keine besonders gesunde Idee.“
„Hmm.“ Das Mädchen hob resigniert die Schultern. „Du hast recht. Trotzdem – mir gefällt diese ganze Sache mit dem Wagentreck und den Maultieren und allem sowieso nicht. Und mir gefällt noch weniger, wenn ich daran denke, dass ich ständig auf diesen Karren klettern muss, mit all den unpraktischen Röcken und diesem hässlichen Kopftuch.“
Eine Stunde später waren Friedrich und Luise Kleinfeld zusammen mit ihren Kindern und Doktor Burkhard Retzner so weit, dass sie sich zum Treffpunkt für den Siedlertreck aufmachen konnten. Jeder trug irgendein Gepäckstück die Treppe hinab zur Rezeption, hinter der ein älterer Herr saß, um sie zu verabschieden.
„Siedlertreck“, wiederholte er gedehnt, als Friedrich ihm auf Nachfrage von ihrem Vorhaben berichtete und runzelte die Stirn. „Sie wissen hoffentlich, auf was Sie sich da einlassen?“
„Natürlich“, versicherte Friedrich mit einem zuversichtlichen Lächeln, wie nur ein Geistlicher es fertigbrachte. „Wir möchten nach Oregon oder Kalifornien, jedenfalls nach Westen.“
„Schön, schön!“ Der Rezeptionist nickte besonnen. „Meine Familie lebt jetzt in der vierten Generation in diesem Land und ich habe weiß Gott eine Menge Trecks nach Westen ziehen sehen!“ Sein Blick glitt über die ihm fremden Menschen hinweg. „Ein Spaziergang wird das nicht, das ist Ihnen hoffentlich klar?“
„Wie charmant von Ihnen, uns darauf hinzuweisen“, erwiderte Doktor Retzner und entsann sich im selben Moment, dass er ja Englisch sprechen musste, damit der Mann ihn verstehen konnte. Da er sich jedoch außerstande sah, das eben Gesagte zu übersetzen, vollendete er: „Hier im Osten ist doch kein Platz für uns alle! Wo sollen wir denn hin? Und Amerika ist so groß und gerade weiter im Westen gibt es so viel Land, das noch ungenutzt ist und...“
Der Rezeptionist nickte und brachte ihn mit einer Handbewegung zum Schweigen. „Nun, ich sehe, das wird für einige Leute ein echtes Abenteuer. Darf ich fragen, welchem Treck Sie sich anschließen wollen?“
„Oh, das ist einer mit nur etwa zwanzig Familien, die entweder mit demselben Dampfer wie wir hier angekommen sind oder ein paar Tage zuvor schon.“
„Aha!“, machte der Mann und verzog das Gesicht. „Also ein ganzer Haufen voller Grünschnäbel, die in ihrem Leben weder einen Grizzlybären, noch einen Wolf gesehen haben!“
„Grizzlybär?“ Luise schaute schockiert. „Was ist das, ein Grizzlybär?“
„Wie der Name schon sagt, Ma’am“, half der Rezeptionist ihr auf die Sprünge, „handelt es sich um eine große und nicht sehr freundliche Kreatur. Wenn Sie dort hinausgehen und ihre Route westwärts einschlagen, werden einige sehr interessante Überraschungen auf Sie warten, mit denen Sie vermutlich nicht gerechnet hätten! Und es gibt in der Tat eine Menge an wilden Tieren und anderen Dingen da draußen, mit denen nicht gespaßt werden sollte! Aber, bitte, Sie wissen ja vermutlich selbst, was Sie wollen!“
Nun wurde auch Doktor Retzner hellhörig. „Was wollen Sie damit sagen? Dass wir zu blöd sind, um in der Wildnis zu überleben?“
„Das haben Sie gesagt, Mister“, entgegnete der Mann mit einem Grinsen. „Ich kann Ihnen jedefalls nur sehr viel Glück wünschen!“
Ein Stück außerhalb der ersten Häuser New Yorks, auf einer großen, freien Wiese, hatte sich bereits eine gewaltige Anzahl von Menschen versammelt. Dazwischen standen Maultier- und Ochsenwagen und Handkarren herum, bereit für die Abfahrt. Es mussten mindestens siebzig bis achtzig, wenn nicht noch mehr Personen sein, die darauf warteten, sich dem Treck anschließen zu können, die Kinder nicht mitgezählt. Sie stammten aus den unterschiedlichsten Ländern und redeten in den verschiedensten Sprachen. Da waren Norweger, Schweden, Spanier, Holländer und Ungarn, dazwischen ein paar Engländer und Griechen.
„Es ist unglaublich!“, fand Friedrich und schüttelte den Kopf.
„Der Rezeptionist hatte womöglich nicht ganz Unrecht“, stellte Hubert gedehnt fest und vermied es, den Blick zu heben.