Wind über der Prärie. Regan Holdridge
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Hubert hörte ihn reden und rufen und fragte sich, weshalb er seinem Vater eigentlich wie ein Handlanger, mit zwei Schritten Abstand, folgte. Eigentlich war er hier doch völlig überflüssig! Weder er, noch Friedrich verstanden sonderlich viel von Medizin, also konnten sie sowieso nichts ausrichten, ehe nicht...nein. Hubert musste sich korrigieren. Falls dieser junge Matrose keinen Arzt mehr benötigte, dann allerdings war sein Vater der Richtige. Einige Meter vor ihnen hatte sich eine große Menschentraube gebildet.
„Geht weg!“, rief die Frau mit lauter, schriller Stimme und zerrte an ein paar Hemden und Ärmen. „Ich habe den Pfarrer dabei!“
Tatsächlich machten die Neugierigen Platz und ließen Friedrich und Hubert an den Treppenabsatz treten. Dort, zusammengesunken und ohne Bewusstsein, lehnte ein junger Mann, höchstens zwanzig.
Hubert schluckte. Überall auf den weiß gestrichenen Stufen und der Wand klebte Blut. Jemand musste den Matrosen halb auf die ersten beiden Stufen gelegt und seinen Kopf mit einer Jacke gestützt haben.
„Gütiger Himmel!“, entfuhr es Friedrich leise und er ging neben dem Verletzten in die Knie.
Huberts Blick glitt die Treppe hinauf und dann zurück zu dem jungen Mann. Aus einer langen, hässlichen Stirnwunde tropfte unaufhörlich Blut und sein linker Arm wölbte sich seltsam verrenkt nach oben. Der Blutspur nach zu urteilen, musste er vornüber hinuntergefallen und mit dem Kopf gegen die gusseiserne Haltestange geschlagen sein. Hubert atmete tief durch, während er das hellrote Blut dabei beobachtete, wie es aus der Wunde, über das geschlossene rechte Augenlid hinab und über die Wange rann, um von dort auf die blaue Uniform zu tropfen.
„Achtung! Lassen’s mich durch! Ich bin Arzt! Hören’s denn nicht? Lassen’s mich doch durch!“
Hubert drehte sich zu der energischen Stimme um und stellte erstaunt fest, dass sich ein kleiner Mann von vielleicht Ende zwanzig durch die Menge schob. Sein strohblondes Haar war zerzaust, als sei er eben aufgestanden und er sprach mit deutlich österreichischem Akzent.
„Ah, geh!“, schimpfte er jetzt und schob eine Frau beiseite. „Immer diese unnützen Gaffer!“ Er nahm kaum Notiz von Hubert oder Friedrich, sondern griff sofort nach dem Handgelenk des Patienten. „Hmm“, machte er schließlich. „Stabil und gleichmäßig.“ Er nickte Friedrich zu. „Schaut nicht so aus, als bekämen’s heute noch was zu tun, Herr Pastor!“
Friedrich lächelte amüsiert. „Das will ich auch hoffen! Das sollte eine schöne Überfahrt für mich werden!“
„Das kann man sich nie aussuchen“, entgegnete der schlanke, kleine Österreicher und tupfte mit seinem Taschentuch behutsam das Blut rund um die Stirnwunde fort. „Ah, ich glaube, das wird wieder.“
„Er wird es schaffen?“, fragte Hubert und spürte, wie das Herz ihm bis zum Halse schlug. Es war das erste Mal, dass er einem Arzt bei der Arbeit zusah.
„Sicher!“, wurde er beruhigt und eine Hand forderte ihn auf, mit anzupacken. „Wir bringen ihn trotzdem auf die Krankenstation. Da kann er sich auskurieren.“
Er fasste den jungen Matrosen unter den Achseln und Hubert packte seine Knöchel. „Kommen Sie, wir werden den Weg schon finden!“
Hubert nickte und spürte, wie sein Vater ihm auf die Schulter tätschelte. „Gut so, mein Junge!“ Er lächelte und beobachtete, wie sein ältester Sohn mit dem jungen Arzt verschwand.
„Ich bin übrigens Burkhard Retzner“, sagte der Österreicher mit seinem unverkennbaren Akzent, während er sich oben, an der Treppe, für den linken Korridor entschied. „Doktor Burkhard Retzner“, fügte er mit Nachdruck hinzu.
„Angenehm“, stieß Hubert ein wenig außer Atem hervor, ehe er ihm seinen Namen nannte. Der Matrose wurde allmählich ganz schön schwer.
„Ah, ein Nordlicht!“, erkannte Doktor Retzner und schmunzelte. „Auch auf dem Weg ins große Abenteuer und das gelobte Land, was?“
„Nun...“, begann Hubert zögernd, kam jedoch nicht weit.
„Machen wir uns keine falschen Illusionen!“ Doktor Retzner stieg die nächste Treppe hinauf. „Da wartet mehr Arbeit auf uns, als mir lieb ist! Da gibt’s ja noch gar nichts! Nicht einmal eine vernünftige Organisation!“
„Nun ja...“, wollte Hubert erwidern, doch er wurde erneut von dem geschwätzigen Arzt unterbrochen: „Ich weiß noch gar nicht, wie ich mich mit meinen Patienten verständigen soll! Man muss ja schon fast alle Sprachen dieser Welt beherrschen, wenn man sich irgendwie durchwursteln will, nicht wahr?“
„Hmm, ja.“ Mehr fiel Hubert dazu nicht ein und er wollte auch nicht riskieren, ein weiteres Mal nicht zu Wort zu kommen. Außerdem ging ihm sowieso allmählich die Puste aus. Sie brachten den jungen Matrosen zum Schiffsarzt, auf dessen Station, und als dieser versicherte, es bestehe keine Lebensgefahr, verabschiedeten sie sich wieder.
Müde und erschöpft und doch gleichzeitig aufgewühlt ging Hubert in ihre Kabine zurück. Er schloss die Türe leise hinter sich und stellte fest, dass der Rest seiner Familie mittlerweile ruhig schlief. Er zog die Schuhe aus, ehe er lautlos auf das obere Bett kletterte. Obwohl er sehr behutsam vorging, wachte Nikolaus auf und rieb sich die Augen.
„Du bist wieder da?“
„Psst!“, zischte Hubert und legte ihm die Hand auf den Mund. „Du weckst ja alle auf!“
„Aber“, wisperte sein kleiner Bruder, „ich will doch wissen, was passiert ist!“
„Nichts!“, flüsterte Hubert ungeduldig. „Nur ein Matrose, der die Treppe hinuntergefallen ist und jetzt vom Arzt versorgt wird.“
„Ach so“, erwiderte Nikolaus und gähnte. „Dann kann ich ja jetzt schlafen.“
„Mach’ das und sei still!“ Hubert zog die Bettdecke über sie beide und horchte auf die Atemzüge der anderen: Von Juliane und Luise war nichts zu hören, nur Friedrich schnarchte leise und bedächtig vor sich hin. Hubert starrte an die Decke, die er in der Dunkelheit nicht erkennen konnte. Das Erlebnis hatte ihn auf eigenartige Weise bewegt. Wie gerne hätte er nicht bloß dumm dagestanden und zugeschaut, wie dem jungen Mann das Blut über das Gesicht lief. Wie gern hätte er geholfen!
Ein Leben zu retten, dachte er, ist vielleicht die sinnvollste und gleichzeitig schwierigste Aufgabe, die wir übernehmen können, aber ist sie nicht auch die befriedigendste?
New York
Am späten Vormittag des 12. März 1884 dampfte die „Elbe“ im Hafen von New York ein. Alle Passagiere, die Platz fanden, hatten sich schon vor fast einer Stunde auf dem Deck, den Aussichtsplattformen und an der Reling entlang versammelt, um zu erleben, wenn sie in die berühmte Stadt im Osten der Vereinigten Staaten einlaufen würden. Wie ein Lauffeuer sprach sich die Nachricht über die baldige Ankunft herum und alles eilte und rannte hinauf, unter den freien Himmel.
„Immer mit der Ruhe!“, entschied Friedrich energisch, als seine drei Kinder ebenfalls aufgeregt davonrennen wollten. „Wir kommen genauso schnell an, wenn ihr hier bleibt!“
„Aber...wenn wir nicht gleich gehen,