Wind über der Prärie. Regan Holdridge

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Wind über der Prärie - Regan Holdridge

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sie hinüber zur Gepäckabfertigung und erhielten endlich ihre Taschen und Koffer. Danach wurde ihnen gestattet, Castle Garden zu verlassen und sie traten ihren Weg an durch die nächtlichen, aber erleuchteten Straßen New Yorks. Juliane schlurfte müde und erschöpft hinter ihren Eltern und Brüdern her, entlang einer breiten Straße, als plötzlich eine Stimme hinter ihr erklang: „Ah, geh! Das kann ja jetzt nicht wahr sein!“

      Ein lachender Mann, den sie nie zuvor gesehen hatte, klein gebaut und nicht viel größer als sie selbst, mit blondem Haar und unzähligen Lächfältchen um die Augen und Mundwinkel, trat zu ihnen.

      „Was für eine Überraschung! Der Pastor und seine Familie! Sagen’s jetzt nicht, Sie steuern dieselbe Pension an wie ich!“

      Friedrich starrte ihn für eine Minute verdutzt an, dann fiel es ihm wieder ein: „Ach, ja! Sie sind der Doktor, der sich um den verletzten Seemann gekümmert hat!“

      „Retzner“, stellte der Österreicher sich mit breitem Akzent vor und lächelte in die Runde. „Doktor Burkhard Retzner, aber bitte, lassen wir die Förmlichkeiten! Daheim nennt mich jeder bloß Hardy, also, seien Sie so frei und reden Sie mich auch so an. Dieses ganze Doktor-Getue hilft einem hier nicht wirklich weiter, im Gegenteil! Andauernd kommen dann die Leute gerannt und wollen etwas von einem!“

      Er zwinkerte verschmitzt, wobei seine grünen Augen auffallend lange an Juliane hängenblieben, die ihn unverhohlen und neugierig musterte. Er wirkte sehr sympathisch und vertrauenerweckend, auch wenn er gut doppelt so alt sein mochte wie sie selbst. Seine fröhliche, humorvolle Art gefiel ihr. Sein schmales Gesicht mit der etwas schiefen Nase verzog sich zu einem Lächeln, was ihn sehr charmant aussehen ließ und sie lächelte zurück.

      Friedrich räusperte sich. „Nun, wo haben Sie denn vor, die Nacht zu verbringen?“

      Burkhard Retzner warf einen kurzen Blick auf das Stück Papier in seiner Hand. „Sunnyside Boarding House“, las er vor.

      „Oh, wenn das kein Zufall ist!“, mischte Hubert sich nun mit einem Zwinkern ein. „Wir hatten auch vor, dort zu übernachten!“

      „Warum begleiten Sie uns nicht einfach?“, schlug Friedrich vor und gab dem Doktor einen Wink, sich ihnen anzuschließen. „Wohin soll die Reise für Sie denn gehen? Wissen Sie das schon?“

      „Westwärts“, erwiderte der Österreicher geradeheraus.

      „Westwärts?“, wiederholte Friedrich und seine braunen Augen begannen zu leuchten. „Eine großartige Idee! Genau dasselbe hatte ich auch schon im Kopf, gleich von Anfang an! Kommen Sie, kommen Sie! Wir müssen unsere Unterkunft finden und morgen früh werden wir über die weiteren Vorbereitungen sprechen, wir beide, meine ich.“

      Es dauerte noch fast eine halbe Stunde, bis sie „Klein-Deutschland“ erreichten. Klein-Deutschland war nichts anderes, als ein Stadtgebiet inmitten des riesigen New York, mit dem Unterschied, dass dort ausschließlich deutsche und deutschsprachige Auswanderer lebten. Sie fanden in der besagten kleinen Pension ein Zimmer, wo sie vorerst bleiben konnten.

      „Du lieber Himmel!“, sagte Luise und starrte mit offenem Mund auf den engen Raum und den überfüllten Flur im oberen Stockwerk. Dieselbe Idee hatten andere Einwanderer vor ihnen auch schon gehabt und tummelten sich nun bis zur völligen Auslastung unter dem Dach des geschäftstüchtigen Pensionsbetreibers. „Schon wieder so viele fremde Leute auf einem Haufen!“

      „Keine Angst“, beruhigte Friedrich sie. „Ich bin sicher, wir werden nicht lange hier bleiben.“

      Er ahnte nicht, wie recht er mit dieser Aussage behalten sollte, die er eigentlich nicht ernst gemeint, geschweige denn groß überdacht hatte! Das einzige, worauf er abzielte war, seine Frau davon zu überzeugen, dass sie sich keine Sorgen zu machen brauchte.

      Nikolaus gähnte. „Wann krieg’ ich endlich was zu essen?“, wollte er wissen und rieb sich müde die Augen.

      Juliane schwieg beharrlich, seitdem sie den Hafen verlassen hatten. Zum einen, weil ihr die Füße wehtaten und zum anderen, weil sie ihre Mutter nicht noch einmal verärgern wollte. Es war ihr auch alles zu viel im Augenblick. Ihr Kopf fühlte sich an, als habe ihr jemand wieder Alkohol zu trinken gegeben. Niemand durfte natürlich wissen, dass sie und ihre Freundin Annegret heimlich in deren Vaters Weinkeller eine Flasche gemopst hatten. Das war erst wenige Monate her. Sie hatten damals beschlossen, die Auswanderung zu begießen, wie Erwachsene es auch taten. Von dem säuerlichen Geschmack des Weins waren sie zum einen enttäuscht gewesen und konnten auch nicht nachvollziehen, weshalb die Erwachsenen so versessen darauf waren, das Zeug zu trinken. Zudem kam die ungewohnte Wirkung hinzu, die sie glauben ließ, nicht mehr Herr ihrer Sinne zu sein. Ganz abgesehen von den dumpfen Kopfschmerzen, der sie am anderen Tag auf Schritt und Tritt begleiteten. So in etwa fühlte Juliane sich in diesem Moment und sie konnte nicht sagen, ob sie das alles nur träumte oder ob es Wirklichkeit war.

      In dem winzigen Raum, den sie sich teilen mussten, gab es nichts, außer durchgelegenen Matratzen auf dem Fußboden und einem kleinen Tisch. Luise ächzte. So hatte sie sich ihre Ankunft in dem hochgelobten Land weiß Gott nicht vorgestellt und sie schwor sich, keinen Tag länger als irgendnötig hierzubleiben.

      Am anderen Morgen wachten sie zu später Morgenstunde völlig übernächtigt auf. Als Juliane und ihre Mutter den kleinen Saal betraten, in dem das Frühstück eingenommen werden konnte, waren Friedrich, Hubert und Nikolaus bereits mit ihrer ersten, amerikanischen Mahlzeit beschäftigt. Doktor Retzner hatte sich ebenfalls zu ihnen gesellt.

      Jetzt, bei Tageslicht, konnte Juliane ihn genauer betrachten und sie musste zugeben, dass ihr erster Eindruck sie nicht betrogen hatte – er schien tatsächlich ein äußerst sympathischer, vertrauenswürdiger Mann zu sein.

      „Nun, wie sehen Ihre Pläne für heute aus?“, wollte Friedrich nach einer Weile wissen, nachdem seine Frau und Tochter sich ebenfalls zu ihnen gesetzt hatten.

      „Nun, ich werde nach dem schnellsten und günstigsten Weg suchen, um nach Westen zu kommen“, gab der österreichische Arzt zu und schmunzelte. „Denn ich habe nicht vor, unnötig Geld für teure Zugtickets auszugeben.“

      Luise beäugte ihn, sichtlich irritiert. „Nein? Und wie wollen Sie dann von hier aus irgendwohin kommen?“

      “Es gibt verschiedene Möglichkeiten.“ Burkhard Retzner wiegte bedächtig seinen Kopf. „Sehen Sie, ich habe gehört, dass es dort draußen irgendwo eine Stadt gibt, die sie das Tor zum Westen nennen und von dort kommen Sie überall hin, in jede Richtung dieses Landes!“

      Friedrich hatte genau zugehört. „Darf ich fragen, ob es möglich wäre, dass Sie weitere Informationen über diesen Ort ausfindig machen und wie man dorthin käme?“

      „Das ist genau das, was ich mir für diesen Vormittag vorgenommen habe!“

      „Würde es Ihnen etwas ausmachen, wenn ich Sie begleite?“

      „Ganz und gar nicht!“ Der österreichische Arzt lächelte einnehmend. „Vielleicht können wir sogar einen Weg finden, uns die weiteren Reisekosten zu teilen!“

      Friedrich hob eine Augenbraue, gab jedoch nicht sofort eine Antwort. „Lassen Sie uns zuerst einmal sehen, was wir alles erfahren“, erwiderte er ausweichend. Er schien noch nicht völlig davon überzeugt zu sein, ob er dem anderen Mann trauen konnte oder nicht.

      „Und was sollen wir den ganzen Tag so treiben?“, fragte Hubert, ein wenig eingeschnappt, wie ein kleines Kind behandelt zu werden. Zu gern wäre er auch mit auf Erkundungstour

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