Der Zorn der Hexe. Lars Burkart
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Читать онлайн книгу Der Zorn der Hexe - Lars Burkart страница 9
‘Du hast vielen Menschen Unheil und Leid gebracht‘, kam über ihre Lippen, die man im grellen Licht der Flammen kaum sehen konnte, sie schienen regelrecht zu kochen. Die Menge, in deren Mitte unsere feine Verwandte stand, bildete einen Kreis um sie herum, und dieser Kreis wurde mit jedem Wort, das die Brennende sprach, größer. ‘Ich verfluche dich! Ich verfluche dich und deine Sippe bis zum Ende aller Tage! Du hast dir diesmal die Falsche ausgesucht! Diesmal hast du ins Schwarze getroffen! Ich bin eine Hexe! Alle deine Familienangehörigen und auch die, die es in Zukunft noch werden, werden einen frühen, unerwarteten und schmerzhaften Tod sterben!’ Schließlich loderte sie wie eine Fackel, aber brachte es tatsächlich fertig, wieder lauthals zu lachen. Überall erbrachen sich die Menschen, kippten ohnmächtig nach hinten oder standen nur fassungslos da, zu keiner Regung imstande.
Und da, ganz plötzlich, von einem Augenblick auf den nächsten, verschwand die Brennende. Sie verschwand einfach, löste sich in Luft auf. In der einen Sekunde war sie noch auf dem Scheiterhaufen angebunden, und in der nächsten war sie weg. Auch das Feuer war aus. Noch nicht einmal das Holz glomm noch. So, als hätte das Ganze nie stattgefunden. Das einzige, was Zeugnis von dem Vorfall ablegte, war das Echo ihrer Worte. Noch minutenlang tönte über ihren Köpfen der Satz: ‘Ich verfluche dich, ich verfluche dich und deine Sippe bis zum Ende aller Tage!’
Von da an wurde unsere reizende Verwandte von allen gemieden. Selbst die, die mit dem Verurteilen immer so schnell bei der Hand gewesen waren, machten nun einen Bogen um sie. Ein paar Monate blieb alles ruhig. Doch dann, eines Tages, sie hatte es schon fast vergessen, begann das Sterben in unserer Familie. Sie fielen um wie die Fliegen. Nur ihr jüngster Sohn überlebte. Aber auch nur, damit er eine eigene Familie gründen konnte und dann … na ja, den Rest kannst du dir sicher denken.“
In Sabines Augen stand nacktes Entsetzen, aber auch Unglauben. Das Ganze klang zu phantastisch.
„Was ist aus ihr geworden?“
„Wer? Aus der Hexe oder unserer Ahnin?“
„Also, wenn du mich so fragst: beide!“
„Die Hexe wurde nach ihrer Verbrennung nie wieder gesehen. Und unsere Hexe, dieses Miststück von einer Ahnin, sollte das gleiche Schicksal ereilen. Sie hatte acht Kinder, und als das große Sterben begann, ich will es mal so formulieren, als der Fluch sich bewahrheitete, verlor sie alle, bis auf einen. Und auch ihr Ehemann starb. Er wurde auf dem Feld von seinem eigenen Gaul totgetrampelt.
Ein Jahr nach seinem Tod, mittlerweile war sie ganz allein, auch ihr Jüngster hatte den Hof verlassen, wurde sie schwanger. Und da es ja nun ganz offensichtlich mit dem Teufel zuging, wenn eine Frau ein Kind bekam ohne Mann dazu, wurde auch sie zum Tode auf dem Scheiterhaufen verurteilt. Es ist noch heute ein Rätsel, wie die Dorfbewohner davon erfahren hatten, obwohl sie ihr Haus und ihr Grundstück nie verließ. Und Besuch hatte sie auch keinen empfangen. Die hatten doch alle Angst, etwas von dem Fluch könne auf sie überspringen! Sie verbrannten sie in einer sternklaren Nacht, mitsamt dem Ungeborenen im Leib.
Wie gesagt: Es ist noch immer ein Rätsel. Aber ich vermute, die Hexe hat das irgendwie bewerkstelligt. Schließlich beherrschte sie die Zauberei, wie sie ja bereits eindrucksvoll bewiesen hatte. Und es ging bestimmt nicht mit rechten Dingen zu, denn die Angst der anderen war verschwunden, als man sie zum Scheiterhaufen führte. Und ich vermute auch, dass sie dafür sorgte, dass der jüngste Sohn den Ort verließ. Schließlich musste die Familie fortbestehen, damit sich der Fluch immer und immer wieder erfüllen konnte. Bis zum heutigen Tage.“
Mit ruhigem Blick sah er sie an. Er wusste nicht, was er erwartet hatte. Vielleicht, dass sie geschockt war oder in Tränen ausbrach. Doch Sabine tat nichts dergleichen. Sie sah ihn nur an und machte keineswegs den Eindruck, als ob sie auch nur ein einziges Wort glaubte. Doch auch das konnte er nachvollziehen, wäre es ihm doch, wenn er an ihrer Stelle gewesen wäre, ebenso gegangen. Leider nahm der Fluch keine Rücksicht darauf. Ihm war es einerlei, ob sie es glaubte oder ihren alten Herren für einen ausgemachten Schwachkopf hielt. Was auch immer geschehen sollte, würde geschehen. Daran ließ sich, leider Gottes, nichts ändern …
„Du musst zugeben, das Ganze klingt …, nun, sagen wir einfach, ein wenig abwegig“, entfuhr es ihrem Mund nüchtern. „Glaubst du tatsächlich, ich lasse mir so eine Geschichte verkaufen und schlucke sie einfach?“ Ihre Stimme klang erregt. Auch das konnte er nachempfinden.
„Leider ist es die Wahrheit.“
„Ach, komm.“
„So leid es mir auch tut: Es ist so. Es ist die traurige Wahrheit. Wir müssen dieses Schicksal ertragen. Wir leiden noch immer darunter, dass dieses zänkische Weib alles und jeden hasste.“
„Das sind doch alles nur Geschichten, die man sich abends am Lagerfeuer erzählt! Die sind doch von vorn bis hinten an den Haaren herbeigezogen. Und jeder, der sie erzählt, schmückt sie dann etwas aus mit seiner eigenen Phantasie.“
„Ich wünschte, es wäre so. Oh ja, das wünsche ich mir wirklich von Herzen“, seufzte er.
„Was sollte es sonst sein? Was? Ich kann’s dir verraten: Es ist genau das und nichts anderes.“
Sie war überzeugt, dass es nur so sein konnte – so und nicht anders. Doch seine Augen sprachen eine andere Sprache, und irgendwie bereute sie es immer mehr, so hartnäckig auf der Wahrheit bestanden zu haben.
„Es ist schwer zu glauben. Ich weiß. Aber es ist der Fluch unserer Familie. Seit nunmehr fünfhundert Jahren.“
Plötzlich flammte eine Erkenntnis in ihr auf. So makaber es auch klang: Ihr Vater erlaubte sich einen Scherz mit ihr. Er wollte sie auf den Arm nehmen, sie necken und sie mal so richtig aufs Glatteis schicken. Sie hatte keine Zweifel mehr, oh ja, ihr Vater wollte ihr eins auswischen, er wollte sie so richtig verarschen. Aber nicht mit mir, mein Lieber! In die Grube, die du da angelegt hast, werde ich nicht fallen! Diesmal nicht!
„Woher willst du das eigentlich alles wissen? Schließlich hast du ja selbst gesagt, dass das bereits ein halbes Jahrtausend zurückliegt. In dieser Zeit kann viel passieren, das brauche ich dir nicht zu sagen. Woher also nimmst du diese … äh, Informationen?“
„Folge mir bitte.“
„Was?“
„Folge mir einfach.“
„Wohin gehen wir?“
„Du wirst schon sehen. Komm einfach mit.“
Sie verließen den Raum, und Sabine dackelte hinter ihrem Vater her. Sie hatte beschlossen das Spiel mitzuspielen, denn dafür hielt sie es, für ein abgefucktes Spiel. Doch sie würde schon bald den Spieß umdrehen und ihn dann so richtig veräppeln. Sie musste sich nur gedulden, bis sie ihre Chance witterte. Und bis dahin hieß es, weiter den Tölpel zu mimen, damit der Alte sich in Sicherheit glaubte.
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