Der Zorn der Hexe. Lars Burkart

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Der Zorn der Hexe - Lars Burkart

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zum Abwinken. Wobei man sich absolut nicht auf die Reihenfolge festlegen sollte. Es war vorgekommen, dass kaum noch jemand aufrecht stehen konnte, da hatte die eigentliche Party noch gar nicht begonnen. Wie dem auch sei – es war eine herrliche, schöne Zeit gewesen. Doch diese Tage waren vorüber, sie lagen weit zurück, in der Vergangenheit.

      Kurze Zeit nach ihrem Abschluss, sie hatte ihn erst einige Wochen in der Tasche, vermisste sie ihre Freunde. Doch das ließ mehr und mehr nach, und irgendwann vergaß sie die Erfahrungen und Eindrücke fast. Ob es den anderen auch so ging?

      Warum fällt mir das gerade jetzt ein? Warum jetzt, wo ich in der Einfahrt stehe und dieses riesige Haus angucke? Dieses Haus, das jetzt einzig und allein mir gehört? Oh, ich wünschte mir von ganzem Herzen, Daddy wäre noch da …

      Langsam näherte sie sich dem Eingang. Sie wollte nicht hineingehen, wollte dieses Haus um nichts auf der Welt betreten. Nie wieder. Und doch kramte sie in ihrer Handtasche nach dem Schlüssel, öffnete die Tür, trat über die Schwelle und ließ sie lautstark hinter sich ins Schloss fallen.

      Unheimliche Stille wehte ihr entgegen, hüllte sie förmlich ein. Obwohl es hier nie laut zugegangen war (schließlich fehlten andere Kinder) konnte man die Stille fast spüren. Sabine meinte sogar, sie griffe nach ihr, langsam und vorsichtig, mit zittrigen Fingern – und schließlich, wenn sie ihre Scheu abgelegt hatte, immer kräftiger. Sie lullte sie ein. So lange, bis sie schließlich ihr wahres Gesicht zeigte und sie mit Fingern, so stark wie Schiffstaue, umschlang und sie langsam und qualvoll erdrückte.

      Langsam lief Sabine durch die Halle. Ihre Schuhe klapperten auf den Fliesen und sie hörte das Echo. Die Luft hier drinnen war stickig, abgestanden. Sie war unangenehm, roch vermodert, fast so, als verwese hier etwas. Nur ein Produkt meiner überreizten Phantasie, versuchte sie sich selbst Mut einzuflößen. Das klang zwar plausibel, aber lange nicht plausibel genug. Irgendetwas Merkwürdiges geschah hier, und es ängstigte sie. Doch vielleicht war auch diese Überzeugung nur ein Produkt ihrer Phantasie …

      Allmählich bekam sie Kopfschmerzen. Sie wusste nicht, was sie glauben oder denken sollte. Alles stürzte auf sie ein, wie eine Lawine, die sich auf ihrem Weg ins Tal dicker und dicker frisst. Und sie hatte keine Ahnung, wie sie sich von ihr befreien konnte. Würde es helfen, ein paar Mal tief durchzuatmen? Keine Ahnung, aber einen Versuch sollte es wert sein.

      Sie überwand ihren Ekel vor der stinkenden, gammeligen Luft und atmete langsam ein und aus; dabei konzentrierte sie auf ihren Atem, nur auf ihren Atem. Langsam strömte Luft in ihre Lungen und nach wenigen Sekunden wieder heraus. Von dem Gestank merkte sie nichts mehr. Auch die Angst schwand. Und nachdem sie das einige Male wiederholt hatte, fühlte sie sich auch wieder wohl in ihrer Haut.

      Nun, da es ihr besser ging, war es an der Zeit, den Mantel abzulegen. Sie blickte an sich herab: Ihre schwarze Strumpfhose wies ein paar Laufmaschen auf, obwohl sie noch nagelneu war. Na ja, taugte halt alles nichts mehr. Auch die glänzenden schwarzen Schuhe wirkten stumpf. Wahrscheinlich war der Staub daran schuld. Eigentlich war das nicht wichtig; sie würde diese Kleidung ohnehin nie wieder tragen.

      Plötzlich überkam sie eine unbändige Lust zu duschen. Sie wollte den Staub und Schmutz des Tages abspülen, ihn einfach den Abfluss hinunterspülen und ihn aus ihrem Leben verbannen.

      Gedacht, getan. Schon wenig später war sie in ihren Bademantel gewickelt, trug ein Handtuch um den Kopf wie einen Turban, stand in der Küche und sah dem Kaffee dabei zu, wie er durch die Maschine lief. Sie hatte ihn extra stark angesetzt und hoffte, dass er ihre Lebensgeister weckte. Die Dusche hatte zwar den groben Schmutz von ihr gewaschen, aber was sie sich erhofft hatte, dass es ihr danach besser ging, war nicht eingetreten. Das war enttäuschend. Es war ein Trugschluss gewesen, eine falsche Fährte. Plötzlich wusste sie, dass in den nächsten Tagen, Wochen und Monaten nichts, aber auch gar nichts, ihr Empfinden verändern oder verbessern konnte.

      Eine kühle Brise wehte durch die Küche, und Sabine blickte erschrocken auf. Stand irgendwo ein Fenster offen, fragte sie sich, ohne doch echtes Interesse daran zu haben. Ach ja, richtig, das Badezimmerfenster stand offen, sie hatte es selbst geöffnet. Schnell machte sie sich auf, um es zu schließen, entledigte sich, da sie nun schon mal da war, des Bademantels und zog sich eine bequeme Jogginghose an und ein T-Shirt. Auf einen Büstenhalter verzichtete sie. Sie kam sich dadurch immer eingezwängt vor und trug ihn nur, wenn es sich nicht vermeiden ließ, beim Sport oder zu gesellschaftlichen Anlässen.

      Wie sollte es nur weitergehen? Was sollte geschehen? Was würde sie tun? Das waren durchaus interessante Fragen, über die sie da nachsann, während sie am Küchentisch saß und Kaffee schlürfte. Sie wusste nur eines: Nämlich, dass sie dieses Haus verlassen würde. Sie wollte es verkaufen und irgendwo ein neues Leben anfangen. Wo ihr Weg sie dann hinführen würde, lag noch im Dunkeln. Auf jeden Fall so weit wie möglich weg von hier, von den Erinnerungen, die sie, wenn sie ihnen nicht entwich, jahrelang quälen würden. Nein, so weit wollte sie es nicht kommen lassen. Bestimmt war es das Beste, alle Brücken hinter sich abzubrechen und irgendwo einen Neubeginn zu versuchen.

      Aber nicht heute. Dieser Tag war anstrengend genug gewesen, und schon deshalb war es wenig ratsam, jetzt über diesen Schritt nachzudenken. Nein, es war besser, erst etwas Zeit verstreichen zu lassen und dann eines Tages, wenn sie sich über ihre Entscheidung im Klaren war, damit zu beginnen. Dann konnte sie alle Für und Wider gegeneinander abwägen. Schließlich musste alles genau durchdacht werden.

      Sie entschied sich, ins Bett zu gehen. Sie hatte zwar einige Zweifel, ob sie überhaupt ein Auge zubekam. Die Aufregung des Tages und der Kaffeekonsum würden sie noch lange wach halten. Doch wie es sich herausstellte, waren ihre Zweifel unberechtigt: Sie schlief schon, da hatte ihr Kopf kaum das Kissen berührt.

      Sabine erwachte mitten in der Nacht. Ein kurzer Blick auf den Wecker und sie wusste, dass es kurz vor drei war. Warum wurde sie zu solch unmöglicher Zeit wach? Sie hatte doch sonst immer einen tiefen Schlaf! Ihr Vater hatte mehr als einmal behauptet, man könne sie mitsamt Bett entführen und um den halben Erdball kutschieren, sie würde nichts davon mitkriegen und selig weiterschlummern. Wenn sie schlief, dann schlief sie. Und das felsenfest. Selbst wenn eine Bombe direkt neben ihr hochging.

      Was also hatte sie geweckt?

      Sie lag in der Dunkelheit, sah gedankenverloren zur Zimmerdecke und fragte sich, was mit ihr los war. Plötzlich wusste sie, was sie geweckt hatte: Sie hatte geträumt. Doch es war nicht irgendein Traum gewesen. Sie hatte vom letzten Tag ihres Vaters geträumt. Und das so lebhaft, als wäre es eben erst geschehen und läge nicht schon Tage zurück. Sie hatte jede Kleinigkeit noch einmal miterleben müssen. Und ihr fiel auch wieder ein, wo das Unglück geschehen war. Daran hatte sie seitdem überhaupt nicht mehr gedacht. Ihr war unbegreiflich, wie sie das vergessen konnte. War sie denn so eine Närrin?

      Sabine rang mit sich. Die eine Hälfte von ihr wollte im Bett bleiben, sich die Decke über den Kopf ziehen und von nichts etwas wissen. Und die andere wollte das Gegenteil: Sie wollte aufstehen, schnurstracks in den Keller marschieren und der verdammten Sache auf den Grund gehen. Sabine war gespannt, welche der beiden Parteien den Sieg davontragen würde. Sie selbst tendierte sehr zur warmen Decke. Umso überraschter war sie, als sie plötzlich aufstand und mit forschen Schritten in den Keller ging. So viel zum Thema: Sie wäre feige.

      Augenblicke später stand sie vor der mit Paneelen verkleideten Wand und war ratlos. Die Tür war zu, felsenfest verschlossen. Und da sie noch nicht einmal ihren genauen Standort kannte, konnte sie nicht prüfen, ob sie vielleicht von allein aufging, wenn sie dagegen drückte. Wer weiß, vielleicht war sie ja nur angelehnt? Die Hoffnung bestand durchaus; sie konnte sich nämlich nicht erinnern, sie verschlossen zu haben. Angestrengt dachte sie nach, wer es wohl sonst gewesen sein könnte.

      Damals war sie wie eine Furie nach oben gerannt, um den Notarzt zu rufen, und gleich darauf hatte sie die

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