Der Zorn der Hexe. Lars Burkart

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Der Zorn der Hexe - Lars Burkart

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hätte es nie laut gesagt und sie hätte es sich auch nie eingestanden – aber sie hatte Angst. Sogar eine gehörige Portion davon. Sie hatte buchstäblich die Hosen gestrichen voll. Und da war es beruhigend, in einem Raum zu sitzen, der nicht nur groß war, sondern auch taghell. Mal sehen, vielleicht wirkte es ja, und ihre Angst hielt sich so in Grenzen. Gewünscht hätte sie es sich jedenfalls.

      Das Papier fühlte sich eigenartig rau an, hart und grob, aber vielleicht waren ihre Finger auch nur zu empfindlich. Vielleicht saß ihre Angst so tief, dass sie sich vor jedem Wimpernschlag erschreckte? Das alte Blatt zitterte in ihren Händen wie Espenlaub. Das war jedoch nicht verwunderlich, denn ihren Händen erging es kaum anders. Bei denen war es sogar noch schlimmer.

      Im ersten Augenblick sah sie verständnislos auf das Blatt, ohne überhaupt etwas zu sehen. Dann aber formten sich schemenhaft die ersten Buchstaben. Lesen konnte sie es trotzdem nicht – als wäre der Text vor ihr in einer fremden Sprache geschrieben, die sie weder lesen noch verstehen konnte.

      Auch nach einer weiteren Minute konnte sie es nicht lesen.

      Und nach einer weiteren auch nicht.

      Sie saß nur da, hielt das Blatt in der Hand und starrte darauf. Allmählich begann sie an ihrer geistigen Gesundheit zu zweifeln. Hatte sie etwa zu lesen verlernt? Es konnte eigentlich gar nicht anders sein. Warum hätte ihr Vater diese Texte in einer anderen Sprache verfassen sollen? Nein, das hatte er nicht. Sie konnte es nur nicht lesen, und das war beängstigend. Lesen war doch etwas Natürliches, Selbstverständliches, etwas, ohne das man gar nicht mehr auskam in dieser Welt. Und doch, sie schien es verlernt zu haben. So merkwürdig es auch klingen mochte: Sie schien es tatsächlich verlernt zu haben.

      Mittlerweile war eine weitere Minute vergangen, in der sie verständnislos das Blatt angestarrt hatte. Falls sie noch Zweifel hatte, nun hätten sie eigentlich beseitigt sein müssen. Das Blatt vor ihr war von oben bis unten beschrieben. Doch sie begriff den Text nicht. Sie begriff ihn einfach nicht.

      Eine weitere Minute verstrich.

      Und dann noch eine.

      An den Buchstaben konnte es nicht liegen, die lagen direkt vor ihr. Und da begriff sie es endlich: Es war gar nicht der Text, den sie nicht begriff, sondern der Inhalt. Denn nun konnte sie den Text lesen, und damit kam ihr die Erkenntnis. Es war einzig und allein der Inhalt, der sich ihrem Verständnis entzog. Der Inhalt mit all seinen unschönen Einzelheiten. Ihn konnte und wollte sie nicht begreifen. Ihr Gehirn sträubte sich dagegen, das Gelesene zu verarbeiten, es zu etwas Verständlichem zu machen. Es beließ es lieber so, wie es war, als ein Kauderwelsch, den Sabine zwar lesen konnte, den sie aber nicht verstand.

      Da stellte Sabine sich endlich die Frage: War sie bereit? War sie wirklich dazu bereit?

      „Ja, natürlich, verdammt noch mal! Warum sitze ich sonst hier? Warum bin ich sonst in diesen Keller gegangen?“

      Es gab niemandem, an den sie die Fragen richtete. Es war vielmehr so, dass sie die Worte unbedingt sagen musste. Sie musste sie mit ihren eigenen Ohren hören, weil sie dann anders klangen. Oh ja, verdammt, sie war bereit dazu. Und wie. Bereiter ging es schon gar nicht mehr. Ihr Herr Vater wäre stolz auf sie gewesen!

      Und da das nun geklärt war, verstand sie auch endlich den Text.

      Sabine saß lange da, las immer und immer wieder die paar Blätter und hatte dabei ihren Unterkiefer bis fast an die Brust heruntergeklappt. Ihre Augen waren weit aufgerissen, und ihre Mundwinkel flatterten wie die Flügel eines Kolibris. Doch sonst war sie ruhig. Sie zitterte nicht, und ihr lief auch kein Schweiß über die Stirn. Sie war so ruhig, wie man nur sein konnte, als säße sie entspannt auf dem Sofa, eine Tüte Chips in der Hand. Nichts und gleichzeitig alles deutete darauf hin, dass etwas Merkwürdiges, vielleicht Angsteinflößendes auf diesen Blättern stand.

      Geschlagene zwei Stunden saß sie so da und bewegte sich so gut wie nicht. Nur ab und an nahm sie ein Blatt, und wenn sie mit ihm durch war und sie es wer weiß wie oft gelesen hatte, nahm sie ein anderes – so lange, bis sie mit allen durch war und dann wieder von vorn begann. Das waren so ziemlich die einzigen Bewegungen, und dazu natürlich noch das Heben und Senken ihres Brustkorbs. Aber sonst saß sie nur bewegungslos da und schüttelte nicht einmal den Kopf, wenn sie etwas nicht glauben konnte. Und das kam mehr als einmal vor.

      Irgendwann gab sie sich dann einen Ruck und ging in den Keller hinunter.

      4. Kapitel

       4. Kapitel

      Drei Uhr früh. Sabine saß am Küchentisch, und um sie herum war alles hell erleuchtet. Vor ihr lag ein riesiger Stapel mit Schriftstücken, die sie aus dem Keller geholt hatte. Nur deshalb war sie noch einmal unten gewesen – und das auch nur so lange, bis sie so viel hatte, wie sie tragen konnte. Dann war sie wieder nach oben gegangen und hatte die Kellertür fest hinter sich verschlossen.

      Sie war müde und zugleich hellwach. Eine seltsame Mischung, aber keineswegs unangenehm. Wie ein Junkie auf einem Trip. So richtig genießen konnte sie es jedoch nicht. Schließlich kam ein Großteil dieses Trips von dem, was auf den Blättern stand. Und das war der Grund, warum sie so putzmunter war. Wer konnte bei alledem denn bitteschön an Schlaf denken?

      Ihre Frisur war eine Katastrophe, sie sah aus wie ein Waldschrat: ungekämmt, zauselig, zum Fürchten. Hätte sie in einen Spiegel geblickt, hätte sie sich nicht vor sich selbst erschreckt und einen Schreikrampf bekommen. Aber wer konnte bei so etwas schon Wert auf sein Äußeres legen? Und erst die Augenringe unter ihren müden Augen! Da hätte es schon einer ganzen Menge Make-up bedurft, um das zu korrigieren. Aber wer konnte bei so was schon ans Schminken denken?

      Die Blätter lagen ausgebreitet vor ihr auf dem Küchentisch und sahen sie vorwurfsvoll an. Sie schienen sie regelrecht zu verspotten. Tja, sagten sie, ist dann wohl nichts mit lebe glücklich und zufrieden in den Tag hinein, was? An so was war aber auch wirklich nicht zu denken!

      Sabine blickte missmutig zur Decke. Sie musste ihre Augen auf etwas anderes richten, sie taten ihr schon weh. Außerdem bekam sie langsam Kopfschmerzen. War ja auch kein Wunder. Seit Stunden starrte sie nun diese vermaledeiten Blätter an, klar, dass ihr Kopf allmählich in Wallung geriet. Mal was anderes zu sehen tat richtig gut. Ihr Gehirn schien sich langsam zu entspannen – zumindest sah sie jetzt nicht mehr ganz so viele schwarze Punkte.

      Sie rieb sich noch einmal die müden, trockenen Augen und sah dann wieder auf die Blätter vor ihr. Diese vermaledeiten Blätter … Mehr fiel ihr dazu nicht ein. Ihr Vater hatte sie ihr vorzuenthalten versucht und jetzt, im Nachhinein betrachtet, konnte sie verstehen, warum. Sicher, ohne das, was in ihnen stand, wäre sie blindlings hineingetappt in ihr Unglück. Wäre das aber wirklich so schlimm gewesen? War es jetzt so viel besser? Nein, ganz und gar nicht. Ach, hätte sie doch nur nicht so vehement darauf bestanden! Aber alles Jammern und Zeitschinden nützte nichts mehr; für einen Rückzieher war es zu spät.

      Wütend ließ sie ihre Faust auf den Tisch knallen und zischte wie eine giftige Schlange. Aber auch das war nur die Tat einer Verzweifelten. Denn in Wirklichkeit war sie weder stark noch hatte sie eine Alternative. Und das alles nur wegen dieser verdammten Blätter! Die in der Schrift ihres Vaters beschrieben waren, und die ihr Leben und ihre Zukunft auf den Kopf stellten. Ach, hätte sie doch nur … Aber Jammern nützte jetzt nichts mehr. Sie wusste es. Und seither war nichts mehr wie früher.

      Und nur wegen dieser verdammten Blätter.

      Dabei beinhalten sie nur ein paar Daten, die schon weit zurück lagen,

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