Der Zorn der Hexe. Lars Burkart
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Und als dieser Teil der Tragödie endlich endete und sein Leichnam abtransportiert wurde, lief sie mit bis zu der schwarzen Limousine. Bis dahin war ihr alles vorgekommen wie ein Alptraum. Doch dann, als sie den schwarzen Leichenwagen vor dem Haus parken sah und mit ansehen musste, wie ihr über alles geliebter Vater hineingeschoben wurde, begriff sie die Wahrheit. Wie vom Donner gerührt blieb sie stehen. Und dann liefen ihr die Tränen.
An all das erinnerte sie sich. Aber nicht daran, wie die Tür verschlossen worden war. Wie zum Teufel war es möglich, dass sie es jetzt war?
Sie lief ein Stück an der Steinwand entlang, beäugte sie und drückte ihre Nase an jedem Stein platt. Sie war verdammt nah an ihr dran, konnte aber beim besten Willen kein Anzeichen dafür entdecken, dass sie vor nicht allzu langer Zeit berührt worden war. Nicht der kleinste Fingerabdruck, obwohl das doch eigentlich unmöglich war. Hier unten war doch überall Staub, und ausgerechnet an den Steinen war keiner. Wie war das nur möglich?
Konnte sie die Geduld aufbringen, jeden einzelnen zu drücken? Und selbst wenn sie das täte, würde es etwas nutzen? Was war, wenn sie in einer bestimmten Reihenfolge gedrückt werden mussten? In einer Art Code? Wenn dem so war, hatte sie hier unten ein Weilchen zu tun. Ob sie die Kraft dafür haben würde? Das wusste sie nicht, aber sie war wild entschlossen, es herauszufinden.
Sie wollte sofort beginnen. Sie strotzte nur so vor Tatendrang. Doch dann überlegte sie, dass es besser wäre, bis zum Tag zu warten. Jetzt war es dunkel und unheimlich hier unten, und selbst die Lampe an der Decke machte es kaum heller. Vielleicht stiegen so auch ihre Chance auf Erfolg? Ja, das war eine gute Idee. Sobald der Tag angebrochen ist, werde ich mit meiner Arbeit hier anfangen. Dann bin ich auch ausgeschlafen, dachte sie.
Sie knipste das funzelige Licht aus, schlurfte in Richtung Bett und fiel der Länge nach hinein. Da schlief sie schon halb. Das Letzte, was sie sagte (aber davon bekam sie schon gar nichts mehr mit), war: „Er hat etwas gesehen“.
2. Kapitel
2. Kapitel
Es war nun schon der zweite Tag, an dem es wie aus Eimern schüttete. Und die Wolken hingen tief.
Sabine stand am Schlafzimmerfenster, hielt einen Becher Kaffee in der Hand, nippte ab und an daran und blickte hinaus in die wässrige Welt. Bei diesem elenden Wetter würde man nicht einmal einen räudigen Köter vor die Tür setzen. Doch eigentlich war ihr das Wetter egal. Sie hatte ohnehin nicht vor, vor die Tür zu gehen. Wozu auch? Es gab hier im Haus genug zu tun. Sie konnte beispielsweise die Böden wischen, die Sachen ihres verstorbenen Vaters sortieren, oder … oder …
Es gab so viel zu tun. Die Zeit sollte ihr doch nun wirklich nicht lang werden, oder? Sie konnte sogar versuchen, in die geheime Kammer vorzudringen. Und das war doch ein richtig guter Vorschlag. Zumindest wollte man das meinen. Allerdings war sich Sabine jetzt gar nicht mehr sicher, ob sie dort wirklich noch einmal hinein wollte. Schließlich war es der Raum, in dem ihr Vater in ihren Armen gestorben war. Der Mann, dem sie so viel zu verdanken hatte, der sie … Doch weiter wollte sie nicht denken.
Sie schüttelte heftig den Kopf und trank einen Schluck. Die Wunde war noch zu frisch, zu klaffend, als dass sie diese Gedanken zulassen konnte. Vielleicht fürchtete sie ja auch das, was sie dort drinnen vorfinden mochte? Möglich war vieles, vor allem bei mehr als fünfhundert Jahren Familiengeschichte … Das ist doch Blödsinn. Warum sollte sie sich fürchten? Die waren alle tot, vor denen hatte sie nichts zu befürchten. Aber die Geschichten, die sie da lesen würde … Egal, sagte sie sich, das kommt in allen Familien vor, schwarze Schafe gibt es überall.
Und doch scheute sie den Gang in den düsteren Keller. Warum blieb sie wohl sonst hier stehen und starrte in den Regen? So spannend war das nun auch wieder nicht …
Lag es an dem, was ihr Vater gesagt hatte? Hatte die alte, düstere Legende sie tatsächlich beeindruckt? Nun komm aber mal wieder runter, Mädchen! Daddy wollte dir nur einen Streich spielen, weiter nichts! Willst du ihm am Ende doch noch auf den Leim gehen?
So einfach war das jedoch nicht. Sie hatte nämlich begonnen, ihrem Vater zu glauben, ohne es selbst zu merken. Bei all den alten Papieren und Akten und Dokumenten da unten musste einfach mehr im Spiel sein, als sie anfänglich geglaubt hatte … Kunststück, Kindchen, sprach eine Stimme in ihrem Kopf (und sie klang verdächtig nach ihrem Vater), das liegt bestimmt daran, dass das alles wahr ist! Doch dann war da wieder eine andere Stimme, die sagte: Lass bloß die Kirche im Dorf, glaub auf keinen Fall diesem Ammenmärchen!
In diesem Augenblick drehte der Wind; der Regen prasselte hämmernd gegen das Fenster. Sabine war so in Gedanken, dass sie erschrak und einen Schritt zurückwich – und dafür erntete sie von ihrer inneren Stimme Hohn und Spott. Ihr Herz schlug heftig, und ihre Augen waren weit geöffnet. Ihr war etwas in den Sinn gekommen.
Warum sollte sie eigentlich die Zeit damit vertrödeln, herauszufinden, wie die Steine gedrückt werden mussten? Wozu das ganze Theater? War eine Axt nicht viel praktischer und vor allem schneller? Ohne Frage – allerdings würde das voraussetzen, dass sie sich bereits entschieden hatte. Hatte sie? Und da erkannte Sabine, dass sie sich entschieden hatte. Sie hatte einen Entschluss gefasst. Während sie noch darüber nachgedacht hatte, war sie zu der Erkenntnis gelangt, dass sie dem Ganzen auf den Grund gehen musste. Nicht nur, weil sie von Natur aus neugierig war, sondern auch, weil es nun einmal ihre Familie betraf. Und scheinbar war es sogar so wichtig, dass ihr Vater es ihr bis kurz vor seinem Tod hatte verheimlichen wollen …
Sie trank den letzten Schluck Kaffee, stellte den Becher auf ihren Nachttisch und verließ das Zimmer. Sollte der Becher doch da stehen bis zum Sankt Nimmerleinstag. Es war ihr egal. Sie hatte Wichtigeres zu tun. Sie hatte ein Geheimnis zu lüften. Und da würde ihr eine versteckte Tür kein Hindernis sein.
Es war eine gute Idee gewesen, bis zum Tag damit zu warten. Hier unten war es jetzt ungleich heller als in der Nacht. Und natürlich auch, weil ihr der Einfall mit der Axt gekommen war. Hätte sie es wirklich noch in der Nacht versucht, hätte sie nur planlos Steine angetippt. Und das wäre nun wirklich eine Sisyphusarbeit gewesen. Außerdem war es mehr als fraglich, ob sie je damit zum Ende gekommen wäre.
So aber stand sie jetzt vor der Wand, im hell erleuchteten Keller, und die Sache sah ein kleines bisschen anders aus, denn Tageslicht fiel durch die Kellerfenster.
„Ich muss mehr für meine Muckis tun“, sinnierte sie laut vor sich hin, „die verdammte Axt wiegt ja mindestens eine Tonne!“ Da wusste sie noch nicht, wie sehr ihre Muskeln erst am Abend schmerzen würden.
Nur einen Augenblick lang gingen ihr noch Zweifel durch den Kopf. War es richtig, was sie hier tat? Was wohl ihr Vater dazu gesagt hätte? Lohnte sich der Aufwand überhaupt? Glaubte sie wirklich an das Gehörte? Dann schlug sie das erste Mal zu.
Obwohl sie nach wie vor nicht wusste, was sie von dem Ganzen halten sollte, drosch sie wie eine Besessene auf die Wand ein. Und da es, wie sich jetzt herausstellte, nur um Gipsplatten handelte, die mit Holzpaneelen verkleidet waren, ging es zügig voran. Sie brauchte nur knapp dreißig Schläge, um ein Loch hineinzukriegen, groß genug, um hindurch zu schlüpfen. Es waren also nicht viele Schläge nötig, überraschend wenige sogar. Allerdings hatte sie weit ausholen müssen, und allzu oft fuhr ihr, wenn sie die Axt über ihrem Kopf schwang und ihren ganzen Körper anspannte, ein brennender Schmerz durch die Muskeln. Da ahnte sie schon, dass sie einen hohen Preis hierfür würde zahlen müssen.