Wilhelmine von Bayreuth: Erinnerungen der Prinzessin Wilhelmine von Preußen. Wilhelmine von Bayreuth
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Читать онлайн книгу Wilhelmine von Bayreuth: Erinnerungen der Prinzessin Wilhelmine von Preußen - Wilhelmine von Bayreuth страница 11
Sobald ich wieder imstande war, ein wenig zu sprechen, kam der König zu mir. Es beglückte ihn so sehr, mich gerettet zu sehen, dass er mir befahl, eine Gunst von ihm zu erbitten. „Ich will Ihnen eine Freude machen“, sagte er, „was immer Sie verlangen, sollen Sie haben.“ Ich war ehrgeizig und konnte es nicht leiden, dass ich immer noch als Kind galt; ich fasste Mut und beschwor ihn, mich nunmehr als eine Erwachsene zu behandeln und mich die Kinderkleider ablegen zu lassen. Er lachte sehr über meinen Einfall. „Nun denn“, sagte er, „es sei Ihnen gewährt, und ich verspreche Ihnen, dass Sie nicht mehr im kurzen Kleide erscheinen sollen.“ Ich war außer mir vor Freude. Ich erlitt fast einen Rückfall, und man hatte alle Mühe, meine erste Aufregung zu mildern. Wie glücklich ist man in diesen Jahren! Die geringste Kleinigkeit erfreut und erheitert uns. Der König hielt jedoch Wort, und was auch die Königin dagegen einwenden mochte, er befahl ihr, mir unbedingt die Courschleppe anzulegen.
Ich konnte mein Zimmer erst im Jahre 1720 (11jährig) verlassen. Ich war selig, keine Kinderkleider mehr zu tragen. Ich stellte mich vor den Spiegel, um mich zu betrachten, und dünkte mich nicht uninteressant in meinem neuen Staat. Ich studierte alle meine Bewegungen und meine Schritte, um wie eine Erwachsene auszusehen; kurz, ich war mit meiner kleinen Person sehr zufrieden. Triumphierend ging ich zur Königin hinab und war auf einen trefflichen Empfang gefasst. Wie ein Cäsar zog ich aus, und wie ein Pompejus kehrte ich zurück. Schon als sie mich von weitem erblickte, rief die Königin aus: „Mein Gott, wie sehen Sie aus! Das ist meiner Treu eine stattliche Figur! Sie sehen auf ein Haar einer Zwergin gleich.“ Ich stand ganz betroffen, in meiner Eitelkeit sehr verwundet, und der Verdruss trieb mir die Tränen in die Augen. Eigentlich hatte ja die Königin nicht unrecht, wenn es bei dieser flüchtigen Verspottung geblieben wäre; allein sie machte mir heftige Vorwürfe, dass ich mich an den König gewandt hatte, um eine Gunst zu erbitten. Sie sagte, dass sie das nicht haben wollte, dass sie mir befohlen habe, ihr allein anzuhängen, und dass, wenn ich mich je an den König wenden würde zu irgendwelchem Zweck, ich sie aufs höchste erzürnen würde. Ich entschuldigte mich, so gut ich konnte und beteuerte ihr so lebhaft meine Ergebenheit, dass sie sich endlich besänftigte.
Ich habe bereits den Charakter der Leti deutlich genug bezeichnet, aber ich kann nicht umhin, noch einen Umstand zu berichten, der zwar geringfügig war, jedoch nicht ohne Folgen blieb. Vor den Fenstern meines Zimmers lief eine ungedeckte, hölzerne Galerie, welche die beiden Flügel des Schlosses verband. Diese Galerie war stets mit Unrat angefüllt, was in meinen Gemächern einen unerträglichen Gestank hervorrief. Die Nachlässigkeit Eversmanns, des Hausmeisters, war daran schuld. Dieser Mensch genoss die Gunst des Königs, der ja stets das Unglück hatte, nur unredliche Günstlinge zu haben. Besonders dieser war ein rechter Teufelsknecht, der nichts wie Unheil zu stiften liebte und mit allen Kabalen und Intrigen, die vorkamen, zu tun hatte. Die Leti hatte ihn mehrmals ersuchen lassen, die Galerie säubern zu lassen, ohne dass er sich dazu bequemen wollte. Da riss ihr endlich die Geduld; sie ließ ihn eines Morgens rufen und fing damit an, dass sie ihn ausschalt. Er blieb ihr nichts schuldig, und sie gerieten endlich in solchen Streit, dass sie sich beide bei den Ohren genommen hätten, wäre nicht zum Glück Frau von Roucoulles erschienen, die sie trennte. Eversmann schwur Rache, und die Gelegenheit bot sich ihm schon am folgenden Tag. Er sagte dem König, dass die Leti sich keineswegs um meine Erziehung kümmere, sie sei die Mätresse des Oberst Forcade sowie des Herrn Fourneret, mit denen sie sich den ganzen Tag eingesperrt hielte, so dass ich nichts lerne; er spräche die Wahrheit, der König möge die Sache nur untersuchen.
Der Bericht Eversmanns war in jedem Punkte zutreffend, doch war die Leti unschuldig, was die letzte Anklage betraf. Ich war sechs Monate lang krank gewesen, was mich sehr zurückgebracht hatte; und seit meiner Genesung konnte ich meine Studien nicht wieder aufnehmen, da ich mich stets bei der Königin aufhielt, zu der ich mich schon um zehn Uhr morgens verfügte, um mich erst um elf Uhr abends zurückzuziehen. Der König, welcher der Wahrheit auf den Grund kommen wollte, stellte mir eines Tages verschiedene Fragen über die Religion. Ich zog mich sehr gut aus der Sache und befriedigte ihn in allen Punkten; doch als ich ihm die zehn Gebote aufsagen sollte, verwirrte ich mich und brachte es nicht zuwege, was ihn in solchen Zorn versetzte, dass er mich fast geschlagen hätte. Mein armer Lehrer musste für den Schaden stehen. Er wurde tags darauf davongejagt. Die Leti blieb auch nicht verschont. Der König gebot der Königin, ihr einen tüchtigen Verweis zu geben und ihr die Ungnade anzudrohen, falls sie je wieder Männer bei sich empfinge; selbst Geistliche sollten ausgeschlossen sein. Die Königin gehorchte mit Freuden und begrüßte die Gelegenheit, sie zu demütigen. Die Leti verteidigte sich, so gut es ging. Sie beschwerte sich über mich; sagte, dass ich weder Ehrfurcht noch Achtung vor ihr habe, dass ich ihr stets zuwiderhandle und dass sie für mein Betragen nicht verantwortlich sein könne, da sie ja fast nie mehr in meiner Nähe sei. Die Königin behandelte mich sehr ungnädig und sagte mir so harte Worte, dass ich trostlos darüber war. Trotz meiner Jugend machte es großen Eindruck auf mich. „Wie!“ dachte ich, „ein Gedächtnisfehler soll so viele Vorwürfe verdienen? Ich habe der Leti nicht gefolgt, das ist wahr; ich habe nicht ihre Zuträgerin werden wollen, sie hat mir keine Geheimnisse entlockt, die mir die Königin anvertraute; ich habe allen Befehlen der Königin gehorcht, und heute macht sie mir dennoch ein Verbrechen daraus. Ich habe allen erdenklichen Verdruss ihr zuliebe erduldet, bin mit Hieben zugerichtet worden, und dies ist der Lohn!“
Im nächsten Augenblick verwünschte ich meine Güte für die Leti. Es lag nur an mir, mich über ihre schlechte Behandlung bei der Königin zu beklagen; und ich gestehe, dass ich einige Zeit schwankte, ob ich die Königin oder diese Person verraten sollte. Allein meine Herzensgüte siegte über diese rachsüchtigen Gedanken, und ich beschloss zu schweigen. Meine Lebensweise wurde jetzt eine ganz andere; meine Stunden begannen um acht Uhr morgens und dauerten bis um acht Uhr abends. Ich hatte nur die Stunden der Mittags- und Abendmahlzeiten als Pausen, und sie vergingen auch wieder unter Verweisen, die mir die Königin gab. War ich dann in mein Zimmer zurückgekehrt, so begann die Leti mit den ihrigen. Sie war sehr erbittert darüber, dass sie niemanden mehr bei sich sehen durfte, und rächte sich an mir. Es verging kaum ein Tag, an dem sie die gefürchtete Kraft ihrer Fäuste nicht an meiner armen Person erprobte. Ich weinte die ganze Nacht, wusste mich gar nicht zu beruhigt, hatte keinen Augenblick der Erholung und wurde wie verdummt. Meine Lebhaftigkeit war verschwunden; mit einem Wort, man hätte mich körperlich wie geistig nicht wiedererkannt. Sechs Monate lang dauerte dies Leben, bis wir nach Wusterhausen übersiedelten.
Ich fing an, bei der Königin wieder in Gunst zu kommen und folglich ein wenig mehr Ruhe zu haben; sie bewies mir sogar ihr Vertrauen und teilte mir alle ihre Pläne mit. Vor der Rückkehr nach Berlin sagte sie mir eines Tages: „Ich habe Ihnen allen Kummer erzählt, den ich bis jetzt erfahren habe, doch habe ich Ihnen nur den kleinsten Teil all der Gründe gesagt, die ihn verursachten; ich will sie jetzt nennen, und ich verbiete Ihnen aufs strengste, mit jenen Leuten zu sprechen noch irgendwelchen Verkehr mit ihnen zu pflegen. Erwidern Sie ihren Gruß, das ist alles, was Sie nötig haben.“ Dabei nannte sie mir halb Berlin, das, wie sie sagte, mit ihr verfeindet sei. „Zwar will ich nicht“, fügte sie hinzu, „dass Sie mich kompromittieren. Falls man Sie fragt, warum Sie mit diesen Leuten nicht sprechen, antworten Sie, dass Sie Ihre guten Gründe dafür haben.“
Ich folgte genau dem Geheiß der Königin und hatte bald alle Welt gegen mich. Die Leti jedoch fing an, sich gewaltig zu langweilen. Das Verbot des