Die letzte Seele. Lars Burkart

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Die letzte Seele - Lars Burkart

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war bei weitem noch keine Liebe, aber da loderte schon ein klitzekleines Feuerchen in seinem Herzen. Es war schon etwas da, und seien es nur erste Anflüge einer zaghaften Freundschaft. Genau das brachte ihn aus dem Konzept. Er hatte einen stinknormalen Abend verleben wollen, einen trinken, noch einen trinken und noch einen –so lange, bis er rückwärts vom Stuhl kippte und befriedigt nach Hause wankte. So war es immer, und so sollte es auch heute ablaufen. Zugegeben, einem Flirt wäre er nicht abgeneigt gewesen. Aber das hier war zu viel.

      Irgendwann wurde es ihr zu bunt.

      „Na schön, wenn’s denn unbedingt sein muss: Versuchen wir es halt noch mal: Ich bin die Jeannine.“

      Sie sah ihm in die Augen, und einen Moment hatte sie den Eindruck, er hätte sie gar nicht wahrgenommen. Sie konnte ja nicht ahnen, dass er sich erst durch ein Meer von Eindrücken, Sinneswahrnehmungen und abstrusen Gedanken arbeiten musste. Nach und nach gelangte er an die Oberfläche und sah sie an.

      „Ein … ein sehr schöner Name. Gefällt mir.“ Er war überrascht, dass die Worte ihm so einfach aus dem Mund sprudelten.

      Jeannine war sichtlich erfreut – zum einen über das Kompliment und zum anderen, weil sie es langsam leid war, gegen eine Wand zu sprechen. Sie hatte schon daran gedacht, sich einfach umzudrehen und zu verschwinden. Jetzt aber, da er zum ersten Mal etwas gesagt hatte, ohne dass sie ihn darauf stoßen musste, verwarf sie diesen Gedanken.

      „So, findest du, ja?“

      Paul war wieder kurz sprachlos, rappelte sich aber auf und entgegnete schließlich: „Ja, das tue ich.“

      Jeannine lächelte, und er wäre bei diesem Lächeln am liebsten aufgesprungen und ihr um den Hals gefallen. Mit einem Mal wollte er sie küssen. Er hatte eine schier unbändige Lust dazu. Er wollte seine Lippen auf ihre pressen. Gewiss würde sie süß schmecken, zuckersüß. Er musste schlucken, um auf andere Gedanken zu kommen. Es misslang ihm. Ihre Lippen gingen ihm einfach nicht aus dem Sinn. Reiß dich zusammen, verdammt, ihr kennt euch keine fünf Minuten, was meinst du wohl, wie sie reagiert, wenn du sie gleich küssen willst? Ich sag’s dir: Sie klatscht dir eine und geht! So sieht es aus, so und nicht anders! Also reiß dich zusammen! Rauch eine, das beruhigt. Stimmt, ’ne Zigarette wäre jetzt das Richtige.

      Und da fiel ihm ein, dass er ja noch eine glimmende Kippe in der Hand hielt. Hastig führte er sie zum Mund und zog tief an ihr. Der Rauch tat ihm gut; augenblicklich fühlte er sich besser.

      Mit einem Mal war der Barkeeper wieder da und sagte etwas, dass weder Jeannine noch Paul hörten. Sie ignorierten ihn. Entnervt versuchte er es noch einmal, aber auch diesmal ohne Erfolg. Wäre ja noch schöner, dass ich hier versaure, bis einer von euch sich herablässt und mich bemerkt, dachte er und donnerte die Getränke zwischen sie auf den Tresen. Ein Schluck Bier schwappte über. Mit hämischem Grinsen sah er, wie sie zusammenzuckten. Wortlos drehte er sich um und widmete sich anderen durstigen Kehlen.

      Sie sahen sich verdutzt an.

      Eine Sekunde verging.

      Eine weitere Sekunde.

      Und auf einmal prusteten beide los vor Lachen. Sie konnten sich gar nicht mehr halten und lachten, so laut sie konnten. Es war ihnen in diesem Moment egal, ob man sie befremdet anschaute. Es war ein Lachen, das unbedingt gelacht werden musste, weil sie sonst geplatzt wären wie zwei Luftballons. Und ein Lachen, unter dem ihre Unsicherheit dahinschmolz wie Schnee in der Sonne.

      Eine Minute später lachten sie noch immer.

      Ihre Blicke trafen sich, und sie lächelten einander an. Und als hätten sie es untereinander abgesprochen, griff jeder nach seinem Glas und trank einen Schluck.

      Auf einmal verschwamm die Welt um ihn.

      Zuerst hatte Paul den Eindruck, er wäre unter Wasser. Nach und nach wurde es immer trüber. So tief konnte kein Mensch tauchen, nie und nimmer. Und ehe er sich versah, stand er in der schwärzesten Dunkelheit. Nichts schien sie durchdringen zu können; nicht einmal der Hauch eines Lichtstrahls kam zu ihm. Er fühlte Furcht, aber es war nicht die Art von Furcht, die er kannte. Es war anders, er wusste nicht, wie …

      Nicht nur die tiefschwarze Dunkelheit war beängstigend, nein, auch die Tatsache, dass kein einziges Geräusch an sein Ohr gelangte. Er war irgendwo inmitten dieser Schwärze. Er wusste nicht einmal, ob er aufrecht stand, saß oder lag. Nichts drang zu ihm außer den Geräuschen seines eigenen Körpers: das Blut, das durch seine Adern rauschte, das Herz, das wie wahnsinnig schlug und die Lungen, die so viel Luft einsaugten, dass sie ächzten.

      Irgendwann, (wann genau, war unmöglich zu bestimmen, er hatte inzwischen jegliches Zeitgefühl verloren) tauchte am Horizont (war es überhaupt der Horizont, es konnte auch der Boden sein, mein Gott, es konnte alles Mögliche sein, sogar eine Wand!) ein kleiner heller Fleck auf. Es war unmöglich zu bestimmen, woher er so plötzlich kam; Paul wusste nur, dass er mit schier unvorstellbarer Geschwindigkeit näherkam. Und noch etwas konnte er mit Bestimmtheit sagen: Dass er sich so schnell wie möglich von hier verpissen wollte.

      Er musste von hier weg, egal wohin. Irgendwohin, nur weg von diesem heranrasenden Punkt, der ihn zermalmen würde, wenn er ihn erreicht hatte. Das Dumme war nur, dass er genau das nicht konnte. Paul blieb, wo er war. Er hatte keine Möglichkeit zu entkommen. Wie auch? Er wusste ja noch nicht einmal, wo er war. Gab es hier überhaupt einen Ausweg, aus diesem gottverdammten Schwarzen Loch?

      Paul erfasste Panik. Der Punkt schoss immer noch direkt auf ihn zu, wurde größer und größer. Anfangs hatte er die Größe einer Erbse gehabt, und schon wenig später die eines Baseballs. Er überschlug es kurz im Kopf: Logischerweise wird ein Gegenstand, je näher er kommt, größer. Und da ergibt sich die Frage: Wie groß wird er wohl sein, wenn er mich erreicht hat? Nach kurzem Hin und Her vermutete er, dass er nicht nur zermalmt, sondern zuerst pasteurisiert, in Atome zerlegt und schließlich zu Mus verarbeitet würde. Eine wahrlich erquickende Vorstellung.

      Der Punkt war jetzt zu einem Gebilde von schätzungsweise zwei Metern Umfang herangewachsen. Oh Gott, oh Gott, wohin soll das noch führen? Vielleicht war es besser, sich darüber nicht den Kopf zu zerbrechen.

      Jetzt sah Paul noch etwas anderes und riss den Mund auf vor Überraschung: Im Inneren des Kreises war noch so etwas wie ein Kreis. Es sah aus wie ein dunkler matschiger Fleck. Paul spähte angestrengt. Er wollte es nicht, aber was hätte er sonst tun sollen? Wegsehen? Früher oder später würde er es ohnehin sehen.

      Das Ding blieb ein dunkler matschiger Fleck. Entweder war die Entfernung noch zu groß oder der Fleck war genauso, wie er sich darstellte: dunkel und matschig. Paul wusste nicht, welche der beiden Möglichkeiten ihm lieber war. Er starrte so angestrengt, dass er schon fürchtete, die Augen würden ihm aus dem Kopf fallen. Vielleicht lag es ja daran, überlegte er (und das beruhigte ihn etwas), weil es so schnell näher kam. Vielleicht konnte er genau deshalb keine klaren Konturen erkennen.

      Auf einmal richteten seine Nackenhaare sich auf. Der Grund dafür war so banal wie erschreckend: Alle Hoffnung, dass dies hier nur eine Illusion war oder ein schlechter Traum, verflog. Denn jetzt fühlte er einen Luftzug, sanft und noch schwach, leise. Aber vorhanden. Es war nicht zu leugnen: Der Wind wehte genau aus der Richtung, aus der das seltsame Gebilde auf ihn zugeschossen kam. Sein Verstand schloss, dass jener Luftzug die Luft war, die das fremde Gebilde vor sich hertrieb. Und noch etwas ging ihm durch den Kopf. Er hatte es an dem Geräusch erkannt, das der Wind erzeugte. Es klang hohl und dröhnend und … fast so, als befinde er sich in einem gigantischen Rohr. Das würde zumindest erklären, warum er so viel Wind abbekam.

      Der Kreis war inzwischen noch größer geworden, und es schien, als hätte er kleine Ecken

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