Die letzte Seele. Lars Burkart

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Die letzte Seele - Lars Burkart

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      Minuten mussten vergangen sein. Oder waren es nur Sekunden? Sie hatten keinen blassen Schimmer.

      Irgendwann spürte Jeannine, dass der Druck auf ihre Lippen nachließ. Sie öffnete ihre Augen und sah Paul überrascht an. Sie hatte gar nicht bemerkt, dass sie ihre Augen während des Kusses geschlossen hatte. Er schien ihre Blicke zu spüren und öffnete ebenfalls die Augen.

      Sie standen einander gegenüber, hielten sich an den Händen und sahen sich in die Augen. Strahlten sich an.

      Und da tat Paul etwas, was ihn selbst überraschte. Auch Jeannine war überrascht, aber auf angenehme Weise. Er zog sie wieder an sich, umfasste ihre Taille und küsste sie ….

      Diesmal kam der Übergang in die wirkliche Welt überraschend. In der einen Sekunde war Paul noch dort und einfach nur glücklich, und in der nächsten befand er sich schon wieder hier, einsam, allein und unglücklich. Es geschah so schnell, dass er sich erschrocken umsah.

      Er war noch immer in der Küche, lag wieder auf den Fliesen, und sein Kopf schmerzte. Vorsichtig tastete er seinen Hinterkopf ab und fuhr zusammen, als er die Beule berührte. Sie tat verdammt weh, und wenn er mit den Fingern darüberfuhr, war es kaum auszuhalten. Trotzdem (oder vielleicht gerade deshalb) berührte er sie noch ein paar Mal. Er wollte durch den Schmerz sicherstellen, dass er zurück in seiner Welt, zurück in der Realität war.

      Mühsam richtete er sich auf. Er musste sich mit den Händen abstützen; viel zu wacklig waren seine Beine. Paul brauchte drei Versuche, bis es ihm gelang, einigermaßen still zu stehen.

      Seine Lunge dürstete nach Rauch. Ist es nicht erstaunlich, fragte er sich selbst, da hast du mehr als zehn Jahre nicht gequalmt und bis gestern Abend keine von den Scheißdingern angefasst, und jetzt fiept deine verdammte Lunge nach dem Dreck, als hättest du nie aufgehört!

      Langsam trottete er ins Schlafzimmer. Obwohl hier nun schon seit geraumer Zeit gelüftet wurde, schlug ihm ein ekelhafter Gestank nach Erbrochenem entgegen. Zielbewusst lief er zu dem Wäscheberg, wo er seine Klamotten von gestern Abend vermutete und hielt sich mit der Linken die Nase zu. Endlich fand er sein Holzfällerhemd. Es stank nach Kotze, Alkohol und kaltem Rauch. Er fingerte in der Brusttasche herum, fand die Schachtel, nahm sie und stürmte aus dem Zimmer.

      Wenig später saß er auf der Terrasse. Der Wind wehte ihm ins Gesicht und bewegte die letzten Fetzen seines kahler werdenden Haupthaars. Er hatte die Füße auf den Tisch gelegt, auf dem im Sommer immer das Essen serviert wurde. Jeannine hätte einen Schreikrampf bekommen, hätte sie es gesehen, und … nein, nein, bloß nicht dran denken!

      Die Stereoanlage dudelte CDs, die er seit unzähligen Jahren nicht mehr gehört hatte: Kiss, Led Zeppelin, Ozzy Osbourne … Er konnte sich kaum noch an die Namen erinnern, hielt es aber für eine gute Idee, einfach mal wieder reinzuhören. Der Lautstärkeregler war aufgedreht bis zum Anschlag. Auch das war durchaus nicht üblich. Aber wer sollte sich beschweren? Seine Frau etwa? Die war aus dem Haus. Die Nachbarn? Die wohnten anderthalb Kilometer weiter die Straße rauf.

      In der Linken hielt er eine Flasche Jim Beam und in der Rechten ein Bier. Er brauchte Letzteres, um Ersteres runterzuspülen. Auf dem Tisch neben seinen Füßen lag eine noch fast volle Schachtel Marlboro. Anfangs ekelte er sich vor dem Geschmack, aber nach und nach lernte er ihn wieder lieben. Manche Dinge ändern sich nie. Gott sei Dank.

      Er fühlte sich sogar einigermaßen wieder wie ein Mensch. Teils lag das daran, dass er schon wieder einiges intus hatte, teils aber auch daran, weil er Dinge tat, die er seit Jahren nicht mehr getan hatte.

      Paul vermisste seine Frau. Er vermisste auch seine Kinder. Die wahrscheinlich sogar noch mehr als Jeannine. Aber er war, im Moment jedenfalls, so euphorisch, dass er ernsthaft versuchte (und diesmal gelang es ihm sogar) einige Zeit mal nicht an sie zu denken.

      Der Mond war hell. Er schien ein Gesicht zu haben, und dieses Gesicht schien ihn zu verhöhnen. Das hast du nun davon, stand darin geschrieben. Du hast nur die Quittung bekommen. Du hast dich zu viel von deiner Arbeit ablenken lassen. Jetzt sind die, die dir auf der Welt am liebsten sind, weg!

      Dieses vermaledeite Mondgesicht war schonungslos offen. All das hatte Paul schon gewusst. Das war nichts Neues für ihn. Es bedeutete nur noch mehr Schmerz. Er wollte, dass der Mond aufhörte, dass er endlich schwieg. Aber er dachte gar nicht daran, er verhöhnte ihn weiter.

      Paul schrie ihn an, warf einen Schuh nach ihm und trat mit den Füßen in seine Richtung. Was auch immer ihm in den Sinn kam, er schrie es heraus. Was auch immer er fassen konnte, er schleuderte es nach ihm.

      Langsam ging sein Spott über in schallendes Gelächter, und Paul fragte sich ernsthaft, ob er auf dem Weg war, den Verstand zu verlieren. Es war offenbar unmöglich, hier draußen zu sitzen. Also griff er nach den Getränken, vergaß auch die Kippen nicht und raste wie eine V1-Rakete ins Haus.

      Hier war es wesentlich kühler. Er schwitzte dennoch ein wenig, glaubte aber nicht, dass das nur von dem Sprint kam. Vielmehr hatte ihn die Diskussion mit jemandem, der normalerweise nur blöd rumhängt und kein Wort sagt, geängstigt. In seinen Büchern hatte er es oft beschrieben, wie es wohl sein mochte, wenn jemand langsam den Verstand verlor. Jetzt musste er zugeben, dass die Sache gar nicht mehr so spaßig war, wenn er selbst derjenige war, bei dem das Geschirr im Oberstübchen zersprang.

      Und noch immer drang diese Stimme zu seinen Ohren.

      Er drehte sich um und knallte die Terrassentür zu. Er tat es mit einer solchen Wucht, dass die Scheibe vibrierte und um ein Haar zersplittert wäre. Aha, dachte er, wäre ja nicht das einzige, was hier zersplittert.

      Nun war es ruhiger. Aber noch immer nicht ruhig genug. Wenn er genau hinhörte, war der vermaledeite Mond immer noch zu hören. Also überlegte er nicht lange und ließ das Rollo herunter. Und da er nun schon mal dabei war, tat er das gleich im ganzen Haus.

      Es dauerte keine drei Minuten, und Paul stand in tiefer Schwärze. Irgendwo (und das war noch gar nicht so lange her!) hatte er eine solche Finsternis schon einmal gesehen. Momentan fiel es ihm aber partout nicht ein, wo. Die Dunkelheit erfüllte ihren Zweck, denn der Mond war nun nicht mehr zu hören. Paul hatte endlich Zeit, zu verschnaufen. Darüber nachdenken, was er da eben getan hatte, wollte er lieber nicht.

      Langsam beruhigte er sich. Atmung und Herzschlag normalisierten sich. Und obgleich der Mond gewiss noch immer auf sein Haus schien, gewann er den Eindruck, dass von ihm nun keine Gefahr mehr ausging.

      Zehn Minuten später war er wieder so klar im Kopf, dass er alles für ein Hirngespinst hielt. Liegt bestimmt am Stress der letzten Tage, sagte er sich. Er kicherte sogar schon wieder über seine eigene Einfältigkeit.

      Obwohl die Angst weniger geworden war, verkniff er es sich, die Rollläden wieder zu öffnen. Stattdessen schaltete er alle Lampen an. Und das waren eine ganze Menge. Als er endlich damit fertig war, war das Haus hell erleuchtet. Sogar im Keller und auf der Terrasse brannte Licht.

      Plötzlich verspürte er eine ungeheure Lust auf einen Drink. Wo war die Flasche? Er brauchte nur einen Moment zu überlegen, da fiel es ihm wieder ein: Er hatte sie auf dem Wohnzimmertisch abgestellt. Schnellen Schrittes kehrte er dorthin zurück. Sie stand noch genau da, wo er sie zurückgelassen hatte. Er hatte sogar noch ein Bier. Auch das freute ihn ungemein.

      Paul ließ sich auf die Couch fallen, und da er endlich zur Ruhe kam, bemerkte er, dass die Stereoanlage noch immer mit voller Lautstärke spielte. Konnte er das die ganze Zeit überhört haben?

      Zwischen der Minibar, die sich mittlerweile auf dem Couchtisch angehäuft hatte, lag zwischen

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