Die letzte Seele. Lars Burkart

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Die letzte Seele - Lars Burkart

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21.30 Uhr

      Einlass: 21.00 Uhr

      Eintritt frei

      Und in der linken unteren Ecke das Wichtigste von allem. Der Hauptgrund, warum vor allem die Jungen Feuer und Flamme waren:

      Striptease kurz nach Mitternacht

      Naomi lässt alle Hüllen fallen

      Der junge Paul sah auf seine Armbanduhr. Er war der einzige, der eine trug und verkündete mit gewichtiger Stimme: „Gleich zwanzig Uhr fünfundvierzig.“ Die anderen nickten zustimmend. Die restlichen paar Minuten würden sie auch noch irgendwie totschlagen.

      Auf einmal wurde es schwarz vor Pauls innerem Auge. Doch nur für einen kurzen Moment, denn einen Augenblick später zeichneten sich bereits wieder erste Konturen ab. Sie waren verschwommen, wurden klarer, verschwammen wieder und wurden wieder klarer, als könne jemand sich nicht entscheiden, welche Brille er nehmen soll. Schließlich blieben sie klar.

      Es war jetzt um einiges dunkler, und Paul brauchte keine innere Uhr, um zu wissen, dass die Party bereits in vollem Gange war. Die Musik dröhnte, etwas Rockiges. Paul kannte den Song, der Name war ihm momentan aber entfallen. Garantiert was von den Stones. Er nahm sich vor, wenn er wieder in der Realität, in seiner Zeit war, unbedingt in seiner CD-Sammlung nachzusehen. Er war überzeugt, den Song dort zu finden. Es roch nach Alkohol und Erbrochenem.

      Die Disko fand unter einer riesigen Zeltplane statt. Man wollte schließlich sichergehen, dass das Fest nicht durch einen Wolkenbruch ins Wasser fiel.

      Das Herz des älteren Paul setzte vor Vorfreude einen Moment aus und schlug dann mit doppeltem Tempo weiter. Seine Hände waren schweißnass. Er wusste, dass es jeden Moment soweit sein würde. Gleich würde das geschehen, warum er, seiner Vermutung nach, hierhergekommen war.

      Der vierundzwanzig Jahre jüngere Paul saß an der Bar und hielt sich an einem Bier fest. Er war noch nicht betrunken, aber schon angeheitert. Die Freunde hatten ihn vor einiger Zeit alleingelassen. Sie waren entweder tanzen oder in irgendeiner Ecke beim Knutschen. Er hatte sich diesen Abend anders vorgestellt und war betrübt. Aber bei weitem nicht genug, um den Kopf komplett hängen zu lassen. Warum auch? Es war Sommer, er war jung, und der Abend gehörte ihm. Da störte es auch nicht, dass er allein hier saß und Bier trank. Er schnippte die Zigarette weg, trank und zündete eine neue an. War das Leben nicht wunderschön? Dann sah er gelangweilt auf die Armbanduhr. Die Zeiger verkündeten, dass es zehn vor zwölf war.

      Von der Tanzfläche (wenn man das so nennen konnte, es waren nur Holzplatten so auf dem Boden verteilt, dass sie eine zusammenhängende Fläche bildeten) kam einer der Freunde auf ihn zugewankt. Er hatte schon ein paar mehr intus als Paul, und das sah man auf den ersten Blick. Seine Augen waren glasig, sein Gang nicht mehr sicher, und er grinste bescheuert. Obwohl er nicht mehr nüchtern war, hatte er mehr Spaß als Paul. Unter jedem Arm hatte er ein Mädchen untergehakt. Sie waren zwar keine Schönheitsköniginnen, aber ihm schien das gleich zu sein. Paul dachte an das Sprichwort: Im Suff sind alle Frauen schön. Auch die Begleiterinnen hatten schon Mühe, aufrecht zu gehen.

      „Paulchen“, lallte der Freund, als er sich mit seiner Begleitung vor ihm aufbaute, „darf ich dir diese beiden entzückenden Täubchen vorstellen?“ Er deutete mit Kopfnicken nach rechts. „Dies reizende Geschöpf hier ist Ophelia. Ist Ophelia nicht ein wunderschöner Name?“

      Paul nickte zustimmend. Nicht, weil er von dem Namen so angetan war (um ehrlich zu sein, fand er ihn scheußlich), sondern weil er nur mit halbem Ohr zugehört hatte. Während sein Gegenüber ihn darüber informierte, dass das zarte Geschöpf auf der linken Seite Natascha hieß, sann er noch immer darüber nach, wie es sein konnte, dass er, Paul, hier noch immer allein saß und sein besoffener Freund bereits Anhang hatte, sogar das Doppelte von dem, was ihm zustand. Was mache ich nur falsch, fragte er sich und trank den letzten Schluck Bier.

      Sein wackliger Freund war kaum zur Stelle, da hatte er auch schon Bier bestellt: eines für sich, eines für Paul und natürlich auch für seine Damen. Und noch ehe Paul sich bedanken konnte, wurde er mit den vier Bier alleingelassen. Der Freund verschwand einfach wankend, wie er gekommen war. Er schien die Bestellung vergessen zu haben.

      Paul sah ihm stirnrunzelnd hinterher. Aber da er offenbar Wichtigeres zu tun hatte (und das hatte er garantiert, wenn man sah, wie begeistert er die Zunge mal der einen, mal der anderen in den Mund steckte), kümmerte er sich nicht mehr um ihn. Er würde das schon allein schaffen. Derartig beruhigt, widmete er seine Aufmerksamkeit den vier Biergläsern, die nur darauf warteten, getrunken zu werden. Nur fünf Minuten später hatte er bereits das erste geleert und schickte sich an, die Finger nach dem zweiten auszustrecken, als seine Hand plötzlich blieb, wo sie war – in der Luft hängend, wie auf einem Foto.

      Seine Augen waren über die Tanzfläche gewandert, von dort zum Ausgang, wo gerade eine wüste Schlägerei entbrannte und von dort zur Bar gegenüber. Und genau in diesem Moment war die Bewegung erstarrt, als wäre er zu Stein geworden.

      Der ältere Paul verlor den Boden unter den Füßen, und während er fiel, merkte er, dass sein Herz raste, sein Blut kochte, seine Muskeln zum Zerreißen gespannt waren, seine Nerven vor Aufregung zitterten und sogar sein Atem aussetzte. Obwohl er gewusst hatte, was ihn erwartete, war es, als es schließlich geschah, einfach zu viel für ihn. Und während ihm das noch durch den Kopf ging, kehrte er wieder auf den Jahrmarkt zurück, und das war ohne Zweifel ein Glück für ihn, so bemerkte er wenigstens die unsanfte Landung nicht.

      Der jüngere Paul saß noch immer so da, er hatte sich keinen Millimeter bewegt. Seine Hand hing ungefähr fünfzehn Zentimeter vom Bierglas entfernt in der Luft. Das einzige an ihm, was sich geändert hatte, waren seine Augen. Die waren so groß wie Scheunentore und glotzten ungläubig an die Bar. Und mit einem Mal war es still um ihn. Nur weit hinter ihm, es schien am anderen Ende des Universums zu sein, dudelte leise Musik.

      Das erste, was er sah, waren diese langen, blondgelockten Haare. Sie leuchteten heller als die Sonne. Eine einzelne Strähne war schwarz gefärbt und hing ihr mitten übers Gesicht. Sie hatte vereinzelt kleine Sommersprossen (er fragte sich einen Moment, wie es möglich war, dass er all diese Kleinigkeiten aus dieser Entfernung entdeckte), und Paul sah, dass ihre Augen ruhelos mal hierhin, mal dorthin wanderten. Auch sie konnte er genau sehen. Sie waren grün und, in der linken oberen Pupillenhälfte war ein kleines braunes Dreieck. Er hatte etwas Derartiges noch nie zuvor gesehen.

      Jetzt sah sie ihn direkt an.

      Vor Schreck blieb Paul die Spucke weg. Er wusste nicht, wie er sich verhalten sollte. Er wusste noch nicht einmal, ob er den Mut hatte, ihrem Blick standzuhalten. Er kam sich vor wie ein scheues Reh, das in die Gewehrmündung des Jägers blickt. Und während ihm dieser Vergleich in den Sinn kam, sah er hastig zu Boden und schimpfte sich einen Idioten. Super, echt erste Sahne, das hast du mal wieder großartig hingekriegt! Phänomenal! Ohne Scheiß, da kann man nicht meckern! Kannst stolz auf dich sein!

      Er glotzte zu Boden wie jemand, der etwas Wichtiges verloren hat und es unbedingt wiederhaben muss. Dabei wäre er am liebsten in diesem Boden versunken. Nur weg von hier, egal wohin!

      Mit einem Mal tauchten am oberen Rand seines Sichtfeldes ein Paar Stiefel auf. Schwarze Cowboystiefel. Eigentlich waren sie viel zu klein und zierlich, um sich Stiefel zu nennen. Aber es waren welche. Ein Paar von dieser Größe konnte nur zu einer Frau gehören. Fieberhaft überlegte Paul, ob eines der Mädchen aus seinem Freundeskreis derartige Schuhe trug. Negativ, er musste passen.

      Er schluckte den Speichel runter. Dann schluckte er noch einmal. Und es half ihm sogar ein wenig – so, als hätte er damit einen Teil seiner Unsicherheit weggeschluckt.

      Nun

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