Die letzte Seele. Lars Burkart
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„Was gibt’s da zu kichern?“, wollte sie wissen, als sie ihn endlich in ihr Zimmer bugsiert hatte.
„Wie kann deine Mom nur neben so einem Sägewerk pennen? Da braucht man ja einen Gehörschutz!“
„Das hab ich sie auch schon oft gefragt. Und weißt du, was sie darauf immer sagt?“
„Nö. Woher denn?“
„Ich habe halt einen festen Schlaf. Ist sie nicht süß? Sie liegt da, mausetot, und nennt das einen festen Schlaf! Man könnte sie mitsamt Bett auf die Straße stellen, sie würde keinen Furz davon mitkriegen und fröhlich weiterpennen. Ich springe bei jedem Geräusch aus dem Bett wie von der Tarantel gestochen, und sie schläft neben einem startenden Jumbo. Manchmal glaub ich echt, ich bin im Krankenhaus vertauscht worden!“
„Du glaubst ihr nicht, oder?“
„Ich hab dich nicht mit hergebracht, um über meine Familie zu quatschen.“
„Hört, hört. Warum bin ich denn hier?“
„Was für eine blöde Frage. So halt, aus irgendeinem Grund … Und weil ich Lust dazu hatte. Es war ein schöner Abend, heute. Und ich will noch nicht allein sein.“ Ihre Stimme klang sanft, noch sanfter als sonst.
„Ja, es war ein wundervoller Abend“, stimmte Paul mit der gleichen Säuselstimme zu. Und da er nicht wusste, was er sonst hätte sagen sollen, blickte er sich im Zimmer um. Wie schaffen es hübsche Mädchen nur immer, einen Mann fusselig und sprachlos zu kriegen? Hat darüber noch niemand eine Doktorarbeit geschrieben? Obwohl er nun schon ein paar Male hier gewesen war (am helllichten Tag, wohlgemerkt), tat er jedes Mal so, als wäre es das erste Mal. Jeannine fand das süß.
Paul bewunderte die Poster an der Wand. Er hatte noch nie ein Mädchen kennengelernt, das The Police oder die Beatles an der Wand hängen hatte. Allerdings konnte er die Mädchen, die er bislang näher kennengelernt hatte, an einer Hand abzählen. Aber sonst war es in diesem Zimmer nicht anders als in jedem anderen Zimmer in dieser Zeit. Außer vielleicht, dass Jeannine darin lebte, das Mädchen seiner Träume. Sie beschnupperten sich zwar noch immer gegenseitig, aber Paul glaubte fest daran, dass diese Liebe, ihre Liebe, ein Leben lang halten würde.
Ihr Zimmer war spärlich ausgestattet. In einer Ecke eine Couch, daneben ein Sessel, ein Bett und ein Schrank, und das war es auch schon. Kaum der Rede wert, würde man heute meinen, wo in fast jedem Zimmer ein Computer, ein DVD-Player, eine Stereoanlage und ein Fernsehgerät stehen. Aber für Paul war es etwas Besonderes. Hier verströmte alles ihren Duft. Und er liebte diesen Duft. Er war so schön blumig und erregend, und am liebsten würde er …
„Magst du was trinken? Ne Coke oder so was?“
„Oh ja, `ne Cola wäre echt klasse.“
Jeannine schlich aus dem Zimmer. Paul hockte sich auf das Bett. Ihm taten die Beine weh, am schlimmsten schmerzten die Ellenbogen.
Nach wenigen Sekunden kam Jeannine zurück. In den Händen hielt sie zwei Colaflaschen und eine Schachtel Zigaretten. Und in ihrem Gesicht stand etwas, was er noch nie zuvor an ihr wahrgenommen hatte. Dass es Lust war, sollte er erst später begreifen.
Sie setzte sich neben ihm auf das Bett und reichte ihm eine Flasche und eine Zigarette. Die Matratze ächzte kurz unter dem Gewicht ihrer Körper. Ihre Nähe tat ihm so gut. Er liebte sie, das stand außer Frage. Er roch den Duft ihrer Haare und schmeckte sogar noch ihren letzten Kuss auf seinen Lippen.
Paul war erregt. Seine Gedanken wirbelten durcheinander. Er wusste nicht, was er tun sollte. Einerseits war er spitz wie ein Seemann nach monatelanger Fahrt, aber andererseits wollte er sie nicht durch irgendwelche unbedachten Aktionen überfahren. Schließlich wusste er nicht, wie sie darauf reagieren würde. Wenn er Pech hatte, schmiss sie ihn in hohem Bogen aus der Wohnung. Wenn er aber Glück hatte …
„War ein schöner Abend, heute Abend.“ Sie schien sich einen Jux daraus zu machen, immer die Hälfte zu wiederholen. Vielleicht wollte sie auch nur die Stille unterbrechen, die sich einzuschleichen drohte.
„Oh ja. Das war er, dieser Abend.“ Allem Anschein nach war es ansteckend.
Und da war sie wieder, diese Stille. Nichts Besonderes, ruhige Momente kamen immer wieder vor, sogar mit Jeannine, die für ihr Leben gern quasselte. Manchmal ist Ruhe ja sogar erwünscht. Aber in diesem speziellen Fall war sie es nicht. Hier war die Stille erdrückend. Sie musste unterbunden werden, bevor sie etwas zerstören konnte.
Paul kratzte sich am Hinterkopf, und Schuppen rieselten wie Schnee herunter. Er schämte sich deshalb, konnte aber nichts dagegen tun. Egal, was er alles schon ausprobiert hatte: die Schuppen blieben. Eine schwache Schamesröte kroch ihm ins Gesicht. Jeannine störte sich nicht daran. Sie fand es sogar süß, vor allem, wenn sein Gesicht so schlagartig die Farbe wechselte. Dann sagte sie immer: „Ach Paulchen, ich glaube fast, dir rieselt der Kalk aus dem Hirn.“ Sie lachte jedes Mal, wenn sie es sagte. Diesmal schwieg sie.
Sie schnippte mit den Fingern gegen den Hals der Flasche, beobachtete, wie die Kohlensäurebläschen die Oberfläche durchbrachen und trank einen Schluck. Auch für sie war die Situation ungewohnt. Sie war so schweigsam; das kannte sie sonst gar nicht von sich. Das Eigenartigste aber war, dass sie sich noch mehr zu ihm hingezogen fühlte als sonst. Sie war hibbelig und spürte so einen seltsamen leichten Druck in der Magengegend, der aber keineswegs unangenehm war. Sie verzehrte sich nach ihm und hatte eine schier unbändige Lust, ihn zu berühren und sich von ihm berühren zu lassen. Doch auch sie steckte in der Zwickmühle, haargenau in der gleichen, die Paul plagte. Auch sie wollte die knisternde Atmosphäre keinesfalls zerstören.
Nach ein paar Hin und Her hatte sie sich zwei Möglichkeiten ausgedacht. Zugegeben, sie waren vielleicht nicht originell, aber sie wollte es jetzt sofort und nicht noch minutenlang wie die Katze um den heißen Brei herumschleichen. Sie hatte also die Qual der Wahl. Die eine Möglichkeit war ein kleiner privater Striptease, nur für ihn. Das hatte bei ihren Exfreunden immer hingehauen. Und wie das hingehauen hatte! Oder aber sie wählte die zweite Möglichkeit. Sie würde wesentlich länger dauern, aber todsicher zum Erfolg führen: Schmusen, Küssen, Streicheln. Das ganze Programm. Und dann, wenn er nicht mehr imstande war zu protestieren, ihm die Hose öffnen und den kleinen Paul aus seinem Gefängnis befreien. Es würde das erste Mal sein, dass sie ihn in den Händen hielte. Wie er wohl aussah? Durch die Hose hindurch jedenfalls hatte er sich immer ziemlich gut angefühlt … Wollen mal sehen, was er so zu bieten hatte! Sie würde ihn in die Hand nehmen, ihn sanft streicheln und wer weiß, vielleicht hauchte sie ihm ja auch einen kleinen Kuss darauf? Das hatte sie bisher noch nie getan.
Jeannine entschied sich für Letzteres und atmete gerade noch einmal tief durch, als Paul plötzlich aufstand und sagte: „Ich glaube, ich muss jetzt gehen. Sehen wir uns morgen?“
Statt einer Antwort gab sie ihm etwas anderes. Diesmal wollte sie ihn nicht gehen lassen! Also warf sie alle ihre Bedenken über Bord und machte sich daran, seine Hose aufzuknöpfen. Vor Überraschung sperrte Paul den Mund weit auf, aber noch ehe er etwas sagen konnte, hatte sie ihn mit einem langen, erregenden Kuss verschlossen. Vielleicht fürchtete sie ja, er