Geschichten aus Movenna. Petra Hartmann

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Geschichten aus Movenna - Petra Hartmann Movenna

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als ein vor Jahrhunderten nach Movenna eingewanderter Stamm der Moglàt, zum anderen aber war Arduas Mutter eine nearithische Prinzessin gewesen, und so blieb auch dieser Sieg in der Familie der neuen Dynastie.

      Auch Jurtak und Ardua lauschten dem nicht enden wollenden Jubel auf dem Festplatz. Jurtak mit der zufriedenen Miene eines Staatsmannes, dem ein schwieriges Projekt gelungen war, und Ardua mit großen runden Kinderaugen, wie sie die schmaläugigen Steppenbewohner fast alle bekommen hatten in den farbenfrohen Landschaften Movennas, doch Arduas Augen waren besonders rund und glänzend, selbst für einen Moglàt.

      Endlich hob Jurtak die Hand, und ein schmetternder Fanfarenstoß aus hundert Trompeten schallte über den Platz. Sofort trat Stille ein. Aller Augen richteten sich auf den König, der sich von seinem Sitz erhoben hatte und sich in einer feierlichen Ansprache zugleich an den Prinzen und an das Volk der Moven’Am wandte: „Ardua, mein Sohn“, hallte seine Stimme weithin über die Köpfe der Zuschauer bis hin zu den Knechten und Tagelöhnern ganz hinten in den letzten Reihen des Volkes. „Du bist der Erbe zweier großer Nationen und wirst dereinst an meiner Statt die Krone dieses Reiches tragen. Zwei Wochen lang habe ich dich dem Volk gezeigt, und du hast die Huldigungen deiner zukünftigen Untertanen entgegengenommen. Empfange nun zu deinem Geburtstag das letzte Geschenk deines Vaters und des Landes Movenna.“

      Wieder hob Jurtak die Hand, und ein erneuter Fanfarenstoß erschütterte die Luft. Mit weitaufgerissenen Augen starrten die Moven’Am auf den Kampfplatz und erwarteten gespannt die neuen Sensationen, die jetzt kommen sollten. Pferde mit glänzendem Fell und bebenden Nüstern mussten nun heran galoppieren, gewandte, sehnige Steppenkrieger und Magier der Reitkunst, noch großartigere Darbietungen als bisher erwartete das Volk.

      Doch nichts dergleichen geschah. Stattdessen teilten sich die Reihen der mogalithischen Krieger und gaben den Blick auf einen einzelnen, alten Mann frei, ein Greis mit wallendem weißen Bart und lang auf die Schultern niederfallenden weißen Locken kam zu Fuß auf den Kampfplatz geschritten, langsam, feierlich, einen Schritt nach dem anderen, trat er in die Mitte der Arena, senkte in einer kurzen, ruckartigen Bewegung vor dem König und seinem Sohn den Kopf und schlug dann seinen weißen, weitgebauschten Mantel zurück.

      „Das ist ja Rimuric!“, rief plötzlich einer der Moven’Am in die atemlose Stille hinein.

      Rimuric! Der Name flog von Mund zu Mund, erst flüsternd, dann jubelnd, aufjauchzend. „Heil Rimuric!“, rief, schrie, brüllte die Menge, dass man für einen Augenblick befürchten musste, die Mauern Pol Movenns könnten einstürzen. „Heil Rimuric, größter Sänger Movennas!“

      „Mein Gott, er ist es wirklich“, rief ein junger Schüler. „Ich habe ‚Rayan und Yvalir’ bestimmt zwanzigmal gelesen.“

      „Und ich kenne beide Kranichsepen auswendig“, warf sich eine ältliche Bettelfrau in die Brust. „Und alle Diamantlieder kann ich singen.“

      „Ja, er ist es“, murmelte bestätigend ein Händler aus der Seestadt Ura. „Ich kenne ihn von dem Porträt, das vorne in seiner Gesamtausgabe eingedruckt ist. Es ist kein Zweifel möglich: Dies ist Rimuric, Movennas Dichter.“

      Der alte Mann hörte den Jubelrufen des Volkes eine Weile wohlgefällig zu und lächelte leise. Dann winkte er zurück zu den Reitern, und zwei mogalithische Diener trugen ihm seine Harfe herbei, ein mächtiges, volltönendes Instrument aus dunklem Winterbaumholz, auf dem goldene Rosshaarsaiten wie Windhauch säuselten.

      Schon bei den ersten Tönen verbreitete sich ein ungläubiges Raunen über den Festplatz. Die Unruhe steigerte sich, doch griff der Greis gleichmütig tiefer in die Saiten hinein und schien den Sturm nicht zu bemerken, den er entfesselte mit dieser Melodie. Denn das Lied, das er spielte, kannte wohl jeder Moven’Am auswendig, jeder einzelne. Noch vor einigen Monaten war ein junger Bursche hingerichtet worden, der es in einer Schenke gesungen hatte. Mit leuchtenden Augen lauschten die Moven’Am, als Rimuric das Lied sang, die alte Kette der movennischen Könige, der wahren Herrscher Movennas:

      „Surbold als erster war König Movennas

      ihm folgte sein schöner Sohn Vidger

      dann Glaukos und Henna

      Katlyna Selanna

      und Wulfric der König der Schwerter

      von hoher Gestalt war Eirikir",

      sang Rimuric mit einer Stimme wie Sturm und Ewigkeit, machtvoll tönte das Lied des alten Sängers über Mauern und Türme Pol Movenns, griff nach den Herzen des Volkes, das berauscht und bestürzt zugleich den alten Worten lauschte. Zaghaft, dann mächtiger werdend, fielen die ersten Stimmen in Rimurics Gesang mit ein:

      "und Flaric ein freundlicher Mann

      schönen Künsten zugetan

      dann Vagn der Starke und Luthold der Rasche

      mit heller Stimme auch Lathmon und Kyris

      so sind die Könige Movennas

      mit Lorman und Orsan

      richtig aufgezählt.“

      Das Lied von den Königen Movennas war gesungen worden. Und das am zehnten Geburtstag Arduas und unter den Augen der mogalithischen Garden. Scheue Blicke flogen zum Thron des Königs und seines Prinzen hinüber, doch Ardua summte nur die Melodie lustig mit und hielt das alte heilige Lied wohl für einen Kinder-Abzählvers. Jurtak aber blickte mit gespanntem Gesichtsausdruck und einem seltsam zufriedenen Lächeln auf den Sänger, der noch immer die Saiten rührte und weiterspielte, obwohl die Kette nun zu Ende gesungen war. Doch Rimuric spielte noch immer, noch immer spielte der alte Dichter. Dann öffnete er erneut den Mund. Und sang. Sang nach der Melodie der alten Kette. Dies waren seine Worte:

      „Drauf Harvart der Große mit Heermacht gewann er

      und mächt’gem Gefolge Movenna

      Jurtak sein Erbe voll Umsicht und Weitblick

      errichtet von neuem das Reich

      aber als Stolz seiner Väter

      strahle im Ruhme der Herrschaft

      Ardua Blüte Movennas.“

      *

      Das Volk ging schweigend auseinander. Und wieder einmal fragte sich König Jurtak, was er von diesen Moven’Am eigentlich wusste. Eigentlich sehr wenig, schloss er seine Grübeleien ab, eigentlich so gut wie gar nichts. Nur das eine hatte sich wieder einmal als unerschütterliches movennisches Naturgesetz erwiesen, und das war die verwünschte Gelassenheit, die bei diesen Leuten immer wieder bei den unpassendsten Gelegenheiten zu Tage trat. Jubelrufe hatte er erwartet oder auch Unmutsäußerungen des Volkes, in jedem Fall aber erregte Diskussionen darüber, dass der König die Kette öffentlich hatte vortragen lassen. Doch in den Gesichtern der Untertanen war nichts zu lesen. Mit gleichmütigen Mienen trennten sie sich, sie gingen auseinander, ohne ein Wort oder auch nur einen Blick zu wechseln, jeder seines eigenen Weges, und Jurtak sah sich plötzlich allein mit seinen Moglàt auf dem Festplatz zurückgelassen und gab rasch das Zeichen zum Aufbruch, um die Entzweiung beider Nationen nicht allzu offenkundig werden zu lassen. Mit lautschallenden Fanfarenstößen trabten die Moglàt zurück nach Pol Movenn, und inmitten des Heervolks der kühnen Reiter wippte auf seinem Pony Prinz Ardua auf und ab und streute Goldmünzen aus, die niemand mehr aufsammelte.

      Einzig Rimuric, der greise Sänger, blieb auf dem Platz zurück. Seine Hände glitten noch immer über die Saiten der

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