Geschichten aus Movenna. Petra Hartmann

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Geschichten aus Movenna - Petra Hartmann страница 5

Автор:
Серия:
Издательство:
Geschichten aus Movenna - Petra Hartmann Movenna

Скачать книгу

nichts. Wieder wich Ardua einen Schritt zurück und versuchte gleichzeitig, in dem Buch einen, irgendeinen, hilfreichen Spruch zu finden. Aber die Zeichen waren plötzlich fremd und unlesbar geworden, und er erkannte keinen einzigen Buchstaben mehr. „Mein Vater gab mich zu Lournu der Hexe in die Lehre“, rief er ängstlich. „Sie soll mich in der Geschichte Movennas unterweisen – glaub mir, ich werde deinem Land ein guter König sein, wenn ...“ Ein weiterer Schritt rückwärts, dann noch einer und –

      „Bleib stehen!“, herrschte ihn Orkon mit Donnerstimme an. Ardua erstarrte. „Ich glaube, ich muss mir dich einmal aus der Nähe betrachten. Momentchen, ich komme runter.“ Oben auf den Knien des Steinriesen bewegte sich etwas. Eine kleine, flinke Gestalt ließ sich über die Kante des linken Knies gleiten, rutschte daraufhin eher gemächlich das Schienbein herunter und sprang vom Fuß in den Schotterkies hinein. Ein kleiner, verhutzelter Zwerg, der Ardua nicht einmal bis zum Bauchnabel reichte, kam auf den jungen Prinzen zu, blieb vor ihm stehen und musterte ihn kritisch von oben bis unten. „Du hältst das Buch verkehrt herum“, stellte er fest.

      Ardua wurde rot bis über beide Ohren. Hastig schlug er das Buch zu und schnaubte unwillig: „Das geht dich gar nichts an. Wer bist du überhaupt?“

      Aber der Zwerg ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. Gelassen lehnte er sich gegen den großen Zeh des Felsgiganten und fuhr fort, Ardua zu mustern. Schließlich zog er seine alte, zerkaute Tabakspfeife hervor, die er umständlich zu stopfen begann. „Man sollte meinen“, nuschelte er undeutlich mit dem Pfeifenrohr zwischen den Zähnen, „man sollte meinen, du wüsstest, wer ich bin. Immerhin hast du eben noch laut und deutlich nach mir gerufen.“

      „Dann bis du – du bist ...?“, japste Ardua überrascht.

      „Orkon der Bergriese, ja“, bestätigte der Zwerg. Er hatte inzwischen einen Holzspan entzündet und hielt die linke Hand schützend vor Flamme und Pfeifenkopf. Ardua betrachtete das putzige Männchen, das dort am Zeh des Steinriesen lehnte und an seiner Pfeife sog, mit großen, runden Augen. Endlich hatte der Tabak Feuer gefangen, Orkon der Zwerg begann vergnügt, vor sich hin zu paffen, und verbreitete einen schweren, nicht unangenehmen Vanillegeruch um sich.

      „Aber wenn du Orkon bist“, fragte Ardua unsicher, „wer ist dann das da?“

      „Wer?“ Der Zwerg blickte sich verwirrt um. „Ach, du meinst das da, das Steindingsbums?“ Er zuckte die Achseln. „Das haben die Menschen gebaut, vor langer Zeit. Ich glaube, es stellt König Eirikir dar, den letzten der sieben großen Könige. Weißt du, ich wohne da oben in seinem Bauchnabel, der ist sehr geräumig und schön trocken, muss man sagen.“

      Ardua lachte. Er lachte fast so laut wie Orkon vorhin gelacht hatte, nur dass die Berge dabei nicht zitterten. Sogar das Buch musste er loslassen, um sich den Bauch halten zu können, so sehr lachte Ardua. „Und vor so einem lächerlichen Winzling habe ich Angst gehabt“, lachte er lauthals, „es ist wirklich zu komisch.“

      Orkon der Bergriese schmauchte gemütlich weiter vor sich hin und betrachtete mit unbewegtem Gesicht den jungen Königssohn, der sich nur langsam wieder beruhigte. Erst als Ardua nach einigen Minuten mit seinem Gelächter zum Ende gekommen war, nahm der Zwerg die Pfeife aus dem Mund und brummte: „Ein halbausgebildeter Halb-Moglàt will mit einem halben Zauberspruch die Krone Eirikirs erlangen. Wer von uns beiden ist hier wohl die größere Witzfigur? Also, besser noch klein als halb.“

      „Entschuldigung“, murmelte Ardua. Er streckte dem Zwerg die Hand entgegen. „Es tut mir leid, nimm’s bitte nicht übel.“

      Orkon übersah die ausgestreckte Hand. Aber er blickte nicht unfreundlich dabei. „So, also du willst die Krone Eirikirs nach Hause tragen. Weißt du denn auch, dass keiner der sieben kleinen Könige, die nach Eirikir kamen, die Krone gefunden hat? Und sie waren alle hier und haben mich gerufen mit ihrem Zauberspruch. Mit dem ganzen Spruch, wohlgemerkt. Glaubst du etwa, ein komischer kleiner Halb-Moglàt kann erreichen, woran sieben echte Könige Movennas aus dem Stamm König Surbolds gescheitert sind?“

      „Die sieben kleinen Könige waren Schwächlinge“, sagte Ardua selbstbewusst. Jedenfalls hoffte er, dass es sich selbstbewusst anhörte. „Sie waren die kraftlosen Erben einer großen Zeit, die mit König Eirikir beendet war. Aber ich bin der Spross einer neuen Dynastie. Mein Großvater König Harvart eroberte Movenna durch die Kraft seines Schwertes. Mein Vater König Jurtak errichtete und festigte eine neue Königsherrschaft, wie es sie seit Eirikirs Tagen nicht mehr gegeben hat. Ich bin fähig, die Krone zu tragen, glaube mir. Bitte, lass es mich versuchen.“ Bei dem letzten Satz hatte Ardua seinen typisch mogalithischen Kinderblick eingesetzt. Lournu hatte er damit noch jedesmal herumgekriegt. Er war sich jedoch nicht sicher, ob er auch auf Wesen wirkte, die ihm nur bis zum Bauchnabel reichten.

      „Und obendrein würdet ihr damit endlich so etwas wie Achtung bei den Moven’Am erlangen“, ergänzte der Zwerg Arduas Rede und ignorierte demonstrativ den herzensbrecherischen Kinderblick.

      Der junge Prinz nickte. Selbst wenn man die stärkeren Waffen auf seiner Seite hatte, war es nicht angenehm, von den Eingeborenen als unerwünschtes Usurpatorenärgernis betrachtet zu werden. Die Krone Eirikirs konnte dem Königshaus der Moglàt eine Legitimation verleihen, die einen Mangel an Ahnen mehr als wettmachte. „Lass es mich versuchen, bitte“, bettelte Ardua.

      Der Zwerg schwieg. Langsam kletterte er den großen Zeh Eirikirs hinauf, bis er genau auf der Höhe von Arduas Gesicht angelangt war. Er fasste den Jungen unters Kinn und blickte ihm prüfend in die Augen. „Es ist wirklich zu schade, dass du nie König werden wirst“, murmelte er. „Wir hätten sicher viel Spaß miteinander. Aber wenn du darauf bestehst, gut, du sollst deine Chance haben.“ Ardua jubelte hell auf. „Freu dich nicht zu früh, mein Kleiner“, warnte der Zwerg. „Wer die Krone Movennas finden will, der muss den Pfad der Träume und Alpträume gehen, und selbst wenn er schließlich den Saal der Krone erreichen sollte, so ist noch nichts, aber auch wirklich gar nichts, dadurch gewonnen.“ Mit einem gewagten Salto kam Orkon vom Zeh des alten Königs herabgesprungen, dass der Schotterkies nach allen Seiten davon spritzte. „Ich sage dir jetzt die Regeln für den Weg zur Krone. Und es ist wichtig, dass du sie dir vollständig einprägst. Jede auch noch so winzige Abweichung bedeutet das Ende deines Weges. Dann verschwindet die Krone im Inneren der Berge, und sie wird sich von dir nie wieder berühren lassen. Hast du das verstanden, kleiner Prinz?“

      Ardua nickte ehrfürchtig.

      „Also“, sagte Orkon, „das Wichtigste, das überhaupt Aller-Allerwichtigste auf deinem Weg ist: Du darfst nicht sprechen. Kein einziges Wort, kein lauter Angstschrei, kein noch so leiser Seufzer darf über deine Lippen kommen, bevor nicht die Krone sicher und fest auf deinem bezaubernden Prinzenköpfchen sitzt. Kein Wort von jetzt an, verstanden?“

      Ardua biss sich fest auf die Lippen und nickte. Die Bedingung war leicht zu erfüllen. Schließlich galten die Moglàt nicht gerade als Schwätzer, nein ganz gewiss nicht.

      „Der Rest ist einfach“, fuhr der Zwerg, inzwischen wieder gemächlich geworden, fort. Er lehnte mit untergeschlagenen Armen an Eirikirs Zeh und plauderte im Tonfall movennischer Märchenerzähler: „Die ersten hundert Schritte musst du in absoluter Dunkelheit zurücklegen. Zähle sie sorgfältig mit, aber sprich die Zahlen nicht aus. Nach einhundert Schritten wird dir ein Licht erscheinen. Und was immer auch geschehen mag: Diesem Licht musst du folgen. Du wirst Spukgestalten sehen, die furchterregendsten Gestalten von ganz Movenna, vielleicht auch schöne, verlockende Bilder. Aber achte nicht darauf. Folge du nur immer deinem Licht, und es wird dich durch das Innere der Berge geleiten bis hin zu dem großen steinernen Saal, in dem die Krone Eirikirs seit neun Königsaltern verborgen ruht. Dann fasse sie an, mit beiden Händen, hebe sie hoch in die Luft, dann setze sie dir aufs Haupt, und wenn du das getan hast, wird sie unangefochten dein sein, und auch die Krone deiner Kinder und Enkelkinder. Aber du darfst nicht sprechen,

Скачать книгу