Geschichten aus Movenna. Petra Hartmann

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Geschichten aus Movenna - Petra Hartmann Movenna

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der Berge. Hast du das alles begriffen?“

      Ardua nickte schweigend.

      „Nun gut!“, rief Orkon. Er richtete sich hoch auf, und plötzlich kam es Ardua so vor, als sei er doch ein Riese, der mit seiner gewaltigen Faust zwischen Eirikirs Beinen gegen den Fels schlug. Donnernd fuhren die Steinmassen auseinander.

      Ardua schluckte lautlos, fast hätte er aufgeschrien vor Entsetzen. Schwarze, undurchdringliche Finsternis breitete sich hinter dem Felsriss aus, zwei Schritte weit konnte er noch sehen, doch was danach kam, was dort hinten im Dunkel auf ihn lauern mochte, das –

      „Und denk daran: keinen Laut, sonst ist alles verloren!“, brüllte der Bergriese ihn an. Er packte Ardua mit der Faust am Kragen und warf ihn hinein in die Dunkelheit. Noch während er durch die Luft segelte, schlossen sich die Felswände hinter ihm.

      Er stürzte auf unebenen Schotterboden und schlug mit dem Ellenborgen gegen eine Felskante. Mit zusammengebissenen Zähnen rappelte er sich auf, hastete in der ersten Panik zurück zur Tür, doch seine ausgestreckten Hände fuhren ins Leere. Wohin er sich auch wandte, der lichtlose Raum schien in keiner Richtung eine Begrenzung zu haben. Um ihn war Dunkelheit. Dunkelheit und absolute Stille. Und die Angst, die langsam heran kroch, mit jedem Herzschlag ein Stück näher. Hätte sich in diesem Augenblick eine Hand auf seine Schulter gelegt, der mogalithische Prinz wäre in hysterisches Schreien ausgebrochen und in wahnsinniger Flucht davon gestürzt. Doch nichts dergleichen geschah.

      Ardua, der unendliche Herzschläge lang wie erstarrt in der Finsternis gestanden hatte, fasste sich endlich. Einhundert Schritte, hatte der Riese verlangt. Dummerweise hatte er nicht gesagt, in welcher Richtung er gehen sollte. Doch Ardua hatte bei seinem hilflosen Herumtasten inzwischen ohnehin vollständig die Orientierung verloren. So konnte er kaum mehr tun, als aufs Geratewohl vorwärts zu stolpern, blindlings durch den wandlosen Raum, der nicht nur alles Licht zu verschlucken schien, sondern auch alle Geräusche. Ardua versuchte verzweifelt, wenigstens das Knirschen des Steinschotters unter seinen Füßen zu hören, doch selbst seine tastenden Schritte auf dem unebenen Fußboden blieben vollkommen lautlos. Siebzehn, achtzehn, neunzehn, zählte er in Gedanken peinlich genau mit und widerstand der Versuchung, die Zahlen laut auszusprechen. Langsam verstand er, warum Orkon ihn ausdrücklich vor dem Sprechen gewarnt hatte. Dreiunddreißig, vierunddreißig, fünfunddreißig. Denn das Schweigen des Raumes schien einen fast unwiderstehlichen Sog auf ihn auszuüben. Immer stärker wurde der Drang, ein lautes Wort zu sprechen, ein einziges nur, um die Stille zu zersprengen. Dies musste der Punkt gewesen sein, an dem die sieben kleinen Könige gescheitert waren. Zweiundfünfzig, dreiundfünfzig, vierundfünfzig. Irgendwo hier musste es passiert sein, sie hatten die undurchdringliche Lautlosigkeit nicht mehr ausgehalten, der Druck war zu groß für sie, und sie zerbrachen mit dem Schweigen auch ihren Pfad. Neunundsiebzig, achtzig, einundachtzig. Doch in Mogàl lernte man, sich zu beherrschen, er würde durchhalten, ganz sicher. Siebenundneunzig, achtundneunzig, neunundneunzig und Einhundert ...

      Ardua fuhr erschrocken zusammen, als das Licht vor ihm aufflammte, obwohl er die ganze Zeit über darauf gewartet hatte. Eine helle Stichflamme schoss genau vor seinen Füßen in die Höhe, und er erkannte schaudernd, dass das Geröll, auf dem er stand, nicht der Boden eines endlosen Raumes war: Unter seinen Füßen befand sich nichts als ein lächerlich schmaler Pfad aus weißem, geharktem Kies. Kaum breiter als eine Armeslänge spannte sich der Weg in flachem Bogen über einen schwindelerregenden Abgrund, und beide Wände der Schlucht waren so entsetzlich fern, dass Ardua sie kaum erkennen konnte. Unter ihm in der Tiefe wich die Erde zurück, bodenlose Felsklüfte taten sich auf und schienen ihn zu rufen in ihrer unerbittlichen steinernen Lautlosigkeit. Der Kronprinz taumelte. Angstschweiß brach ihm aus, er sank in den Kies nieder, umklammerte den brüchigen Pfad fest mit beiden Armen. Die Moglàt waren Steppenbewohner, erinnerte er sich schmerzlich, und den Blick aus größeren Höhen nicht gewohnt. Schon beim Aufstieg zu den Wachttürmen der alten Grenzfestung Ira hatte er vor Jahren einen furchtbaren Anfall von Höhenangst erlitten, aber dieser Abgrund, der an seinem Magen sog und vor seinen Augen zu wirbeln begann, ließ selbst den höchsten Turm von Ira wie ein Kinderspielzeug erscheinen.

      Es wurde dunkler um ihn, und Ardua stellte mit Schrecken fest, dass sein Licht bereits ein gutes Stück von ihm entfernt war und sich zielstrebig dem Ende der Kiesbrücke zubewegte. Zornig schüttelte er den Kopf, bis das Schwindelgefühl verflog, raffte sich auf, hastete der Flamme hinterher und hatte sie bald wieder eingeholt. Den Blick geradeausgerichtet, folgte er dem Licht, tappte mit weichen Knien den Kiesweg entlang und hütete sich, in die Tiefe zu sehen, aus der die scheußlichsten Fratzen Movennas zu ihm herauf grinsten und boshaft zu kichern schienen. Ardua beachtete sie nicht, er folgte nur seinem Licht und erreichte endlich die rettenden Felsen am anderen Ende.

      Hier wurde der Weg breiter, fast war es eine Freude, auf ihm zu gehen, und beinahe war er versucht, ein fröhliches Liedchen vor sich hin zu pfeifen. Doch er war sich nicht sicher, ob das Pfeifen nicht ebenfalls verboten war auf diesem Weg, so ließ er es besser bleiben. Das Licht setzte gemächlich seine Wanderung fort, und Ardua trottete ergeben hinterdrein.

      Endlich tat sich vor ihm ein hohes Felsentor auf. Die Flamme tänzelte durch den Torbogen hindurch, und als Ardua folgte, fand er sich im Innern eines geräumigen Saales wieder, der bis zur Decke angefüllt war mit Gold, Diamanten und Schmuck jeglicher Art. Der Moglàt atmete tief ein. Er war seinem Ziel jetzt ganz nahe, das spürte er.

      Der Geruch der Schatzkammer weckte eigenartige Erinnerungen in dem Prinzen. Das Bild Lournus und ihres kleinen gemütlichen Hexenhauses stieg vor ihm auf, und Ardua schüttelte unwillig den Kopf. Lournu. Wie kam es, dass er ausgerechnet jetzt an Lournu denken musste? Er streckte die Hand aus und griff wahllos nach einer der Goldmünzen. Die Münze roch nach Lournu und fühlte sich seltsam weich an. Als er wie ein Münzprüfer auf den movennischen Marktplätzen in die Münze hineinbiss, wusste er, was hier nach Lournu roch: Pfefferkuchen. Die Schätze des Saales bestanden ausnahmslos aus Pfefferkuchen, den süßesten und duftigsten, die Lournu jemals gebacken hatte.

      Aber dem jungen Prinzen stand der Sinn nicht nach Süßigkeiten. Unwillig schleuderte er die Münze weit von sich, und mit leisen Zischen löste sich der Kuchenspuk in Luft auf.

      Ardua blickte sich um. Der Saal war leer. Leer bis auf einen hohen Steinsockel in der Mitte des Raumes. Fast hätte er einen lauten Jubelschrei ausgestoßen, als er erkannte, was dort auf dem Sockel ruhte. Dort lag sie, unberührt seit neun Königsaltern, und barg alle Macht und Herrlichkeit Movennas in sich. Zögernd trat Ardua näher. Er betrachtete die sagenumwobene Krone Eirikirs mit großen, runden Moglàt-Augen. So wundersam strahlend hatte er sich die Krone Movennas nicht vorgestellt. Sie glänzte und funkelte wie von tausend Mittagssonnenstrahlen, und noch der kleinste ihrer Edelsteine war so kostbar, dass man ihn für ein ganzes Lehen zum Pfand setzen konnte.

      Auf der Krone aber hockte ein winziger, schrumpeliger Zwerg, noch kleiner und hutzeliger als Orkon der Bergriese, der hatte eine so unfassbar-fürchterlich große Nase, wie man sie in Movenna und Mogàl noch niemals zu Gesicht bekommen hatte.

      „Mein Gott, was für eine große Nase!“, rief Ardua überrascht aus.

      Eine zornige Zwergenhand versetzte ihm eine Ohrfeige, deren Klatschen den gesamten Felsensaal zum Dröhnen brachte. Im selben Augenblick zerbarst der Weg unter seinen Füßen in Milliarden von Steinsplittern, in einer Lawine aus Kies und Staub wurde Ardua in die Tiefe gerissen, stürzte hinab in den Abgrund, der Erdboden raste ihm entgegen, bis er donnernd aufschlug.

      Der Aufprall war so heftig, dass die Berge erzitterten. Ardua erwachte und fand sich lang ausgestreckt auf Lournus Zauberbuch wieder. Seine rechte Wange brannte wie Feuer. Im Rot der aufgehenden Sonne glühte König Eirikirs Steinbild über ihm, und tanzender rötlicher Steinstaub kratzte in seinem Hals, der trocken und ausgedörrt war wie nach einem mehrtägigen Wüstenmarsch.

      Eine faltige Hand reichte ihm eine

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