Der rote Feuerstein. Kim Scheider
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Читать онлайн книгу Der rote Feuerstein - Kim Scheider страница 5
Er schaute zu seiner Mutter hinüber, die den uralten Rocksong, der gerade im Radio lief, mitträllerte, blickte zur Düne, sah den Rochusmenschen und sah wieder zu seiner Mutter. Auch sie hatte kurz aus dem Fenster gesehen, schien aber nicht wahrzunehmen, was sich da drüben abspielte. Vielleicht hielt sie es auch einfach für eine Laune der Natur. Dennoch bemerkte sie seinen fiebrigen Blick und wirkte etwas bestürzt.
„Was ist denn nur los mit dir, mein Schatz? Du siehst aus, als hättest du ein Gespenst gesehen!”
Sollte er ihr etwa sagen, dass genau das sein Problem war? Kurz war er geneigt, ihr alles zu erzählen, von Prinzessin Vicki XII., von dem geheimen Zugang nach Atlantis und von dem Rochusmenschen. Doch eben dieser war nun verschwunden, wie Paul mit einem erneuten Blick zur Düne hinüber feststellen musste. Er schluckte einmal kräftig, bevor er antworten konnte. „Nee, nee, alles in Ordnung. Mir ist nur noch ein bisschen übel. Du weißt ja, die Überfahrt gerade.”
„Ruh’ dich noch was aus und trink endlich deinen Tee, dann geht es dir bestimmt bald besser.”
Sie lächelte Paul aufmunternd zu und ließ sich mit dem Buch in der Hand auf dem Sofa nieder.
Sie hätte es mir sowieso nicht geglaubt, dachte Paul betrübt. Sie hätte mir nur wieder wohlwollend die Hand auf die Stirn gelegt, um meinen Fieberpegel zu testen und hätte mir gesagt, mit ein bisschen Bettruhe wäre alles wieder in Ordnung.
Aber konnte er es ihr verübeln? Wer sollte ihm die Geschichte überhaupt glauben? Er war sich sicher, dass nicht einmal sein bester Freund Aman ihm das abgekauft hätte.
„Wo ist eigentlich Papa?”, fragte Paul.
„Auch zur Düne, Bernstein suchen.”
Vor Schreck prustete Paul den halben Tee auf die Fensterscheibe, als ihm klar wurde, was seine Mutter da gerade gesagt hatte.
„Paul!! Pass doch auf!”
„T’schuldigung, war noch zu heiß”, beeilte er sich zu sagen und starrte gebannt rüber zur Düne, während er unbeholfen mit dem Ärmel den Tee auf der Scheibe verteilte.
Entrüstet hielt seine Mutter ihm ein Wischtuch unter die Nase. „Kannst du bitte einen Lappen nehmen?”
„T’schuldigung, t’schuldigung”, stammelte er vor sich hin und entfernte endlich die schmierigen Streifen von dem Fenster.
„Was ist denn nur los mit dir? Du wirst doch nicht etwa krank?”
Oh nein, jetzt tat sie es doch.
Ehe Paul sich versah, hatte sie auch schon ihre Hand auf seine Stirn gelegt und mit wissendem Blick kurz innegehalten. Dann strich sie ihm über das Haar, zuckte ratlos mit den Schultern und stellte mit Kennermiene fest, dass er aber kein Fieber habe.
Eilig wandte Paul sich in Richtung Ausgang. „Ich geh’ noch kurz was an die Luft, vielleicht geht es dann besser.” In Windeseile zog er sich an und flüchtete regelrecht aus der Wohnung. Wieder rasten die Gedanken durch seinen Kopf, der allmählich zu platzen schien.
So viel zum Thema Urlaub und entspannen, dachte er genervt und humpelte, so schnell es sein monströser Muskelkater erlaubte, Richtung Nord-Ost-Gelände, wo die Dünenfähre im Moment immer an- und ablegte.
Mein Vater ist auf der Düne. Der Rochusmensch ist auf der Düne. Womöglich ist Vicki auch noch drüben. Vicki!, dachte Paul. Was ist das eigentlich für ein komischer Name für eine Fee?
Er nahm sich vor, sie danach zu fragen, wenn er sie das nächste Mal sähe. Denn, dass er sie wiedersähe, daran zweifelte er mittlerweile nicht mehr. Der scheinbar vor Wut rasende Rochusmensch, den er noch vor Minuten gesehen hatte, zeigte ihm deutlich, dass er wohl doch keine Tagträume oder Halluzinationen hatte. Und so, wie das Monstrum getobt hatte, war es ihm wohl noch nicht gelungen, die kleine Fee zu schnappen.
Was auch immer es mit ihr vorhatte.
Da er im Moment sowieso nichts tun konnte und das unheimliche Wesen nicht mehr zu sehen war, beschloss Paul zunächst einmal die Helgoländer Bücherei aufzusuchen, neben der er quasi sowieso gerade stand. Die freundliche Frau darin hatte ihm schon häufig gute Bücher empfohlen. Sie wüsste sicherlich auch, wo er etwas über Atlantis finden konnte, sei es nun in Form von wissenschaftlichen Berichten oder Sagen und Mythen. Außerdem hatte die Bücherei auch Fenster mit Dünenblick, so dass er gleichzeitig noch unauffällig das Geschehen dort drüben im Auge behalten konnte.
Eine Stunde und unzählige Blicke aus dem Fenster später, sah Paul die letzte Dünenfähre anschippern. Er wankte mit einem gefährlich hohen Stapel Büchern aus dem Gebäude neben dem Anlegesteg und lief seinem offenbar wohlbehaltenen Vater in die Arme. Auch er ging stramm auf die Vierzig zu, war jedoch, ähnlich wie Paul, eher schlank und sportlich.
„Und, was gefunden?”, fragte Paul und kämpfte unter der Last der Bücher mit dem Gleichgewicht.
„Nö, wie immer”, gab sein Vater resigniert zurück. Seit Jahren schon suchte und wühlte er nach Stürmen im angeschwemmten Tang nach Bernstein, aber gefunden hatte er, trotz zahlreicher Tipps von erfahrenen Helgoländern, bislang noch nichts. „Aber um so besser, so habe ich wenigstens die Hände frei, um dir mit deinen Büchern zu helfen. Was hast du denn mit all dem Kram vor? Du weißt, dass wir nur noch drei Tage hier sind? Wann willst du denn das alles noch lesen?”
So viele Fragen.
„Och”, druckste Paul herum. „Wollte nur was rumstöbern. Ein bisschen was über Atlantis lesen und so.”
„Atlantis?” Ungläubig starrte sein Vater ihn an, während Paul ihm dankbar gut die Hälfte der Bücher in den Arm drückte. „Wie kommst du denn auf Atlantis?”
„Nun ja, es heißt doch, Atlantis sei damals in der Nähe von Helgoland untergegangen und jetzt bin ich halt neugierig, ob da was dran ist.”
„Über Helgoland weiß ich doch schon alles”, fügte er hinzu. „Und wenn nicht, haben wir doch noch ein wandelndes Lexikon zu Hause rumlaufen.”
„In der Tat!”, meinte sein Vater grinsend. „Es gibt wohl kein noch so unbedeutendes Ereignis, das auch nur im entferntesten mit diesem wunderbaren Eiland zu tun hat, zu dem deine Mutter dir nicht sofort eine Doktorarbeit abliefern kann.”
„Dabei bin ich doch sonst immer der Klugscheißer”, lachte Paul, froh über den Themenwechsel.
„Nicht war, Justus Jonas?”, setzte sein Vater noch eins drauf. Paul neigte etwas dazu, seiner Umwelt mit seiner Besserwisserei auf den Nerv zu gehen, was ihm den Spitznamen eingebracht hatte. Auch der erste Detektiv der „Drei ???” war bekannt dafür, alles zu wissen und das vor allem besser als andere.
Lachend betrat Paul mit seinem Vater die Wohnung, in der es bereits nach Abendessen duftete.
„Na, geht’s wieder besser?”, erkundigte Pauls Mutter sich sogleich. Erstaunt sah sein Vater zu ihm hinüber. „Wieso, was war denn los?”
Nicht noch einer, dachte Paul und rückte vorsorglich schon mal etwas auf Abstand, bevor sein Vater auch noch auf die Idee käme, seine Stirn nach Spuren von Fieber zu